Geopferte Kinder

In Ostafrika werden Kinder entführt und aus rituellen Gründen umgebracht – Robert überlebte einen dieser Mordanschläge

In Uganda lassen Hexenmeister Jungen und Mädchen umbringen. Ihren Kunden versprechen sie dafür Reichtum und Gesundheit. Jetzt kämpfen christliche und muslimische Geistliche gegen den tödlichen Aberglauben.

Buikwe Auf wackeligen Beinen müht Robert sich an der Hand seiner Pflegerin einen Hügel hoch. Alleine gehen kann er nicht. Zu tief hatte die Klinge des skrupellosen Medizinmannes sich in das Rückenmark des Jungen gebohrt. Zumindest hat Robert seine Stimme wiedergefunden. Nachdem er fast getötet worden war, weil ein Hexenmeister es auf sein Blut abgesehen hatte, sprach er über ein halbes Jahr kein Wort.

„Ich möchte Pilot werden“, flüstert Robert. Er spricht lieber über die Zukunft als über das, was ihm in der Vergangenheit angetan wurde. Deshalb erzählt Harriet Namubiru, seine engste Vertraute und Pflegerin, wie ihr Schützling vor zweieinhalb Jahren aus der Hütte seiner Großmutter in Uganda entführt worden war. Kurz darauf fand man ihn mit aufgeschnittenem Hals auf einem Feld. Sieben Operationen retteten zwar sein Leben, seine seelischen Wunden aber blieben. Seit jener Nacht hat Robert Angst vor fremden Männern, nachts wacht er oft weinend auf. Der oder die Täter wurden nicht gefasst.

Vor gut zehn Jahren kam es in Uganda zu einem plötzlichen Anstieg an rituellen Kindstötungen. Die britische Hilfsorganisation Humane Africa, das Kinderhilfswerk Unicef und die ugandische Menschenrechtskommission berichten, dass seitdem jedes Jahr Dutzende Jungs und Mädchen traditionellen Heilern zum Opfer fallen. Die kriminellen Medizinmänner versprechen ihren Kunden, dass das zu einem Zaubertrank verarbeitete Blut der Kinder, so wie jenes von Robert, und deren abgetrennte Gliedmaßen sie reich machen oder sie von Impotenz, Unfruchtbarkeit oder schweren Krankheiten heilen würden.

Auch in Nigeria, Swasiland, Liberia, Tansania, Namibia, Simbabwe, Mosambik und Mali gab es ähnliche Fälle. Vereinzelt wurden auch Erwachsene getötet oder Schwangeren der Fötus aus dem Bauch geschnitten. Doch meist fallen Kinder und Jugendliche den Verbrechen zum Opfer. „Die Kindstötungen sind keine alte Tradition. Dieses perverse Geschäft haben Heiler sich auf der Suche nach einer lukrativen Einkommensquelle erst vor ein paar Jahren ausgedacht“, berichtet Obed Byamugisha, Kinderschutzbeauftragter der Entwicklungshilfe-Organisation World Vision.

Der 16-jährige Moses ist eines der Opfer. „Abends kam jemand zu unserem Haus und sagte, dass er Arbeit für Moses habe. Moses ging mit, aber er kam nie zurück“, erzählt sein kleiner Bruder George vor der fensterlosen Lehmhütte der Familie. Fünf Tage nachdem Moses seine Familie in der Hoffnung auf ein paar Stunden schlecht bezahlte Arbeit verlassen hatte, fanden zwei Mädchen aus der Nachbarschaft beim Feuerholzsuchen Moses’ Leiche. Sein Schädel war rasiert, seine Halsschlagader aufgeschnitten. „Da haben sie Moses gefunden“, sagt George und zeigt auf einen bewaldeten Hang, in der Nähe der armseligen Hütte.

Für George war Moses nicht nur der große Bruder, der ihn beschützte. Mit seinen Gelegenheitsjobs versorgte er auch die ganze Familie. Seitdem Moses tot ist, geht George nicht nur mit Angst, sondern auch oft hungrig ins Bett.

Kurz nach dem Mord wurden drei Männer aus der Nachbarschaft festgenommen, doch schon bald kamen sie wieder frei. „Hier wissen alle, wer der Auftraggeber des Hexenmeisters war. Aber er läuft frei rum, weil er ein reicher, mächtiger Mann ist. Das macht mich so wütend! Wir fühlen uns so hilflos und ohnmächtig“, sagt Birungi Teffe. Die 68-jährige Nachbarin unterstützt George und seine Mutter, so gut sie kann. Öffentlich nennen will sie den Namen des Mannes, den sie für Moses’ Tod verantwortlich macht, nicht. Sie hat Angst, dass sie zum Schweigen gebracht werden könnte.

