Flugzeugabsturz vor 80 Jahren hinterließ Spuren des Grauens

Vor 80 Jahren ist bei Unterschöntal eine deutsche Militärmaschine abgestürzt. Das Flugzeug vom Typ Me 110 befand sich auf einem Werkstattflug. Der Flieger zerschellte auf einem Wiesengrundstück. Die Besatzung – der Pilot und der Bordfunker – fand den Tod.

Auch  zwei Propellerflügel wurden gefunden.

Auch zwei Propellerflügel wurden gefunden.

Von Armin Fechter

BACKNANG. Auf dem Stadtfriedhof in Backnang erinnern zwei Steine an die beiden Getöteten des Flugzeugabsturzes von 1944: den damals 27-jährigen Oberfeldwebel Josef Frenken, der als Flugzeugführer vorne saß, und den damals 22-jährigen Unteroffizier Helmut Lehmann, der in seiner Funktion als Bordfunker seinen Platz dahinter hatte. Die Unglücksmaschine gehörte zur zweiten Staffel des Nachtjagdgeschwaders 6, das zu der Zeit unter anderem in Großsachsenheim und Hessental lag. Das Kriegstagebuch des Geschwaders gibt noch weiter Auskunft über die Toten: Frenken wurde in Rheydt im Rheinland geboren und wohnte zuletzt in Rostock, Lehmann, der in Särka im Kreis Löbau geboren wurde, war im sächsischen Oberkaina, Kreis Bautzen, zu Hause. Frenken war verheiratet, Lehmanns nächste Angehörige war seine Mutter.

Der Absturz ereignete sich zu einem Zeitpunkt während des Zweiten Weltkriegs, als die deutsche Zivilbevölkerung zunehmend direkt vom Kampfgeschehen betroffen war. Im Juni 1944 waren alliierte Truppen in der Normandie gelandet. Amerikanische und britische Bomber warfen immer häufiger ihre tödliche Last über deutschen Städten ab. Im Juli 1944 flog die Royal Air Force verheerende Luftangriffe auf Stuttgart. Auch im Osten rückte die Front immer näher, die Rote Armee hatte fast Ostpreußen und Schlesien erreicht. Und am 20. Juli misslang der Versuch Graf Stauffenbergs, durch ein Attentat auf Adolf Hitler die nationalsozialistische Herrschaft abzuschütteln.

Nur noch wenige Zeitzeugen erinnern sich an den Absturz bei Unterschöntal

Heute leben nur noch wenige Personen, die diese Zeit selbst miterlebt haben. Auch an den Absturz bei Unterschöntal am 2. September 1944, im freien Gelände nicht weit von der Calwer Straße, erinnern sich nur noch Einzelne. Einer von ihnen ist Herbert Häußermann aus dem benachbarten Zwingelhausen, ein anderer Manfred Heller aus Unterschöntal. Beide waren damals Schulbuben, gerade mal acht beziehungsweise neun Jahre alt. Sie haben zwar das Unglück nicht mit eigenen Augen gesehen, wissen aber noch von dem gewaltigen Loch, das die zweimotorige Maschine bei ihrem Aufprall in den Boden geschlagen hat.

Thomas Navrath hat einige Fotos, Akten, eine Sonderseite aus der Zeitung sowie einen Höhenmesser und ein Mercedes-Emblem aufbewahrt. Die Stücke spiegeln sein einstiges Engagement für die Bergung abgestürzter Flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Thomas Navrath hat einige Fotos, Akten, eine Sonderseite aus der Zeitung sowie einen Höhenmesser und ein Mercedes-Emblem aufbewahrt. Die Stücke spiegeln sein einstiges Engagement für die Bergung abgestürzter Flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Tobias Sellmaier

Nähere Informationen über den Absturz hat Thomas Navrath zusammengetragen, der ab den späten 80er-Jahren solche Fälle gezielt aufspürte und untersuchte. Er hatte sich dazu mit einer Gruppe weiterer enthusiastischer Luftfahrthistoriker zusammengetan. Ihr Interesse galt dabei einerseits der Klärung von Sachverhalten, andererseits der Erforschung der Schicksale, die damit verbunden waren. Von behördlicher Seite erfuhren sie dabei keine Unterstützung, wie Navrath berichtet, auch Fördermittel habe es nicht gegeben – alles mussten die Freizeitarchäologen selbst finanzieren. Steine wurden ihnen dabei nicht in den Weg gelegt – nur einmal, als die Bundeswehr einen Fund beschlagnahmte.

Das Schicksal von 15 Vermissten wurde durch die Hobbyforscher aufgeklärt

Die Sache beschäftigte dann sogar den damaligen Bundesverteidigungsminister und späteren Nato-Generalsekretär Manfred Wörner, der den Hobbyforschern Anerkennung zollte und ihnen grünes Licht gab. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Im Lauf mehrerer Jahre hat die Gemeinschaft in der Region Stuttgart im Umkreis von etwa 100 bis 150 Kilometern immerhin 15 Vermisstenfälle aufgeklärt. Darunter war der Fall Walter Geis. Der Leutnant galt nach einem Luftkampf im Raum Stuttgart-Kirchheim als vermisst. Aufwendige Ermittlungen mit anschließenden Bergungsarbeiten förderten schließlich die Erkennungsmarke des Verunglückten und Stücke aus dem privaten Besitz zutage, sodass eine Beisetzung stattfinden konnte.

