Gegen „sozialen Tod“: Pflegeheime lehnen Besuchsverbote ab

dpa/lsw Stuttgart. Kliniken machen wegen steigender Corona-Infektionszahlen die Tore dicht für Besucher. In Pflegeheimen denkt man nicht daran. Die wochenlange Isolation alter Menschen im Frühjahr 2020 ist allen Beteiligten noch in schlechter Erinnerung.

Immer mehr Krankenhäuser erlassen wegen der Corona-Ansteckungsgefahr Besuchersperren für Patienten - in den Pflegeheimen in Baden-Württemberg hingegen wird ein solch radikaler Schritt nicht in Betracht gezogen. Nach den Erfahrungen mit dem wochenlangen Besuchsverbot im Frühjahr 2020 ist diese Maßnahme tabu. „Die damalige Isolation war für Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter sehr belastend“, sagte Alexandra Heizereder, Sprecherin der Evangelischen Heimstiftung, der Deutschen Presse-Agentur. Dies zu vermeiden, sei Konsens unter den Betreibern und dem Gesundheitsministerium, betonte die Vertreterin des mit 90 Heimen mit 6300 Bewohnern und 7000 Mitarbeitern größten Pflegeunternehmens im Land.

Laut der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft steigt die Zahl der Kliniken mit Besuchersperre wegen steigender Corona-Infektionszahlen gerade deutlich an.

Für die Bewohner von Pflegeheimen würde ein solches Besuchsverbot nach Überzeugung des Landesseniorenrats den „sozialen Tod“ bedeuten. „Das darf es nie wieder geben“, sagte Verbandschef Eckart Hammer. Er fügte hinzu: „Auch dass Menschen allein sterben müssen, das darf einfach nicht wieder passieren.“

Menschen seien in Depression versunken, erinnert sich Marion Seigel, Sprecherin des Pflegeunternehmens Benevit (Mössingen). „Das war entsetzlich - alte Menschen brauchen die Nähe.“ Deshalb sei es bedauerlich, dass derzeit gruppenübergreifende Angebote wegen des Infektionsschutzes nicht mehr möglich seien. Aber begrenzt auf die jeweilige Wohngruppe würden Aktivitäten wie Gymnastik mit immensem Personalaufwand aufrechterhalten. „Die Mitarbeiter zerreißen sich gerade“, sagte die Vertreterin des Unternehmens mit 26 stationären Einrichtungen in fünf Bundesländern.

Nach Ansicht der Heimstiftung wäre eine Impfpflicht für das Personal in Heimen das beste Mittel, um die hochbetagten und oft kranken Bewohner vor Ansteckung zu schützen. Bei der Impfquote sei noch Luft nach oben. Sie betrage 70 Prozent. Zusätzliche zehn Prozent könnten sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen. „Und die Zahlen stagnieren“, kritisierte Heizereder. Derzeit gebe es 40 Infizierte in 20 Einrichtungen der Heimstiftung.

Auch Seniorenvertreter Hammer persönlich tendiert zur einer Impfpflicht für alle Menschen, die beruflich mit vulnerablen Gruppen Kontakt haben. Das Beispiel Frankreich zeige, dass die Impfpflicht für Pflegepersonal nicht zu einer Abwanderung der Beschäftigten im großen Stil führe.

Nach Corona-Ausbrüchen in Benevit-Pflegeheimen, zu denen auch das Haus Fehlatal in Burladingen (Zollernalbkreis) gehört, zieht Geschäftsführer Kaspar Pfister Konsequenzen und stellt ab Dezember ungeimpfte Mitarbeiter frei. Die Impfquote beim Personal lag bis vor kurzem noch bei 50 Prozent.

Mit Blick auf die Besucher plädiert die Heimstiftung für eine Zugangsbeschränkung für nicht Geimpfte. „Es braucht 2G im Pflegeheimen, also Zutritt nur für Genesene und Geimpfte plus regelmäßige Tests für Bewohner, Angehörige, Gäste und Beschäftigte“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Heimstiftung, Bernhard Schneider. Vermutlich werde es auch dadurch keine 100-prozentige Sicherheit geben. „Wir müssen aber zu 100 Prozent versuchen, alle Risiken zu minimieren und die Einrichtungen offen zu halten“, unterstrich Schneider. Etwa die Hälfte der Bewohner und Bewohnerinnen hat eine Auffrischungsimpfung erhalten, wobei die Heimstiftung sich mehr mobile Impfteams wünschen würde.

Mit der Alarmstufe gelten in den Seniorenheimen bereits verschärfte Besucherregelungen, allerdings im kleinen Umfang. Ab Mittwoch ist immer nur das Zusammentreffen des Bewohners mit einem nicht immunisierten Besucher möglich. Bislang durften bis zu fünf nicht immunisierte Menschen mit negativem Test zeitgleich einen Bewohner besuchen. Anlass für solche Treffen waren etwa Geburtstagsfeiern. „Zeitlich versetzt kann ein Bewohner immer noch fünf oder mehr ungeimpfte Besucher am Tag nacheinander empfangen“, erläutere Heizereder. Allerdings hielten sich die Angehörigen mit ihren Besuchen schon etwas zurück und kämen schon gar nicht in größeren Gruppen.

Weitere Neuerung in den Heimen aufgrund der Alarmstufe: Die Bewohner werden zwei Mal in der Woche auf Corona getestet statt wie bisher ein Mal. Unverändert müssen sich geimpfte Mitarbeiter zwei Mal pro Woche testen lassen oder selbst testen. Nicht immunisierte Menschen müssen das vor jedem Dienst tun.

© dpa-infocom, dpa:211118-99-44734/4

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Erstellt:
18. November 2021, 09:26 Uhr

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