Heiße Sommer
Geht dem Bodensee die „Puste“ aus?
Der Klimawandel behindert die Durchmischung des Bodensees. Jetzt warnen Wissenschaftler: Vor allem im kleineren Untersee ist die Versorgung mit Sauerstoff gestört. Es droht ein Fischsterben.

© Imago/Markus Keller
Der Untersee mit der Reichenau ist das Sorgenkind der Seenforscher am Bodensee.
Von Hildegard Nagler
Einem Teil des Bodensees droht aufgrund heißer Sommer förmlich die Luft auszugehen. Darauf haben Petra Teiber-Siessegger, Biologin am Institut für Seenforschung Langenargen, und Heinz Ehmann, Leiter der Abteilung Gewässerqualität und -nutzung im Umweltdepartement des Kantons Thurgau, hingewiesen. Demnach könnte im Untersee, der sich von Konstanz nach Stein am Rhein erstreckt, die Sauerstoffversorgung einbrechen, sagten die beiden Wissenschaftler beim Ökologieforum des Fördervereins Seenforschung. Für den 66 600 Fußballfelder großen Obersee zwischen Bregenz und Bodman-Ludwigshafen, der 90 Prozent der Fläche des Bodensees ausmacht, sehen sie diese Gefahr aktuell noch nicht.
Sauerstoff gelangt auf zwei Hauptwegen in den See. Zum einen kann die Luft durch den Wind, über Zuflüsse und durch seitliche Strömungen in den Flachwasserzonen eingetragen werden. Der zweite Weg ist die Fotosynthese der Pflanzen. Grüne Algen entnehmen mit Hilfe des Sonnenlichts dem Wasser Kohlendioxid, vermehren sich, bauen ihre Zellen auf und setzen Sauerstoff frei. Auch höhere Wasserpflanzen produzieren Sauerstoff. Das Problem: das Wasser muss sich durchmischen, was aber nur geht, wenn überall die gleiche Temperatur herrscht.
Das Wasser braucht nur einen Monat
Das ist im Winter der Fall, wenn auch die Oberfläche abkühlt. Im Sommer ist das Wasser hingegen geschichtet. Ziemlich schnell fließt es dann durch den Untersee weitgehend oberflächlich in Richtung Stein am Rhein ab. „Während der geschichteten Phase geht man davon aus, dass das Wasser einen bis zwei Monate im Untersee bleibt, dann verabschiedet es sich Richtung Rhein und Basel“, sagt Ehmann. Im großen und sehr viel tieferen Obersee bleibt das Wasser hingegen durchschnittlich 4,3 Jahre.
Bisher waren die Sauerstoffverhältnisse im Rheinsee in 15 Meter Wassertiefe mit vier Milligramm noch ausreichend. Doch schon 2003, als es sehr trocken war, „kratzte“ der Sauerstoffgehalt in 15 Meter Wassertiefe an der Grenze, die laut Schweizer Gesetz als ungenügend gilt. Auch 2018 war ein sehr trockenes, 2022 ein trockenes und heißes Jahr. „Da sieht man plötzlich, wie der Sauerstoffgehalt in 15 Meter Tiefe zusammenbricht, dann nur noch 1,5 oder vielleicht 2 Milligramm Sauerstoff vorhanden sind“, so Ehmann. „Auf 12,5 Meter Tiefe sah es nicht viel besser aus. Das zeigt, dass sich die Sauerstoffverhältnisse vom Seerhein verschlechtern.“ Insgesamt ist der Untersee bis zu 45 Meter tief mit vielen Flachwasserzonen.
Es droht ein Fischsterben
Anders ist die Situation im deutlich tieferen Obersee. „Mit dem heutigen Kenntnisstand geht ihm nicht die Puste aus“, sagte Ehmann. „Was ich nicht weiß: Wie es die nächsten 15, 20 Jahre aussieht, wenn wir wider Erwarten 15 Jahre Verhältnisse wie 2018 hintereinander haben.“ Für den Untersee dagegen sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass „wir die Frage, ob ihm die Luft ausgeht, mit einem Ja beantworten müssen“.
Schaue man sich den Klimawandel und das theoretische Wissen dazu an und berücksichtige die Messwerte, wonach die Zirkulation des Sees geringer wird, „hat es Auswirkungen auf die Sauerstoffverhältnisse im Unter- oder im tiefen Wasser“. Noch liegen hochaufgelöste Daten einer Messboje im Untersee nicht vor. Dennoch warnt Ehmann, dass heiße Sommer dazu führen könnten, dass schon ab einer Wassertiefe von 15 Metern Sauerstoffmangel eintrete. Dies würde eine starke Verringerung des Lebensraums für viele Tiere und Pflanzen bedeuten. Die Konsequenz: Alle Wasserlebewesen, die auf Sauerstoff zum Leben angewiesen sind, müssen in geringere Wassertiefen und häufig in für sie nicht optimale Nischen ausweichen. In letzter Konsequenz drohe auch ein Fischsterben.