„Frontaler Kick“ gegen betagten Radfahrer
19-jähriger Angeklagter hat vor dem Vorfall Alkohol getrunken

© Pressefotografie Alexander Beche
Archivfoto: A. Becher
Von Bernd Winckler
WEISSACH IM TAL/STUTTGART. Es war ein „Frontaler Kick!“ – so beschreibt ein heute 14-Jähriger im Zeugenstand vor dem Stuttgarter Landgericht am dritten Prozesstag die Tritte des 19-Jährigen auf einem Radweg bei Unterweissach im Tal gegen einen 78-jährigen Rentner. An jenem 23. Juni 2018 habe der Angeklagte durch die Tritte den möglichen Tod des Rentners („Versuchter Totschlag“) in Kauf genommen, heißt es in der Anklage. Der junge Zeuge, der an jenem Juninachmittag vor eineinhalb Jahren mit vier seiner Freunde – darunter dem 19-jährigen Angeklagten – auf dem Radweg zwischen Unterweissach und Aichholzhof auf einer Wiese und Bank saß, schilderte gestern dem Gericht auch deutlich seinen Eindruck über die Folgen der Fußtritte des Angeklagten in das Gesicht des Opfers: „Ich dachte da, der Mann wird jetzt sterben durch Verbluten!“ Der Angeklagte habe die Tritte „stampfend“ von oben gegen die Rippen und das Gesicht des 78-Jährigen ausgeführt, sagt der 14-Jährige. Er bestätigt, dass das Opfer hinterher offensichtlich schwere Kopfverletzungen erlitt. Rentner schimpfte angeblich: „Immer diese scheiß Jugendlichen“ Gleichzeitig sagt der Zeuge aber auch, dass der Radfahrer die fünfköpfige Jugendgruppe beim Vorbeifahren mit dem Satz: „Immer diese scheiß Jugendlichen“ provoziert habe. Ob er aber den Begriff „scheiß“, oder den Begriff „blöde“ hörte, weiß er nicht mehr. Ähnliches in Richtung Provokation berichtet auch die 17-jährige Freundin des Angeklagten, die damals ebenfalls auf dem Radweg dabei war: Man sei friedlich auf einer Bank und auch auf dem Boden gesessen, als der Radfahrer kam und sie mit dem Begriff „scheiß Kinder“ beleidigte. Ihr Freund – der Angeklagte – habe zu ihm gesagt, er solle weiterfahren. Doch dann sei der Mann abgestiegen und habe weiter provoziert. Erst da habe der 19-Jährige zugeschlagen. Ein 16-Jähriger weiß zu berichten, dass der 19-Jährige zuvor eine Art Alkoholgemisch (Wodka mit Energydrink) konsumiert habe. Bei Alkohol werde der Angeklagte stets aggressiv, wird von dem jungen Zeugen berichtet. Der 14-Jährige erinnert sich an einen solchen alkoholbedingten Vorfall zwei Wochen vor der Tat. Da habe der 19-Jährige auf einer Straße gegen ein fahrendes Auto Fußtritte verpasst. Als der Fahrer ausstieg, habe er diesem dann einen Faustschlag gegen das Auge gewuchtet. Die Sachverständige des Rechtsmedizinischen Instituts der Universität Tübingen hat in ihrem gestern vorgetragenen Gutachten die Kopfverletzungen des Opfers als „potenziell lebensgefährlich“ bezeichnet. Die Ärztin stellte fest, dass die Fußtritte des Angeklagten mit Turnschuh als „stumpfe Gewalt“ hauptsächlich gegen das Gesicht des 78-Jährigen eingewirkt hatten und dabei die Nasenscheidewand, das Nasenbein und die Leiste gebrochen wurden. Dazu noch zahlreiche Prellungen am Jochbein, Wange, Mund bis hin zum Brustbein und Rissquetschungen mit einer Verschiebung von Organen im Gesichtsbereich. In der CT-Tomografie in der Klinik wurden die Frakturen mit leichter Gehirnblutung diagnostiziert. Vier Wochen später wurde die Blutung durch eine Gehirnöffnung erfolgreich entfernt. Grundsätzlich, so die Gutachterin, seien Tritte dieser Stärke immer lebensgefährlich. Das Opfer trug einen Fahrradhelm, das hat das Schlimmste verhindert. Der Angeklagte hatte angegeben, vor der Tat reichlich Wodkagemisch mit Energydrinks konsumiert zu haben. Dazu hat die Sachverständige einen zur Tatzeit bezogenen Alkoholwert von höchstens 0,5 bis 1,2 Promille errechnet – „weit entfernt von einer alkoholbedingten Enthemmung“.