Auf dem Weg in Kanzleramt
Friedrich Merz, Deutschlands bekanntester Auszubildender
Der CDU-Chef erhält gerade einen Crashkurs darin, wie sein Leben als Kanzler aussehen könnte. Europa muss hoffen, das er schnell lernt, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ
Er will Kanzler werden: Friedrich Merz.
Von Tobias Peter
Friedrich Merz hat sich das alles vielleicht ein bisschen anders vorgestellt. Er wäre nicht der erste, der einem Wahlsieg entgegengefiebert hat – in der Hoffnung, es sei wie der Moment, in dem man die Schlüssel zum neuen Auto überreicht bekommt. Dann setzt man sich ans Steuer, gibt Gas – und hat die volle Kontrolle darüber, wo es hingeht. Und wie schnell.
Jetzt stellt Merz – bevor er überhaupt zum Kanzler gewählt ist – fest: Es sitzt immer jemand daneben, der ins Steuer greift. Auf der Rückbank lärmen die Unzufriedenen. Und die Frage, ob für die nächste Tankfüllung überhaupt genug Geld da ist, muss auch erst mal geklärt werden. Kurz: Der CDU-Chef erhält gerade einen ersten Crashkurs darin, wie kompliziert sein Leben als Regierungschef sein wird. Wenn er es denn tatsächlich wird.
Die Fehler begannen schon vor der Wahl
Der 69-Jährige aus dem Sauerland ist derzeit Deutschlands bekanntester Auszubildender. Merz wird wahrscheinlich der nächste Bundeskanzler, hat aber bislang keinen einzigen Tag Regierungserfahrung. Das war bei keinem der bisherigen Amtsinhaber so. Grundsätzlich ist das nicht schlimm. In anderen Ländern ist diese Konstellation gewöhnlich. Nur: Merz leistet sich Fehler, echte Anfängerfehler. Kann er Kanzler?
Das mit den Fehlern fing schon vor der Wahl an. Gäbe es – wie beim Autofahren – für das Regieren vorab Theoriestunden, dann sollte eine der wichtigsten Regeln heißen: „Denke bei allem, was du vor der Wahl sagst, daran, dass es dich nach der Wahl einholen kann.“
Merz hat zwar die Tür zu Änderungen bei der Schuldenbremse vor der Wahl einen Spalt weit offengelassen. Aber er hat offensiv den falschen Eindruck erweckt, die meisten Probleme ließen sich durch Einsparungen lösen, etwa beim Bürgergeld. Auch wenn die Folgen der erneuten US-Präsidentschaft Donald Trumps noch gravierender sind als vorab befürchtet, ist Merz selbst schuld, dass viele Menschen sich nun getäuscht fühlen. Und dass die Enttäuschung, gerade auch unter den eigenen Anhängern, groß ist.
Die nächste Lektion betrifft den klugen Umgang mit Menschen. Vom italienischen Philosophen und Diplomaten Niccolò Machiavelli stammt der richtige Hinweis, dass Menschen schon wegen geringfügiger Kränkungen Rache nähmen. Ein kluger Staatsmann geht also möglichst pfleglich mit den anderen um, weil er weiß, dass man sich im Leben immer ein zweites Mal sieht.
Zögerlich und ungelenk
Selbst als Merz wusste, dass er die Stimmen der von der Union geschmähten Grünen für Grundgesetzänderungen unbedingt braucht, ging er nur zögerlich und ungelenk auf sie zu. Auch sein Auftritt in der Sondersitzung des Bundestags wirkte als müsse er das Schmieden von Mehrheiten erst noch üben. Die Sache ist ernst. Es geht nicht nur darum, dass Deutschland schnell wieder eine handlungsfähige Regierung braucht. Das Land muss in Zeiten des Krieges in der Ukraine und eines erratischen US-Präsidenten Donald Trump auch die Mittel haben, eine führende Rolle in Europa zu spielen. Viele warten darauf.
Die Frage, ob Merz Kanzler kann, ist am Ende ohnehin die falsche. Er muss es können – denn er ist der Einzige in der demokratischen Mitte, der überhaupt eine Mehrheit bilden kann. Dass Deutschland nun in Zeiten eines gravierenden internationalen Umbruchs einen Kanzler vom Format Konrad Adenauers oder Willy Brandts bräuchte, kommt erschwerend hinzu. Merz hat – mehr als sein Vorgänger Olaf Scholz – den Mut zu großen Entscheidungen. Aber es fehlt ihm an Professionalität. Er muss schnell dazu lernen. Wer mit Donald Trump verhandeln will, muss auch eine Lösung mit den Grünen finden. Friedrich Merz ist zum Erfolg verdammt.