Georg Enssle sagt den Bauern Ade

Fast drei Jahrzehnte lang an der Spitze des Landwirtschaftsamts in Backnang – Ein motivierender Chef mit liberalem Führungsstil

Fast drei Jahrzehnte war Georg Enssle Leiter des Landwirtschaftsamts in Backnang, das nach drei Namenswechseln nun doch wieder so heißt wie seinerzeit, als er die Stelle antrat. Ende August geht der 65-Jährige in den Ruhestand und kümmert sich um seine kleine Landwirtschaft. Seine Mitarbeiter lassen ihren Chef nur mit Bedauern gehen.

Beratung und Bildung der Landwirte waren für Georg Enssle stets die Hauptaufgaben des Landwirtschaftsamtes. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Beratung und Bildung der Landwirte waren für Georg Enssle stets die Hauptaufgaben des Landwirtschaftsamtes. Foto: A. Becher

Von Ute Gruber

BACKNANG. Groß sind die Veränderungen in dieser Zeit: Von den 3000 Landwirtschaftsbetrieben im Rems-Murr-Kreis damals ist nur noch ein Drittel übrig geblieben, die dafür aber statt neun Hektar heute im Schnitt 23 Hektar Fläche bewirtschaften. Drei EU-Agrarreformen gab es seit 1992, die den Landwirten vermittelt werden mussten. Dann ging‘s an die Umsetzung und die Kontrolle. Doppelt so viele Mitarbeiter als früher hat Amtschef Enssle deshalb heute: Wegen der saisonalen Antragsbearbeitung sind von den 45 Angestellten aber 20 in Teilzeit. Statt mit elektrischer Schreibmaschine und schränkefüllender, handgeschriebener Flurstückslisten und -karten erfolgt die Beantragung der Zuschüsse heute per Mausklick am PC – digitale Luftaufnahmen der Äcker und Wiesen werden verwendet. 132000 Flurstücke im Kreis mussten dazu erfasst werden. Dafür sollten auch die Landwirte am Computer geschult werden – für Ältere mitunter ein Buch mit sieben Siegeln.

Mit dem Wechsel des Dienstherren musste das eigene Gebäude mit Lehrsaal, -küche und -garten in der Hohenheimer Straße verlassen und ein Stockwerk im reinen Bürogebäude des Landratsamtes bezogen werden. „Das war wie eine Hofübergabe – man muss da erst seinen Platz wieder finden“, stellt Enssle fest. Inzwischen sei man da gut angekommen und man nutze die Lehrräume in der Berufsschule mit: „Vor allem die Lehrküche wurde ganz hervorragend eingerichtet.“ Ein Synergieeffekt also.

Neu dazugekommen ist die große Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit. Statt ländlicher Hauswirtschaft wird heute mit Verbrauchern ernährungsbewusst gekocht, bei „Lernort Bauernhof“ können Schüler die Erzeugung von Nahrungsmitteln hautnah erleben und verstehen, und im Rahmen der Gläsernen Produktion bieten Produzenten ihren Konsumenten einen Blick hinter die Kulissen – ein sehr erfolgreiches Format. „Am Anfang, vor 25 Jahren, hatten wir nur zwei Betriebe“, erzählt Enssle, der ein großer Fürsprecher der Direktvermarktung in unserer dicht besiedelten Landschaft ist, „heute kommen insgesamt 60000 Leute auf die 30 Betriebe im Kreis, welche über den Sommer einen Tag der offenen (Stall-)Tür anbieten“. 2000 Gäste bewirten, informieren und unterhalten – nicht gerade eine klassische Bauerntätigkeit...

Gewandelt haben sich auch die Ziele der Agrarpolitik: Als Georg Enssle Lehrling war im Nachkriegsdeutschland, stand die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung an erster Stelle. Heute würde vor lauter Naturschutz und Umwelt in der Bevölkerung oft vergessen, dass die Hauptaufgabe eines Landwirts sei, Lebensmittel zu erzeugen, stellt Enssle fest, „dass wir genug zu essen haben, ist scheint’s selbstverständlich“.

