Der Rechtsstaat ist bedroht
Für den Schutz der Schwachen
Der Rechtsstaat in der Demokratie ist gefährdet wie selten zuvor. Ihn zu schützen ist Aufgabe aller, kommentiert Franz Feyder.
Von Franz Feyder
Reden wir über ein Schaf – und damit über unsere Zukunft. Über Demokratie. Und vor allem über den Rechtsstaat. Und dass das eine mit dem anderen erst einmal auch gar nichts zu tun hat. Eine Richterin erklärte das kürzlich so: In einem Staat leben zwei Wölfe und ein Schaf. Die Frage des Abendessens ist in dieser Gesellschaft schnell geklärt: Zwei Wölfe – lecker Schaf. Das ist Demokratie: die Mehrheit entscheidet – schade für das Schaf.
Nicht so im Rechtsstaat. Hier überlebt das Schaf. Der Rechtsstaat schützt auch die Würde des Einzelnen, sein Leben, sein Eigentum. Seine freie Meinung, das Recht zu demonstrieren. Die Ewigkeitsgarantie unseres Grundgesetzes sichert Demokratie und Rechtsstaat. Sie garantiert die Würde jedes Einzelnen. Die Würde von Kindern, von Alten, Schwachen, Kranken, Migranten, von denen, die durchs Raster fallen. Seien wir ehrlich: Jeder von uns kennt Stunden und Phasen im Leben, wo wir deutlich mehr Schaf als Wolf sind.
Rechtsstaat und Demokratie ergänzen sich. Sie kontrollieren sich, zeigen einander Grenzen auf, entwickeln sich gemeinsam weiter. Das ist nach 1945 ein unermesslicher, oft verkannter, oft nicht wertgeschätzter Reichtum für Deutschland geworden: Wir leben in einem Rechtsstaat in der Demokratie, in einer Demokratie im Rechtsstaat. Der ist vielfältigen Angriffen von außen, aber auch mitten aus unserer Gesellschaft ausgesetzt.
Deutschland ist für Terroristen längst von einem Logistik- und Ruheraum zu einem Einsatzgebiet geworden, wie der mutmaßliche Terroranschlag auf dem Mannheimer Marktplatz zeigt, der einem Polizisten das Leben kostete. Russland greift in einer hybriden Kriegsführung Deutschland an: es spioniert, sabotiert wie in der Ostsee mit der sogenannten „Schattenflotte“ Putins. Dessen digitale wie menschliche Trolle kübeln falsche und zutiefst manipulierende Informationen in die Wohnzimmer, Gehirne und vor allem Seelen der Menschen in Deutschland.
Im Inneren beansprucht der Parteivorsitzende der AfD, Tino Chrupalla für sich und seine Partei alleine, „hier das Grundgesetz zu vertreten“, Parteigenossin Irmhild Boßdorf schert sich nicht um unliebsame Gerichtsurteile, „egal was der Europäische Gerichtshof dazu sagt“. Ohne einen Beweis zu erbringen plärrt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke ins Land: „Deutschland ist kein Rechtsstaat mehr!“ Das Gegenteil ist der Fall: Richterinnen und Richter, Staatsanwälte und Justizwachtmeister kämpfen täglich um einen starken, transparenten Rechtsstaat. Davon kann sich jeder überzeugen, denn Gerichtsverhandlungen sind öffentlich. Besucher wie Journalisten machen deutlich, wo Richter unverständlich argumentieren, kritisieren offen deren Entscheidungen. In Polen und in Ungarn wurde der Rechtsstaat von der nationalistischen PiS-Partei und von Premier Viktor Orban systematisch ausgehöhlt. Alleine das zu beheben, werde Jahre dauern, sind sich internationale Experten einig.
Öfter mal widersprechen
Das System der gegenseitigen Kontrolle von Rechtsstaat und Demokratie funktioniert in Deutschland. Dennoch krankt die Justiz hierzulande im Vergleich innerhalb der EU an zu wenigen und unterbezahlten Richtern und Staatsanwälten, an zu wenigen Fachangestellten in der Justiz. Was hier fehlt: Das Bewusstsein, wie wertvoll unsere Demokratie und unser Rechtsstaat sind. Ein Schatz, den jeder einzelne verteidigen muss. Ein erster Schritt wäre schon, einfach nur zu widersprechen, wenn wieder jemand blökt, Deutschland sei kein Rechtsstaat mehr. Das sind wir uns selbst schuldig, mehr noch: jeder braucht den Rechtsstaat. Eben weil wir alle ab und zu einmal Schaf sind.