„Game of Thrones“ hält den Spiegel vor

An diesem Wochenende startet die letzte Staffel der Hitserie – und spießt aktuelle Ängste auf

Manche Drohungen klingen ein bisschen gemütlich, weil sie Lösungen der angekündigten Krise sofort nahelegen. Egal, wie ominös jemand „Der Winter zieht herauf“ grollt, zumindest die ökonomisch Abgesicherten unter den Großstadtmenschen von heute überlegen allenfalls, ob sie doch noch einen Pellet-Ofen für mehr Gemütlichkeit im Wohnzimmer anschaffen sollen. Oder ob sie, der Feinstaubprobleme wegen, den paar kalten Tagen doch nur mit neuen gefütterten Stiefeln ihr bisschen Biss nehmen sollen.

„Der Winter zieht herauf“, auf Englisch „Winter is coming“, lautet aber auch die zentrale Horrorbotschaft der seit 2011 phänomenal erfolgreichen TV-Serie „Game of Thrones“. Und hier hat dieser Satz gar nichts Gemütliches mehr. Die brutalsten wie die verwöhntesten Herrscher dieser mittelalterlichen Fantasy-Welt haben dem Winter bislang nichts entgegenzusetzen: Er ist eine Endzeit, die große Auslöschung der vertrauten Zivilisation, eine Bedrohung, die alle anderen Händel der Menschheit als nichtigen Kram kenntlich machen sollte.

Dass die rivalisierenden und intrigierenden Herrscher, Hofschranzen und Söldner das nicht begreifen, dass sie zum eigenen Vorteil mit ihren gewohnten Kriegen und Machtspielchen weitermachen, obwohl aus dem Norden zusammen mit Frost und Schnee eine überwältigende Armee der Untoten heranzieht, ist der Spannungsgenerator dieser Serie. Dass es hier nicht um Gedankenflucht in abgehobene Fantasiewelten geht, dass vielmehr bissige politische Kritik ein außerordentlich unterhaltsames Spiel treibt, ist offensichtlich.

An diesem Wochenende startet in den USA wie in Deutschland die von Fans sehnlich erwartete achte und letzte Staffel. Was darin passieren wird, wagt kein Serienjunkie vorherzusagen: „Game of Thrones“ zeichnete sich bislang stets durch den rabiaten Umgang mit Hauptfiguren und Sympathieträgern aus. Reihenweise mussten sie erschlagen,erdolcht, vergiftet niedersinken. Darin ähnelt „Game of Thrones“ dem erfolgreichen Zombie-Serienhit „The walking Dead“.

Nein, Unterhaltung ist nicht bloß Firlefanz. Unter anderem ist sie ein feines Anzeigeinstrument für kollektive Befindlichkeiten. Bei „Game of Thrones“ schlagen viele Zeiger in den roten Bereich. Ein Zeitalter entflammter Ungewissheit scheint angebrochen, eine Epoche großer Widersprüche zwischen wirtschaftlichen Kennzahlen auf dem Papier und dem Krisengefühl vieler Bürger. Die ewige Vollkasko-Sicherheit der TV-Helden von einst genügt nicht mehr. Die Zuschauer haben sich schon vor einigen Jahren auch Figuren zugewandt, deren Leben andauernd viel radikaler auf der Kippe steht als das eigene in den schlimmsten Albträumen.

Und es geht eben nicht nur um Individuen. In „Game of Thrones“ bröseln, lange, bevor die Untoten kommen, die Staaten und Institutionen. Manische Egozentriker, verbohrte Ideologen, skrupellose Intriganten und sadistische Grenzdebile – solche Gestalten findet man hier in Thronsälen, an Kirchenspitzen und in Feldherrnzelten. Viele Unterdrückte, Idealisten und Reformer meinen sich zu erinnern, dass alles schon einmal besser war. Keiner weiß so recht, wie die alten Verhältnisse wiederherzustellen wären. Aber wer es schafft, mit Visionen vom großen Ausfegen der Ställe die Menschen um sich zu scharen, kann ganze Reiche ins Wanken bringen. Man kann das auf vielerlei Weise deuten, als Hoffnung oder Mahnung. Aber eines ist klar: Einer Welt, die für ihre Umweltprobleme, ihre sozialen Spaltungen, ihre Wertekrisen keine durchgreifenden Lösungen findet, wird in „Game of Thrones“ der Spiegel vorgehalten.

thomas.klingenmaier@stzn.de

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Erstellt:
13. April 2019, 03:14 Uhr

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