Auch wenn rund 85 Prozent der rund 40 Millionen Einwohner Ugandas sich zum Christentum und rund 14 Prozent sich zum Islam bekennen, ist der Glaube an die übernatürlichen Kräfte von Opfern weitverbreitet. Fast jeder Fünfte soll überzeugt sein, dass menschliches Blut zu Reichtum verhelfen kann. Mehr als die Hälfte aller Männer und Frauen soll regelmäßig traditionelle Heiler aufsuchen. Doch durch die rituellen Kindstötungen ist der ganze Berufsstand in Verruf geraten.

Um zu zeigen, dass sie eine von den Guten ist, hat Maatumani Judith Muneeya sich in ihrem kleinen Schrein ein Zertifikat des Verbandes der traditionellen Heiler Ugandas aufgehängt. Muneeya praktiziert im Bezirk Buikwe, in dem besonders viele Kinder dem fatalen Aberglauben zum Opfer fielen. „Ich würde niemals ein Kind töten oder töten lassen“, sagt die zweifache Mutter, die sich für die Göttin eines nahe gelegenen Flusses hält. Bei Schlaganfällen, Herzinfarkten oder einem unerfüllten Kinderwunsch könne sie helfen. Dafür verlangen die Götter ein Opfer. Ein Huhn, eine Ziege oder sogar eine Kuh. „Aber die Götter würden nie nach einem Kind fragen“, sagt die 38-Jährige.

Maatumani Judith Muneeya kennt Heiler, die das anders sehen. Einige von ihnen hätten Kinder geopfert. Die Mörder habe sie allesamt angezeigt. Obwohl die Polizei vor zehn Jahren mit einer neuen Spezialeinheit auf die sprunghaft angestiegene Zahl verschwundener und getöteter Kinder reagierte, erhalten die schlecht ausgestatteten und extrem korruptionsanfälligen Sicherheitskräfte aber nur selten solche Hinweise. Bisher sind nur wenige wegen der rituellen Tötung von Kindern verurteilt.

„Die Leute zeigen nicht ihre eigenen Verwandten oder Bekannten an. Außerdem haben sie Angst, dass die Hexer sie mit einem Fluch belegen oder die Täter sie töten könnten“, sagt Alex Wabwire, Polizei-Kommandeur des Distrikt Buikwe. Nicht zuletzt, weil er selbst zwei kleine Kinder hat, will er kriminellen Heilern endlich das Handwerk legen. Deshalb setzt er jetzt auf die Zusammenarbeit mit christlichen und muslimischen Religionsführern. „Oft sind sie einfach näher an den Menschen dran und haben einen größeren Einfluss“, gibt er zu.

Pastor Joseph Kayemba ist einer von ihnen. „Viele Leute glauben, dass das Opfern von Kindern schon in der Bibel vorkommt. Aber als Gott Abraham bat, seinen Sohn Isaak zu opfern, wollte er nur Abrahams Treue testen. Gott will nicht, dass Kinder geopfert werden. Menschen, die Kinder opfern, können keine Christen sein“, sagt der Vater von neun Kindern bei einem Treffen religiöser Führer in einer Schule in Buikwe.

Hier geht die zwölfjährige Gorette zur Schule. Mit den Geistlichen und ihren Lehrern hat sie darüber gesprochen, warum immer wieder Kinder verschwinden und später oft verstümmelt aufgefunden werden. „Die Menschen, die Kinder töten oder töten lassen, beten einen Teufel an, der ihnen verspricht, dass er sie reich machen kann“, sagt die Schülerin. Aus Angst, dass auch sie diesem Aberglauben zum Opfer fallen könnte, geht sie nur noch in Gruppen zur Schule und verlässt nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus ihrer Eltern. Das Mädchen, das Ärztin werden möchte, fordert, dass Uganda mehr Geld in Bildung und Aufklärung investiert, „dann würden die Leute begreifen, dass die Hexer sie belügen“.

Das Engagement der Imame und Priester wird von World Vision gefördert. In Buikwe und anderen Regionen, in denen christliche und muslimische Geistliche sich zum Schutz der Kinder engagieren, wurden zuletzt deutlich weniger Jungen und Mädchen verletzt und getötet. Obed Byamugisha ist deshalb zuversichtlich. „Wenn es uns mithilfe der Religionsführer gelingt, die Bevölkerung aufzuklären, die Polizei ihren Kampf verstärkt und Politik und Justiz endlich dafür sorgen, dass mehr Täter schneller verurteilt werden, können wir den Kampf gegen die brutalen Morde gewinnen“, sagt der Kinderrechtsexperte.

Für Robert, der sein Leben lang eine Narbe am Hals tragen wird, und für Moses, der hinter dem Haus seiner Mutter begraben liegt, kommen die geforderten Maßnahmen zu spät. Vielen anderen Kindern in Uganda aber könnten sie das Leben retten.

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Erstellt:
3. April 2019, 14:20 Uhr

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