Sondersitzung zur Schuldenbremse

Friedrich Merz umwirbt die Grünen – und wirkt doch eher unbeholfen

Bei der ersten Lesung zu den Plänen für Schuldenbremse und Sondervermögen bemüht sich Friedrich Merz darum, die Grünen für sein Vorhaben zu gewinnen. Doch es zeigt sich schnell: So einfach ist das nicht.

Friedrich Merz verteidigte sein Vorhaben im Bundestag.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Friedrich Merz verteidigte sein Vorhaben im Bundestag.

Von Tobias Peter und Rebekka Wiese

Jetzt passiert es. Jetzt kommt der Moment, auf den alle gewartet haben. Die Charmeoffensive des Friedrich Merz – gegenüber den Grünen. Er braucht sie. Denn er braucht ihre Stimmen für Grundgesetzänderungen an der Schuldenbremse. Deshalb spricht er einen Satz aus, der vor einem Monat noch undenkbar gewesen wäre.

„Ein Wort des Dankes an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen“, sagt Merz also am Rednerpult des Bundestags. Ein Raunen geht durch den Saal. Im Wahlkampf hat das Prinzip maximaler Abgrenzung gegenüber den Grünen gegolten. Mit lauten und harten Angriffen.

Merz: „Für den Klimaschutz ein großer Sprung nach vorn“

Jetzt aber bedankt sich Merz für „außerordentlich gute, sehr vertrauensvolle Gespräche“ mit den Grünen. Er nehme den Klimaschutz sehr ernst, betont er. Seine Botschaft: Aus dem geplanten 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur könnten bis zu 50 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds gehen. Würde man das beschließen, ruft er den Grünen zu, werde man „auch für den Klimaschutz einen so großen Sprung nach vorn machen können, der alles in den Schatten stellt, was in den letzten drei Jahren möglich wurde“.

Das, so sagt der Unionsfraktionschef weiter, sei die Reparatur dessen, was die Ampelregierung in verfassungswidriger Art und Weise versucht habe, als sie nicht genutzte Corona-Mittel für den Klimaschutz umwidmete. „Was wollen Sie eigentlich in so kurzer Zeit noch mehr?“, fragt er die Grünen. Deren Fraktionschefin Katharina Dröge lacht in diesem Moment, als könne sie kaum glauben, was sie hört. Auch Noch-Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck, der auf der Regierungsbank sitzt, sieht zwischenzeitig aus, als würde er jeden Moment laut loslachen.

Charmeoffensive missglückt

Merz erinnert in diesem Moment an jemanden, der in einem Nachbarschaftsstreit an die Tür nebenan anklopft – mit einer Schachtel Pralinen in der Hand. Und der dann sagt: „Es ist Ihre Schuld. Aber jetzt habe ich das hier beim Discounter für Sie gekauft. Nun stellen Sie sich also nicht mehr so an!“ Charmeoffensive versucht. Aber nicht geglückt.

Es ist ein besonderer Tag im Parlament. Der alte Bundestag tritt nach der Bundestagswahl noch mal zusammen – bevor der neue sich konstituiert. Weil Union und SPD dringenden Handlungsbedarf sehen. Ihr Vorhaben: Die Schuldenbremse des Grundgesetzes soll gleich mehrfach geändert werden. Verteidigungsausgaben sollen künftig nur noch bis zu einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf die Schuldenbremse angerechnet werden – so stünde mehr Geld für die Bundeswehr zur Verfügung. Und: Es soll ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen, also zusätzliche Schulden, für die Infrastruktur geben.

Doppelte Dringlichkeit

Die Dringlichkeit begründen Union und SPD mit der neuen weltpolitischen Lage durch den US-Präsidenten Donald Trump. Es gibt aber wohl noch einen weiteren Grund für die Eile: Stimmt der alte Bundestag nicht zu, wird die Mehrheitssuche im neuen noch komplizierter. Dann würden neben Union und SPD nicht nur die Grünen, sondern auch die Linke oder die AfD für eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht.

Merz hat also seine erste große Bewährungsprobe nach der Wahl – bevor er überhaupt Kanzler ist. Und das in einer Situation, in der er nicht nur um die Grünen werben muss. Sondern in der auch in den eigenen Reihen einige irritiert sind, wie schnell Merz nach der Wahl von der Schuldenbremse abgerückt ist. Ja, Merz hatte eine Reform nicht komplett ausgeschlossen, wie er an diesem Tag auch selbst betont. Es klang aber immer so, als sei das etwas, was bestenfalls nach allen möglichen Einsparungen erfolgen könnte – nicht als erster Schritt.

