Gefährliches Hirndoping

Immer mehr Menschen wollen mit Kokain oder Ritalin ihre Leistung steigern – Experten schlagen Alarm

Studie - Eine Studie zeigt: Nach den USA boomt nun auch in Europa das sogenannte Hirndoping.Frauen zielen mit der Einnahme von Medikamenten vor allem auf mehr Erfolg, Männer auf mehr Sex.

London Wir jagen keine Bären und schleppen keine Baumstämme mehr: Die Zeiten harter körperlicher Arbeit sind in unseren Breiten vorbei. Doch unsere Psyche ist im Informationszeitalter dafür umso mehr gefordert. Viele Menschen glauben deshalb offenbar, pharmazeutisches Hirndoping betreiben zu müssen – beispielsweise mithilfe von Drogen wie Kokain oder mit Medikamenten wie Ritalin. Eine neue Studie sorgt nun für Aufruhr: Der Konsum dieser Mittel laufe aus dem Ruder, befanden Forscher.

Wer nimmt was in welcher Dosis und aus welchem Grund? Tausende Menschen werden jedes Jahr vom „Global Drug Survey“ nach ihrem Drogenkonsum befragt. Das unabhängige Projekt wird in London koordiniert und mit Unterstützung von Zeitungen und Zeitschriften in mehreren Industrienationen durchgeführt. Ein internationales Forscherteam um die US-Psychologin Larissa Maier von der University of California hat nun die Umfrageergebnisse von 2015 bis 2017 ausgewertet – von mehr als 100 000 Teilnehmern aus 15 Ländern. Der Fokus der Auswertung lag dabei auf den sogenannten Neuro-Enhancern. Dazu gehören – in der Regel illegale – Drogen wie Kokain, Ecstasy oder Cannabis und rezeptpflichtige Medikamente wie Ritalin, Dexamphetamin und Modafinil, die zweckentfremdet als Wachmacher sowie Lern- und Konzentrationshilfe eingesetzt werden. Es ist die größte Studie, die bisher durchgeführt worden ist.

Das Ergebnis: Von 2015 bis 2017 hat sich die Zahl der Befragten, die zu solchen Mitteln griffen, fast verdreifacht – von rund fünf auf knapp 14 Prozent. Wobei die Spanne zwischen den einzelnen Ländern enorm ist: Von fünf Prozent in Neuseeland bis zu 30 Prozent in den USA. Zwischen San Francisco und New York allerdings hat das pharmazeutische Doping des Gehirns auch schon Tradition – hier hat sich in den vergangenen Jahren relativ wenig verändert.

Die größte Steigerung gibt es vielmehr in Europa – fast so, als gäbe es hier einen Nachholbedarf. In England stieg die Quote der Hirndoper von fünf auf 23 Prozent und in Frankreich von drei auf 16 Prozent. Das ist mehr als das Fünffache in gerade mal zwei Jahren. In Deutschland hat sich der Wert fast verdreifacht, auf aktuell acht Prozent. Damit liegen die Deutschen im Ranking zwar im unteren Drittel, doch die Konsumenten von Modafinil etwa haben sich verfünffacht. Hauptanwender dieses Mittels sind Studenten und Geschäftsleute, die es als Wachmacher nutzen. Denn das Medikament wird normalerweise zur Behandlung von Narkolepsie eingesetzt – jener Krankheit, bei der Menschen spontan und mitten am Tag in einen tiefen Schlaf fallen können. Der Wachmachereffekt ist weitaus stärker als bei einer Tasse Kaffee.

Modafinil ist aus diesem Grund im Unterschied zu Kaffee auch rezeptpflichtig. Überhaupt müssen die meisten Neuro-Enhancer vom Arzt verordnet werden, wenn sie nicht sogar verboten sind. Was die Frage aufwirft, wie sie überhaupt in die Hände von so vielen Konsumenten gelangen.

Auch dies haben die Forscher um Larissa Maier ausgewertet – und herausgefunden: Fast jede zweite Person, die Mittel zur geistigen Leistungssteigerung einnimmt, bezieht diese aus dem Freundeskreis. Jede zehnte Person bekommt die Substanzen aus dem Internet oder von einem Dealer und sechs Prozent haben sie von einem Verwandten, der ein legales Rezept dafür hat. Bekommt etwa ein Patient mit Aufmerksamkeitsstörungen (ADS) Ritalin verschrieben, landet es am Ende demnach nicht selten bei einem Familienmitglied.

Gelegentlich aber kommt es offenbar auch vor, dass ein Arzt Ritalin verschreibt, obwohl gar keine ADS-Diagnose vorliegt. „Und ein Viertel dieser Patienten erhält von dem Mediziner keinen Hinweis auf die Risiken und Nebenwirkungen des Medikaments“, kritisiert Larissa Maier. Dabei wären entsprechende Warnungen durchaus angebracht. Denn Ritalin kann zu Herzrasen, zu Halluzinationen oder zu überschwänglicher Euphorie führen – und es hat mitunter Wechselwirkungen mit geläufigen Medikamenten wie etwa Blutdrucksenkern, Magensäureblockern und Antidepressiva.

Doch warum greifen die Menschen eigentlich zum Hirndoping? Auch dieser Frage haben sich Larissa Maier und ihr Team gewidmet. Tatsächlich sind die Motive für den Gebrauch der Neuro-Enhancer der Befragung zufolge recht unterschiedlich. „Frauen nutzen die Mittel als Lernhilfe, um Müdigkeit und Stress zu verringern, die Ausdauer zu erhöhen und auch, um Gewicht zu verlieren“, sagt Psychologin Maier. Bei Männern kämen als Motive die Steigerung der sexuellen Potenz und das Erreichen von High-Zuständen dazu. Insgesamt finden sich aber unter den Hirndopern genauso viele Männer wie Frauen. „Das häufigste Muster war die Einnahme der Mittel ein bis zwei Wochen vor einer Prüfung oder ein bis zweimal jährlich in einer besonders stressigen Arbeitsphase“, berichten die Forscher.

Noch ein Aspekt zeigte sich in den Daten der Forschungsgruppe: Die Menschen, die solche Neuro-Enhancer einsetzen, sind größtenteils offenbar zufrieden damit. Nur etwa zwei von zehn Nutzern wurden bisher in ihren Erwartungen enttäuscht. Mehr als die Hälfte sei zufrieden, sagt Maier: „Über 28 Prozent berichten sogar, dass ihre Erwartungen übertroffen worden sind.“ Kritiker sagen zwar oft, dass diese Mittel letztendlich wirkungslos seien, doch die Anwender selbst sehen das offenbar anders.

Die Wirkung des Hirndopings werde stark unterschätzt, warnen Psychologen. So seien Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen noch die harmloseren Folgen, sagte Psychologe Hans-Dieter Nolting im Zusammenhang mit einer Studie der Krankenkasse DAK. Demnach könne es zu Abhängigkeit und zu Veränderungen der Persönlich­keit kommen. Wirkung und Nebenwirkung stünden langfristig in keiner Relation zum Nutzen, so Nolting: „Im Gegenteil: Je häufiger man sich so stimuliert, umso wahrscheinlicher endet das im Burn-Out.“

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Erstellt:
11. Februar 2019, 03:04 Uhr

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