Erdbeben auf Santorini
Gehen oder Bleiben? - "Nun sind wir beinahe allein auf der Insel“
Auf der griechischen Insel Santorini bebt seit Wochen die Erde. Es könnte noch schlimmer kommen. Dennoch harren viele Bewohner aus. Ihre Angst spielen sie herunter.
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© imago/One Inch Productions
Bedrohte Idylle: Santorinis Hügel könnten ins Rutschen kommen.
Von Lukas Moser
"Sollte das große Beben kommen, müssen wir zusammen sein. Das Haus verlasse ich nur gemeinsam mit Frau und Kind“, erklärt Gregory, Inhaber einer Touristenagentur in Kamari im Osten von Santorini. Er ist einer jener Bewohner auf der von Erdbeben geplagten Inselgruppe, der geblieben ist. Ein Großteil der Anwohner beobachtet die weitere Entwicklung vom sicheren Festland aus.
„Kamari ist eine relativ neue Stadt, allein deshalb muss man hier weniger Angst haben. Je neuer die Häuser sind, desto erdbebensicherer sind sie, aufgrund der gesetzlichen Vorgaben“, erklärt Gregory und ergänzt mit leichter Ironie: „Da geht es um Leib und Leben. Es dürfte die einzige Vorgabe sein, an die wir Griechen uns halten.“
Gregory und seine Frau Elissavet machen es von ihrem Sohn Peter abhängig, wie lange sie auf der Insel bleiben: „Er hat im Gegensatz zu vielen anderen Kindern hier keine Angst. Das Erdbeben gestern am Abend hat er kaum noch wahrgenommen.“ Falls er jedoch mit der Situation nicht mehr gut klarkomme, würden sie die Koffer packen. Gregory selbst stammt aus Kalamata, kam erst vor 15 Jahren nach Santorini. In seiner Heimatstadt erlebte er das schwere Erdbeben im Jahr 1986 hautnah mit. Damals wurden Tausende Gebäude zerstört, mindestens 20 Menschen kamen ums Leben. „Ich war bei meiner Großmutter, das ganze Dorf wurde dem Erdboden gleichgemacht. Ich weiß also, welche Zerstörungskraft Erdbeben haben können.“
Viele Bewohner, die vom Tourismus abhängig sind, geben sich gelassen: „Alles wird gut werden. Dieses eine Erdbeben haben wir schon gespürt, aber das sind wir doch gewohnt, ist nichts Besonderes“, erklärt Anna, Hotelbesitzerin im malerischen Oia. Alles sei sicher, die Touristen sollten sich nicht verunsichern lassen. Nur 40 Prozent ihrer aktuellen Gäste hätten ihre Buchung storniert, für März und April habe sie noch gar keine Stornierungen erhalten.
Tatsächlich sieht man sie vereinzelt, die Touristen. Eine junge Frau aus Paris sucht einen Instagram-Hotspot, um Fotos zu machen. Angst verspüren sie und ihr Partner keine. „Alles hat auch Vorteile, nun sind wir beinahe allein auf der Insel“, erklärt sie.
Und damit hat sie durchaus recht, denn hier, wo sich auch abseits der Saison immer mehr Touristen durch die Gassen zwängen, herrscht Stille. Blickt man von oben auf die Gassen Oias, erkennt man nur einige herumstreunende Katzen, die von Einheimischen gefüttert werden.
Nur ein einziges Restaurant und eine Bar haben in Oia geöffnet. Auch sie sind kaum besucht. Offiziell leben rund 15 000 Menschen auf Santorini, während der Saison sind es rund 28 000. Viele Einwohner sind vor den Erdbeben aufs Festland geflohen – teils unter chaotischen Umständen. Kaum auszudenken, wie das in der Hochsaison bei fast doppelt so vielen Einwohnern und noch einmal rund 100 000 Touristen aussehen würde.
