Tödlicher Unfall auf Zebrastreifen: Gericht verurteilt Fahrer
Der Angeklagte hat im August 2021 am Kreisel der Sulzbacher Brücke in Backnang einen siebenjährigen Bub auf dem Zebrastreifen angefahren.
Von Heike Rommel
Backnang/Waiblingen. Der fahrlässigen Tötung hat das Waiblinger Jugendschöffengericht den Autofahrer schuldig gesprochen, der am Nachmittag des 9. August vergangenen Jahres am Zebrastreifen nach dem Backnanger Bleichwiesenkreisel einen siebenjährigen Jungen auf seinem Kinderfahrrad überfahren hat (wir berichteten). Der damals 19-Jährige muss 5000 Euro an den Vater des Kindes bezahlen, bekommt drei Monate Fahrverbot und muss ein Fahrsicherheitstraining absolvieren.
Rageb war erst sieben Jahre alt, als er am 9. August vergangenen Jahres von dem damals 19-jährigen Autofahrer aus Backnang erfasst wurde. Der Junge, der keinen Fahrradhelm trug, musste an der Unfallstelle reanimiert werden und erlag im Krankenhaus einem Schädel-Hirn-Trauma. Rageb war einem Freund hinterhergeradelt, der schon über den Zebrastreifen drüber war, als der 19-Jährige im SUV seiner Mutter von der Sulzbacher Straße in den Kreisel einfuhr, die Ausfahrt Talstraße nahm und auf dem Zebrastreifen das Kind übersah.
Besondere Sicherheitsvorkehrungen im Gericht
Über ein Jahr nach dem tragischen Verkehrsunfall saßen sich nun der junge Autofahrer und Ragebs Vater als Nebenkläger vor dem Waiblinger Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Martin Luippold unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen gegenüber. Im Vorfeld der Verhandlung hatte Ragebs Familie Rache angedroht, weshalb das Wachpersonal des Gerichts den Angeklagten zu schützen hatte. Die Verhandlung lief deshalb immer da nicht öffentlich ab, wo es um die Person des jungen Autofahrers ging.
Dessen Hintermann im Autoverkehr, zum Unfallzeitpunkt gerade von der Feuerwehr kommend, gab als Zeuge an, ihm hätte der damals 19-Jährige beim Einfahren in den Kreisel die Vorfahrt genommen. Er habe auch gesehen, dass dieser nach rechts unten in sein Auto anstatt auf die Straße geschaut und nicht gebremst habe. Er selbst habe seinen Wagen wegen der Missachtung seiner Vorfahrt voll abbremsen müssen. Nach dem Zusammenstoß sei er mit anderen Passanten zu dem lebensgefährlich verletzen Jungen gelaufen, der Blut erbrochen habe, schilderte der Zeuge den Unfall. „Es kamen auch recht schnell eine Ärztin, eine Krankenschwester und der Notarzt.“ Er selbst habe die Leitstelle informiert und die Unfallstelle so abgesichert, dass Rageb mit Decken vor zahlreichen Gaffern, die mit ihren Handys am Filmen waren, abgeschirmt werden hätte können.
Eine Ärztin versuchte, den Jungen wiederzubeleben
Eine 25-jährige Zeugin war vor dem Unfall die Dritte in der Reihe der Autofahrer. Sie sagte: „Beide Kinder sind auf ihren Fahrrädern im Abstand von zwei bis drei Metern hintereinander her gefahren und die waren schon schnell“, sagte sie. Die Frage von Richter Luippold, ob die beiden Jungen so eine Art Rennen gemacht hätten, bejahte die Zeugin: „Ich hatte das Gefühl, ein Kind will das andere einholen.“
Eine weitere Augenzeugin hatte erst kurz vor dem Unfall ihr Auto geparkt. Die 54-Jährige sah noch, wie die beiden Buben auf ihren Fahrrädern von der Sulzbacher Brücke auf dem Gehweg kommend den durch eine Verkehrsinsel unterbrochenen Zebrastreifen überquerten, bevor es zum Zusammenstoß kam, und setzte einen Notruf ab.
Gaffer haben den Einsatz erschwert
Eine Polizeibeamtin vom Backnanger Revier, die zur Unfallstelle musste, sprach von einer „riesengroßen Blutlache“. „Uns wurde gesagt, dass das Kind von einer Ärztin wiederbelebt wird“, berichtete sie und meinte auf die Gaffer bezogen, „es war viel zu viel los“. Sie habe Verstärkung anfordern müssen. Der Unfallverursacher habe gar nicht so richtig auf sie reagiert und ins Leere geschaut, beschrieb die Polizistin den Zustand des 19-Jährigen, der schon zwei Jahre den Führerschein hatte. Ab dem Unfalltag bis zum Tag der Gerichtsverhandlung war seine Fahrerlaubnis beschlagnahmt, er bekam sie aber zum Ende des Waiblinger Prozesses wieder ausgehändigt.
Dass eine Kripobeamtin kurz vor dem tödlichen Unfall Aktivitäten auf dem Handy des Unfallverursachers festgestellt hatte, konnte das Schöffengericht nur als Indiz werten. Der von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft beauftragte technische Sachverständige Jochen Spelsberg führte zur Vermeidbarkeit des Unfalls aus, wenn der Autofahrer seinen Blick auf die Straße gerichtet hätte, dann hätte er Rageb gesehen.
Leben mit seiner Schuld muss nun der junge Autofahrer, für den die Staatsanwaltschaft acht Monate Jugendstrafe auf Bewährung gefordert hat. Angeklagt war neben der fahrlässigen Tötung auch fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, die auf Rücksichtslosigkeit und grob verkehrswidrigem Verhalten basiert. Beides konnte das Gericht in diesem Fall nicht erkennen.
Der Vater von Rageb, mit seiner Familie 2016 aus Syrien gekommen, trauert um seinen Sohn. Über ihn gab Richter Luippold nach dem Prozess lediglich bekannt, dass er mit seiner Familie aus dem Krieg flüchten konnte und sich niemals hätte vorstellen können, dass sein kleiner Sohn bei einem Unfall in Deutschland ums Leben kommt.