Nach Sensationsfund in Österreich
Forscher präsentieren erstmals 1500 Jahre alten Reliquienschrein
In Kärnten hatten Archäologen 2022 in den Ruinen einer spätrömischen Höhensiedlung eine kostbare Reliquiendose aus Elfenbein gefunden. Es ist der erste Fund einer solchen Pyxis seit 100 Jahren. Nach aufwendiger Konservierung und Restaurierung ist das Reliquiar nun erstmals präsentiert worden.
Seit Sommer 2016 führen Innsbrucker Archäologen in der 2000-Einwohner-Gemeinde Irschen im österreichischen Bundesland Kärnten Grabungen in einer spätrömischen Höhensiedlung durch. Vor zwei Jahren hatten sie dort eine sensationelle Entdeckung gemacht: Ein Reliquienschrein lag in einer bis dahin unbekannten Kirche verborgen. Darin enthalten: eine reich verzierte antike Reliquiendose aus Elfenbein.
Elfenbeindose im Marmorschrein
Die Forscher um den Archäologen Gerald Grabherr waren bei ihrer Ausgrabungen in den Überresten des Gotteshauses auf dem Burgbichl in Irschen auf einen 20 mal 30 Zentimeter großen Marmorschreiein gestoßen. Das Artefakt befand sich im Bereich der Seitenkapelle unter dem Altar.
Der Burgbichl ist ein rund 170 Meter hoher Hügel an der Südseite der Drau. 2016 konnte die Vermutung bestätigt werden, dass es sich bei den über Tage sichtbaren Mauern um die Überreste einer spätantiken Siedlung aus dem fünften und sechsten Jahrhundert n. Chr. handeln könnte.
Die Seitenkapelle heute: Im Vordergrund ein sternförmiges Taufbecken, dahinter der Altar mit nun offener Reliquien-Nische. Foto: Universität Innsbruck
Kostbares Reliquiar aus Elfenbein
Im Schrein war eine stark fragmentierte, mit christlichen Motiven reich verzierte Dose - eine sogenannte Pyxis - aus Elfenbein enthalten. Ein Reliquiar, das normalerweise als „Heiligstes“ mitgenommen wird, wenn eine Kirche aufgegeben wird.
„Weltweit wissen wir von circa 40 derartiger Elfenbeindosen. Bei Grabungen ist eine solche zuletzt vor inzwischen rund 100 Jahren gefunden worden. Die wenigen Pyxiden, die es gibt, sind entweder in Domschätzen erhalten oder in Museen ausgestellt“, sagt Gerald Grabherr.
Aufwendige Konservierung und Restaurierung
Seit seiner Entdeckung wurde das rund 1500 Jahre alte, sehr zerbrechliche Reliquiar an der Universität Innsbruck konserviert und restauriert. „Elfenbein, zumal bodengelagertes Elfenbein wie im Marmorschrein, nimmt die Feuchtigkeit der Umgebung auf und ist in diesem Zustand sehr weich und leicht zu beschädigen“, erklärt Ulrike Töchterle, Leiterin der Restaurierungswerkstatt in Innsbruck.
Zudem führe unkontrolliertes Austrocknen schlimmstenfalls zu Schrumpfungen und Rissen und damit zu Schäden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können,
Die Restauratorin hat die einzelnen Stücke der Elfenbein-Pyxis in den vergangenen beiden Jahren nun soweit konserviert, dass sie wissenschaftlich untersucht werden können. „Durch die mit 90 Prozent sehr hohe Luftfeuchtigkeit in der Marmorkiste direkt nach der Bergung war die Gefahr von Kondenswasser- und Schimmelbildung sehr hoch. Zu schnell durfte der Inhalt auch nicht austrocknen. Das heißt, wir mussten für einen sehr behutsamen und längeren Trocknungsprozess sorgen.“
Die größeren Teile sind verformt, weshalb die Pyxis nicht mehr in den Originalzustand versetzt werden kann. Die Forscher arbeiten allerdings an einer 3D-Rekonstruktion.
Pyxis war vermutlich Berührungsreliquie
Waren die Archäologen zu Beginn noch davon ausgegangen, dass sich die Hinterlassenschaft eines oder einer Heiligen – also eine klassische Reliquie – im Steinquader befindet, deutet die Schichtung der im Schrein gefundenen Fragmente darauf hin, dass die Elfenbeinpyxis bereits in der Spätantike zu Bruch gegangen ist und im Altar bestattet wurde.
„Die Pyxis wurde vermutlich ebenfalls als heilig angesehen und auch so behandelt, sozusagen als Berührungsreliquie. Die archäologische und kunsthistorische Bedeutung der Pyxis ist nicht zu bestreiten“, betont Grabherr.
