Schönheitsideale
Frauen tragen wieder Beinhaar
Der unbehaarte weibliche Körper gilt als Ideal. Dem widersetzen sich manche junge Frauen. Das ist irritierend attraktiv.
Von Lisa Welzhofer
Moment mal! Was verstört so an den zwei Frauen im Stuttgarter Schlossgarten? Knödeldutt auf dem Kopf, Tops wie eine zweite Haut, die kurzen Jeans sehr kurz. Soweit so uniform. Aber über den Birkenstocks erheben sich bepelzte Beine. Es sprießt ungeniert die weibliche Haarpracht an Unter- und Oberschenkeln. Was für ein Wuchs! Oder eine andere haarige Begegnung im Urlaub dieses Jahr in Weimar: Musikfest auf dem Theaterplatz unter den Blicken der Schürzenjäger Goethe und Schiller auf ihrem Sockel. Es tanzt ein Grüppchen junger Frauen – und ihr Beinhaar weht im Sommerwind.
Seit ein paar Jahren tut sich dieser Anblick öfter auf. Junge Frauen lassen es wachsen, an Beinen und Brüsten, unter Achseln, in Bikinizonen, um Bauchnabel, über Oberlippen, zwischen Schultern. Drückten sich in der Kindheitserinnerung schwarze Borsten nur unter den beigen Strumpfhosen der Mathelehrerin platt, tragen sie nun Großstädterinnen mit bodypositiver Attitüde.
Noch nie war so viel Botox
Sicherlich ist das ein kleines Grüppchen. Unterdessen tobt in der Arena der Sozialen Medien der große Verschönerungswettbewerb weiblicher Körper. Noch nie war so viel Botox und Extensions und Nail-Art und Hyaluron-Lippen und Brazilian Butt Lift und Wasweißich. Womit das Bekenntnis zum Wuschelbein nur ein Ausrufezeichen in dieser Kampfzone sein kann, wenn auch ein in seiner Kuscheligkeit tröstliches. Man muss das haarige Bein nicht schön finden, aber die Selbstsicherheit, mit der es in Stuttgart wie Weimar getragen wird, ist wahnsinnig attraktiv.
Tatsächlich hat die haarlose Dame Tradition. Schon im antiken Griechenland entfernten Menschen ihren Pelz, um sich von den barbarischen Völkern abzugrenzen. Die Ursprünge heutiger Haarfeindlichkeit liegen Anfang des 20. Jahrhunderts, als Extremitäten unter kürzer werdenden Kleidern hervortraten – wobei sich die flächendeckende Rasur hierzulande ab Ende der 80er durchsetzte. Es ist wohl kein Zufall, dass damals die Frauenbewegung alter Schule Deutungsmacht an den Girl-Feminismus verlor.
Das Ideal der aalglatten Frau
Seither gelten aalglatte Frauen, an denen sich Kleinelektroindustrie und Kosmetikbranche dumm und dämlich verdienen, als Ideal, sehen Mädchen – wie die US-Wissenschaftlerin Susan Basow heraus fand – die Rasur als natürliche Pflicht (Rasierpickel, Schnitte und Frieren unter der Dusche inklusive), wollen Männern lieber an Frauenbeinen abgleiten denn sich in ihrem Bewuchs festkrallen.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Morgan Mikenas (@i_am_morgie)
Was nicht alles erfunden wurde, um erwachsene Körper in den Klein-Mädchen-Zustand zurückzuversetzen! Kaltwachs, Laser- und IPL-Geräte mit Saphir-Eis-Kühlung, Nano-Glas-Technologie, Faden-Technik, Elektrolyse mit chemisch oder thermischer Energie oder Depilationscremes vernichten alles Widerborstige.
Wer nicht mehr mitmacht, braucht ein dickes Fell: 2017 zeigte die Bloggerin Morgan Mikenas ein Bild ihrer flauschigen Beine und wurde tausendfach als „eklig“ und „verrückt“ beschimpft. Als Adidas mit der behaarten Künstlerin Arvida Byström warb, erzählte diese, Männer hätten ihr Vergewaltigung angedroht. Trotzdem gehen Frauen in die Öffentlichkeit: Die Journalistin Maja Fiedler schrieb dieses Jahr, sie rasiere nicht mehr, damit ihr Sohn „weiß, wie Frauenbeine aussehen und das nicht eklig findet“.
Was die Frauen im Stuttgarter Schlossgarten und auf dem Thüringer Theaterplatz antrieb? Wir haben nicht gefragt, aber gedacht: Im Garten blüht ja auch die ungemähte Wiese oft am schönsten.