Darauf versucht sich Santorini vorzubereiten. Die Einsatzkräfte stehen auf der Insel auf Abruf: „Insgesamt sind 150 Feuerwehrleute auf der Insel in ständiger Alarmbereitschaft“, berichtet Feuerwehrmann Stavroula vor einem großen roten Bus stehend. Das Fahrzeug ist die Kommandozentrale. 45 Einsatzkräfte seien darüber hinaus am nahen Flughafen stationiert, sodass die Einsätze im Notfall von zwei Punkten der Insel aus koordiniert werden könnten. „Wir sind am Abwarten. Mehr können wir nicht tun.“
Die Hauptgefahrengebiete auf der Insel konzentrieren sich auf zwei Bereiche: Erstens die Caldera, eine Meereszone, gesäumt von steil abfallenden Klippen. Dort stünden die Wohnhäuser und Hotels im wahrsten Sinne des Wortes auf der Kippe, erklärt ein Bewohner der Hauptstadt Thira. Immer öfter habe man in unverantwortlicher Art weiter in Richtung Klippe gebaut, oft sogar inklusive schwerer Pools, die angesichts des porösen Vulkangesteins bei Erdbeben eine große Gefahr darstellen.
Gefährdet sind auch die alten Dörfer, die nur zu Fuß erreichbar sind. Eine schnelle Flucht ist daher fast unmöglich. Die Häuser stehen eng beieinander. „Flüchtet man aus dem einen, könnte das nächste dich beim Zusammenfallen erschlagen“, berichten einige Männer am Strand. Sie engagieren sich in einer freiwilligen „Bürgerwehr“, um Einbrecher abzuschrecken. In fix eingeteilten Schichten patrouillieren sie durch die Nachbarschaften. Unterstützt werden sie im Kampf gegen Plünderungen von 50 Polizisten, die vom Festland angefordert wurden und in Zivil unterwegs sind.
Wie verlassen die Insel ist, teilt sich dem Besucher derweil akustisch mit. Singvögel werden von Möwen übertönt, dazwischen jaulen die Hunde. Eine Greisin, die hiergeblieben ist und auch nicht gehen möchte, lebt von der Hoffnung: „Vielleicht haben wir das Schlimmste bereits überstanden.“ Eine Hoffnung, der Manuel Hobiger, Seismologe beim Erdbebendienst des Bundes an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, eine Absage erteilen muss: „Ja, wir sehen wirklich, dass die Aktivität seit dem 12. Februar leicht abgenommen hat. Ob dieser Trend anhält, wird sich allerdings erst zeigen. Ein stärkeres Erdbeben kann für die Zukunft leider nicht ausgeschlossen werden.“ Genau so verhalte es sich auch mit damit zusammenhängenden Tsunamis oder einem etwaigen Vulkanausbruch, wobei es dafür aus seismologischer Sicht derzeit keine Anzeichen gebe.
Doch sollte die Katastrophe doch passieren, womit müsste man im Worst Case dann rechnen? Hierfür reiche ein Blick in die Vergangenheit, so der Experte: „1956 ereigneten sich innerhalb weniger Minuten zwei Erdbeben der Magnitude 7,7 bzw. 7,2 in der Region, die auch einen Tsunami auslösten. 1650 brach der unterseeische Vulkan Kolumbos nordöstlich von Santorini aus, was auch mit starken Erdbeben und einem Tsunami einherging.“ Jetzt könnte theoretisch sogar noch schlimmer kommen. Hobiger: „Der wirkliche Worst Case wäre unzweifelhaft ein erneuter Ausbruch des Vulkans von Santorini, wie er sich vor rund 3600 Jahren ereignete.“ Auf solch ein Szenario deute momentan allerdings nichts hin.
Der ausgerufene Notstand auf Santorini bleibt indes bestehen. Veranstaltungen in geschlossenen Räumen sind weiterhin verboten. Man habe es mit einem noch nie dagewesenen Phänomen zu tun, so Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. Der Staat sei in Alarmbereitschaft. Mitsotakis ordnete an, dass die Schulen auf den Inseln Santorini, Anafi, Ios und Amorgos bis mindestens zum 21. Februar geschlossen bleiben.
Wann – und besonders wie – die Erdbebenserie endet, ist für Experten noch völlig offen. Klar ist aber zumindest, dass die Menschen vor Ort genauso wenig zur Ruhe kommen, wie die Erde unter ihnen. Das Credo lautet daher weiterhin: „Abwarten.“