In den 1980er-Jahren schnellten die Kreditzinsen in astronomische Höhen, nach den hohen Investitionen standen viele Höfe nun vor dem Ruin. Als Mitarbeiter in der Beratung existenzgefährdeter Betriebe hat Enssle vielen Betrieben geholfen, ihre Schwachstellen zu beseitigen und sich neu zu organisieren. Anderen legte er nach der Betriebsanalyse nahe, die Landwirtschaft aufzugeben. „Hopp oder Topp, das war eine große Verantwortung“, erinnert sich der Berater, „das hat mich manchmal sehr mitgenommen“.

Immer lag Enssle das Wohl der Landwirtsfamilien am Herzen, sie sind seine „Kundschaft“. Sie kompetent zu beraten und bei einer sinnvollen Weiterentwicklung zu begleiten, hat oberste Priorität, auch für seine Mitarbeiter. Aus unzähligen Betriebsanalysen erkennt er an wenigen Werten sofort Stärken und Schwächen eines Betriebes und hat ein feines Gespür für die Menschen, denn „die persönlichen Neigungen und das Zwischenmenschliche sind oft entscheidender für den Betriebserfolg als die materiellen Gegebenheiten“.

„Beim Enssle hab ich endlich Betriebswirtschaft kapiert“

Seine Fertigkeit, betriebswirtschaftlich zu denken und zu handeln, vermittelt er mit unendlicher Geduld seinen – naturgemäß meist eher praktisch orientierten – Schülern in Fach- und Meisterschule, denen Schriftliches zumeist ein Graus ist. Mit Erfolg: „Beim Enssle hab ich endlich Betriebswirtschaft kapiert“, bestätigt etwa ein Meisterschüler der ersten Stunde, dessen Tochter inzwischen auch bei ihm Unterricht hat. „Wenn der Betrieb heute noch floriert, kann’s ja nicht ganz schlecht gewesen sein“, stellt der Pädagoge bescheiden fest. Stolz ist er auf die von ihm seit 1992 aufgebaute Fachschule für Nebenerwerbslandwirte und -winzer, die mittlerweile voll im Trend liegt: „Da haben wir jetzt sogar eine Warteliste.“ Unverändert würden 65 Prozent der kleineren Betriebe nach Feierabend bewirtschaftet, als Ausgleich zum Bürojob zum Beispiel. „Wir brauchen auch die“, hält Enssle fest, „ein Haupterwerbsbetrieb könnte viele kleine Flächen nicht wirtschaftlich betreiben“.

Für alle ehemaligen Landwirtschaftsschüler bietet der „Ehemaligenverein“, der Verein landwirtschaftliche Fachbildung RMK (VLF), ein großes Bildungsangebot, inklusive Lehrfahrt ins Ausland. Vorsitzender Roland Pscheidl lobt seinen Geschäftsführer über den Schellenkönig: „Wir verdanken dem so viel, dem Schorsch, er war immer ansprechbar für die Jugend.“ Frei nach dem Motto: Hast du ein Problem? Frag doch den Enssle!

Georg Enssles kompetente und zugleich bodenständige Mitarbeiter lassen ihren Chef nur mit Bedauern gehen, sein liberaler Führungsstil motivierte sie zu eigenverantwortlichem Arbeiten. Er ließ Freiräume und zeigte zugleich Interesse an ihrer Arbeit. Dabei habe er so manchen Ausflug oder Abschied mit fröhlichen Klängen aus seinem Akkordeon versüßt: „Er ist ein geselliger Mensch und immer gut gelaunt“, konstatiert Matthias Knodel, der seit 22 Jahren im Amt beschäftigt ist. „Da hat’s wirklich dick kommen können – den erschüttert nix. Alles wird sachlich geregelt.“ Brauchte er selbst mal kurzfristig frei, um seinen Weizen zu dreschen, habe der Chef es immer irgendwie möglich gemacht. Ab September beginnt Enssles neues Leben als Privatier. Die Enkel und die 20 Hektar in Heubach erwarten ihn schon.

Georg Enssle Zur Person

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Erstellt:
2. Juli 2018, 06:00 Uhr

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