Lindner: „Was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?“

Ex-Finanzminister Christian Lindner, der als abgewählter FDP-Abgeordneter nun noch einmal im Bundestag spricht, spricht aus, was sich wohl viele fragen: „Sie hier in der vorderen Reihe: Wer sind Sie und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?“, ruft er dem CDU-Chef zu. Merz‘ lacht. Aber sein Kopf ist rot.

Die SPD ist in diesem alten Bundestag noch die größte Fraktion. Deshalb spricht SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil als Erster – auch wenn Merz die Hauptfigur ist. Auf Deutschland komme angesichts des Kurswechsels in den USA sicherheitspolitisch eine Führungsrolle zu, sagt er. Im gleichen Maße gehe es aber auch um wirtschaftliche und soziale Stärke. Jeder müsse seine Positionswechsel selbst erklären, sagt Klingbeil. Bei der SPD gebe es keinen. Den Grünen ruft Klingbeil zu: „Wenn die Geschichte anklopft, muss man die Tür öffnen.“

Dröge bleibt unbeeindruckt

Nach Merz und Klingbeil tritt dann die Grünen-Fraktionsvorsitzende Dröge an das Redepult. Sie klingt nicht, als habe die Charmeoffensive gewirkt. „Herr Merz, wir haben ja schon öfter miteinander über die Reform der Schuldenbremse diskutiert“, sagt sie – und erinnert daran, dass sie ihm noch am 11. Februar im Bundestag vorgeschlagen habe, genau dieses Vorhaben gemeinsam umzusetzen. Es sei ein staatstragendes Angebot gewesen, sagt Dröge. „Sie haben dieses Angebot damals mehrmals abgelehnt.“

Dröge klingt ruhig, als sie Rede beginnt, aber dann wird sie lauter. „Wenn Sie das selber glauben, was Sie gesagt haben, warum haben Sie nicht eher gehandelt?“, ruft sie Merz zu. „Wir müssen erkennen, dass das Ihr Politikprinzip ist: nicht immer ehrlich zu sein.“ Merz schaut auf sein Handy, er wischt mit seinem Finger über den Bildschirm.

Dröge: „Vorschlag, wo Klimaschutz nicht vorkam“

Der CDU-Chef legt sein Telefon erst weg, als Dröge beginnt, über Klimaschutz zu sprechen. Sie ist nun richtig laut geworden. „Sie haben einen Vorschlag für eine Grundgesetzänderung gemacht, wo Klimaschutz nicht vorkam“, hält sie Merz entgegen. „Eigentlich schon traurig genug, dass man dieses Wort nicht einmal mitdenkt! Als wäre die Zukunft unserer Kinder ein Privatproblem von Bündnis 90/Die Grünen!“ Ihre Fraktion klatscht laut und lange.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr hatte wohl nicht damit gerechnet, hier schon so bald wieder zu sprechen, nun aber tritt er ans Redepult – und nutzt seine Gelegenheit, er kritisiert Merz heftig. „Das Finanzpaket schafft die Schuldenbremse de facto ab“, sagt Dürr. Und es ist klar, dass das aus Sicht der Liberalen zu den schlimmsten Vergehen zählt, die sich eine Regierung leisten kann. Dürr zählt die Vorhaben von Union und SPD auf. „Das sind konsumtive Aufgaben, Herr Merz – und keine Investitionen in die Zukunft des Landes“, ruft er.

Auch AfD-Parteichefin Alice Weidel macht Merz schwere Vorwürfe. „Ihre Zeit ist abgelaufen, bevor sie überhaupt angefangen hat“, ruft sie ihm entgegen. Sie nutzt dessen eigenen Worte, um sie gegen ihn zu drehen. „Sie können es nicht“, ruft sie ihm entgegen. Es ist der Satz, den Merz dem Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz während einer Generaldebatte zur Haushaltskrise vorgehalten hatte. Ein Jahr später war es dann Scholz, der diese Worte Merz vorhielt. Das war im September 2024, gerade mal ein halbes Jahr ist es her. An diesem Tag wirkt das so fern, als seien die Worte in einer anderen Welt gefallen. Wohl auch für Friedrich Merz.

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Erstellt:
13. März 2025, 18:12 Uhr
Aktualisiert:
13. März 2025, 18:56 Uhr

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