Darstellung von Szenen aus dem Alten und neuen Testament
Die Pyxis zeigt an einem Ende eine Figur am Fuß eines Berges. Der dargestellte Mann wendet den Blick ab. Über ihm ragt eine Hand aus dem Himmel, die etwas zwischen die Arme dieser Person legt. „Das ist die typische Darstellung der Übergabe der Gesetze an Moses am Berg Sinai, der Beginn des Bundes zwischen Gott und den Menschen aus dem Alten Testament“, betont der Archäologe.
Darauf folgen Darstellungen von biblischen Gestalten. Am Ende sieht man einen Mann auf einem Wagen, vor den zwei Pferde gespannt sind. Auch hier zieht eine aus Wolken kommende Hand diese Figur in den Himmel. Grabherr: „Wir vermuten hier eine Darstellung der Himmelfahrt Christi, die Vollendung des Bundes mit Gott.“
Typisch für die Spätantike und damit zu der Pyxis passend sei die Darstellung von Szenen aus dem Alten Testament und ihre Verbindung mit Szenen aus dem Neuen Testament der Bibel. Vor allem die Darstellung der Himmelfahrt Christi mit einer sogenannten Biga, einem Zweigespann, sei besonders und bisher nicht bekannt, erläutert Grabherr.
Irschens spätantike Höhensiedlung
Irschen ist eine Gemeinde im Drautal in Kärnten. Bei den Grabungen untersuchen die Forscher eine vermutlich seit dem Jahr 610 n. Chr. verlassene und in Vergessenheit geratene spätantike Höhensiedlung auf einem Hektar Fläche.
Bisher haben die Archäologen neben persönlichen Gegenständen der früheren Bewohner mehrere Wohnhäuser, zwei Kirchen und eine Zisterne gefunden. In einer der Kirchen wurde neben einem sternförmigen Taufbecken auch der Reliquienschrein entdeckt.
Siegreiche Slawen brachten eigene Götter mit
„Gegen Ende des römischen Reichs wurden die Zeiten unsicherer, vor allem in den Randprovinzen des Reichs, also auch dem Gebiet des heutigen Österreichs. Deshalb gründeten die Bewohner ab dem 4. Jahrhundert zunehmend Siedlungen auf Hügeln, die sie besser verteidigen konnten und verließen den Talboden“, berichtet Grabherr.
Eine Zäsur bildet das Jahr 610 n. Chr.: In diesem Jahr fand die Schlacht von Aguntum nicht weit der Irschener Siedlung statt. Ein slawisches Heer traf auf bajuwarische Heere und Siedler. Mit dieser Schlacht, welche die Slawen für sich entscheiden konnten, endete die Zugehörigkeit der Region zur mediterranen antiken Welt und auch zum Christentum. Die slawischen Siedler brachten ihre eigene Götterwelt mit. Seit spätestens diesem Zeitpunkt war auch die Siedlung auf dem Burgbichl verlassen worden.
Info: Reliquien – Gegenstände religiöser Verehrung
Reliquienverehrung Die Reliquienverehrung ist substanzieller Bestandteil katholischer Frömmigkeit. In der evangelischen Kirche ist dieser Brauch unbekannt. Für den Reformator Martin Luther (1483-1546) waren Reliquien „alles tot Ding“. Reliquien (von Lateinischen „reliquiae“: das Zurückgelassene, die Überbleibsel) sind Gegenstände religiöser Verehrung. Besonders Körperteile oder Teile des persönlichen Besitzes eines Menschen, der von der Kirche als Heiliger verehrt wird, gehören dazu. Daneben gibt es Berührungsreliquien wie etwa Kleidungsstoffe, mit denen der Heilige in Berührung kam oder gekommen sein soll.
Drei Klassen von Reliquien Reliquie ist nicht gleich Reliquie. Nach katholischem Verständnis gibt es:
Kirchenrecht verbietet Reliquien-Handel Bis heute verbietet das katholische Kirchenrecht den Verkauf von Reliquien. Im „Codex Iuris Canoici“, dem kirchlichen Rechtsbuch (Canon 1190 CIC), heißt es: „Es ist verboten, heilige Reliquien zu verkaufen. Bedeutende Reliquien und ebenso andere, die beim Volk große Verehrung erfahren, können ohne Erlaubnis des Apostolischen Stuhls auf keine Weise gültig veräußert oder für immer an einen anderen Ort übertragen werden. Die Vorschrift des § 2 gilt auch für Bilder, die in einer Kirche große Verehrung beim Volk erfahren.“
Symbolhaftigkeit Für das katholische Verständnis von Reliquien ist es unerheblich, ob ihre Echtheit wissenschaftlich bewiesen ist. Es geht vor allem um die theologische Symbolhaftigkeit. So wird im Trierer Dom der Heilige Rock, ein unscheinbarer braun-grauer Rock, als Symbol für die Menschwerdung Jesu verehrt. Es ist sinnfälliger Ausdruck der Heilsgeschichte, die nur im Glauben erfasst werden kann.