Für die SPD liegt im Dialog die Rettung
Das Überleben der Partei hängt von ihrer Fähigkeit ab, gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden.
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© dpa/Kay Nietfeld
Zwei SPD-Kanzler, als Statue und auf dem Bildschirm: Willy Brandt und Olaf Scholz
Von Tobias Peter
Berlin - Es ist ein historisches Debakel. Die 16,4 Prozent für die Sozialdemokraten sind das schlechteste Ergebnis, das die älteste Partei Deutschlands seit 138 Jahren bei einer nationalen Parlamentswahl erzielt hat. Der erste und wichtigste Grund hat einen Namen: Olaf Scholz. Viele Wähler sahen die Sache folgendermaßen: Sie hatten die Wahl, bei einem einzusteigen, der gerade ein Auto vor die Wand gefahren hatte. Oder bei einem, der noch nie eins gefahren hatte. Da haben sie sich lieber für den Unerfahrenen entschieden, für Friedrich Merz.
Für Merz, die SPD und das Land ist Schwarz-Rot – die Sondierungsgespräche haben gerade in Berlin begonnen – nun der einzige realistische Weg. „Wenn jetzt die Demokraten nicht die Probleme lösen und es besser machen als die Ampel-Regierung, dann werden die krassen AfD-Ergebnisse aus dem Osten auch im Westen ankommen“, warnt Mecklenburg-Vorpommerns sozialdemokratische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig. Für die SPD bedeutet das, dass sie jetzt erfolgreich regieren muss. Gleichzeitig muss sie die Gründe für ihr lange anhaltendes Siechtum analysieren, das von Scholz’ überraschenden Wahlsieg im Jahr 2021 lediglich unterbrochen worden war.
Das elementare SPD-Problem ist eines, mit dem auch die CDU zunächst einmal zu kämpfen hat. Wie Kirchen und Gewerkschaften auch bekommen die Parteien zu spüren, dass viele Menschen sich nicht mehr an sie binden wollen. Gleichzeitig hat in den Coronajahren die Gereiztheit zugenommen. Es gibt eine aggressive Erwartung an die Politik, genau das zu liefern, was man selbst will. Es fehlt oft an der Einsicht, dass Kompromisse notwendig sind.
Der SPD wird oft vorgehalten, sie habe „den Arbeiter“ zu sehr aus den Augen verloren. Das trifft einen wunden Punkt, springt aber in der Analyse zu kurz. Erstens sind auch Arbeiterinnen und Arbeiter keine homogene Gruppe, sondern haben unterschiedliche Lebenswelten und Sichtweisen. Zweitens war die SPD immer dann erfolgreich, wenn sie es schaffte, ein gesellschaftliches Bündnis zwischen sehr unterschiedlichen Milieus zu schmieden. Das galt für Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.
Der Stahlarbeiter, die Frau an der Supermarktkasse, die Lehrerin – sie alle muss die SPD erreichen. Zur ihrer DNA gehört auch, ein faires Angebot an Langzeitarbeitslose zu machen – was nicht bedeutet, dass man diesen Menschen keine Anstrengung abverlangen dürfte. Im Idealfall organisiert die SPD in ihrer Partei den Dialog zwischen diesen Gruppen. Allein, das gelingt kaum noch.
Die SPD wird sich nicht selbst retten, indem sie, wie von Merz erhofft, ganz und gar auf die CDU-Linie in der Flüchtlingspolitik einschwenkt. Ihre Existenzberechtigung liegt darin, die Menschen, die Stress mit den Asylbewerbern in der Unterkunft nebenan haben, mit jenen zusammenzubringen, die sich für Geflüchtete einsetzen. Das Ziel sind gemeinsame Lösungen. Ist das utopisch? Einst nannte man die Gruppe, der das gelang, Volkspartei. Je stärker die Sozialdemokraten in diesem Feld agieren, umso besser können sie sich nachhaltig vor zu starken Schwankungen in Wahlen schützen. Dann hat die SPD eine Zukunft, weil sie gebraucht wird. Aber klar, jetzt braucht es schnelle Erfolge in der Regierung – auch im Kampf gegen irreguläre Migration.
Ein Fünkchen Hoffnung liegt für die SPD gerade in den schnelllebigen Zeiten. Wer viel verliert, hat auch viel zu gewinnen. Vieles hat mit der richtigen Person zur richtigen Zeit zu tun. Nicht auszudenken, wenn die SPD mit Boris Pistorius angetreten wäre. Dann gäbe es jetzt vielleicht viel über die Krise der CDU zu lesen.