Manchmal widersprechen sich die Berichte der Augenzeugen

Bei ihren Recherchen trafen Thomas Navrath und seine Kollegen noch viele Zeitzeugen an, die detailliert und zuverlässig Auskunft geben konnten. Gleichwohl kam es vor, dass sich Aussagen widersprachen – so auch beim Unterschöntaler Absturz, wie Thomas Navrath in Beiträgen für das Backnanger Jahrbuch 1997 beziehungsweise 2002 schreibt. Nach einer Version näherte sich das Flugzeug gegen 20 Uhr mit ungleichmäßigem Motorengeräusch aus Richtung Allmersbach am Weinberg; die Maschine brannte demnach bereits und hatte nur noch eine geringe Höhe von etwa 200 Metern, als sie steil nach unten stürzte. Dann gab es eine Explosion, überall detonierte herausgeschleuderte Munition, und im Umkreis von 150 Metern brannte der Boden. Nach einer anderen Version soll die Maschine aus großer Höhe mit lange aufheulenden und überdrehten Motoren abgestürzt sein.

Die Grabungen in Unterschöntal gingen bis in eine Tiefe von drei Metern, ein Bagger war dabei im Einsatz. Fotos: privat

Die Grabungen in Unterschöntal gingen bis in eine Tiefe von drei Metern, ein Bagger war dabei im Einsatz. Fotos: privat

Nicht gesichert ist auch die Anwesenheit eines dritten Insassen, eines Majors, dem noch der Ausstieg mit dem Fallschirm gelungen sein soll. Er landete, erheblich am Bein verletzt, nahe dem Katharinenhof, zwischen Backnang und Oppenweiler. Als sich Leute näherten, habe er sich laut rufend schon von Weitem als deutscher Flieger zu erkennen gegeben. Entweder wurde er – da gehen die Aussagen wieder auseinander – von einem Fahrzeug des Fliegerhorsts Schwäbisch Hall abgeholt oder er begab sich, mit einem Verband versehen, am folgenden Tag selbst zum Backnanger Bahnhof. – Wieso eine dritte Person? Die Me 110 war ein Dreisitzer. Dass ein Passagier, etwa ein Techniker, auf solche Flüge mitkam, war laut Thomas Navrath nicht unüblich. Ein dokumentarischer Nachweis dafür sei hier aber nicht gefunden worden.

Ein Jugendlicher fand den Finger eines Insassen mit dessen Ehering

Die Absturzstelle selbst bot ein Bild des Grauens. Sie wurde abgesperrt, sobald Feuer und Detonationen es zuließen. Lehmann hatte, so ergaben Thomas Navraths Recherchen, die Maschine noch verlassen können. Doch sein Fallschirm hatte sich nicht mehr geöffnet – sein Körper lag zerschmettert auf einem Kartoffelacker. Josef Frenken steckte noch im Flugzeug, der Leichnam war aber völlig zerfetzt. Ein Jugendlicher aus Backnang, der den Absturz aus der Ferne gesehen hatte, fand in der Nähe einen abgerissenen Finger mit Frenkens Ehering. Später entdeckte man in einem angrenzenden Feld noch sein Soldbuch und die Erkennungsmarke. Die an der Oberfläche liegenden Trümmerteile wurden – so wird berichtet – von einer Kolonne ausländischer Arbeiter aus Schwäbisch Hall abgeräumt.

Die Grabungen in Unterschöntal förderten unter anderem diesen Motor zutage.

Die Grabungen in Unterschöntal förderten unter anderem diesen Motor zutage.

Das Wrack hatte sich jedoch tief in den Boden gebohrt, wo es erst 1993 unter Beteiligung Thomas Navraths geborgen wurde. Der Eigentümer des Wiesenstücks, der damalige Unterschöntaler Teilortsanwalt, hatte sich telefonisch gemeldet und mitgeteilt, dass auf dem Areal hin und wieder Metallteile zum Vorschein kamen, die zu dem abgestürzten Flugzeug gehörten. Er ermöglichte die Grabung, die mithilfe eines Baggers bis in drei Meter Tiefe ging und bei der unter anderem Propellerflügel, die Motoren und Fahrwerksteile gefunden wurden.

Bei der Suche nach den Überresten galt es, trotz des Maschineneinsatzes Vorsicht walten zu lassen: „Da muss man jeden Millimeter umdrehen, auch von Hand“, erinnert sich Thomas Navrath, der sich von diesen Tätigkeiten allerdings schon vor über 20 Jahren verabschiedet hat und stattdessen nun wieder seinem früheren Hobby, dem Modellbau, frönt.

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Erstellt:
2. Juni 2024, 11:00 Uhr

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