Mitgehört in der Bahn

Geständnis aus dem Lautsprecher: „Ich weiß nicht, ob alle überlebt haben“

Die einen stellen den Lautsprecher ihres Telefons in der Stadtbahn an, die anderen hören ihre Sprachnachrichten in der Öffentlichkeit ohne Kopfhörer ab. Über einen Trend, der (leider) um sich greift.

Man könnte den Kopfhörer auch aufsetzen, wenn man eine Sprachnachricht abhört.

© IMAGO/Westend61/IMAGO/Jose Carlos Ichiro

Man könnte den Kopfhörer auch aufsetzen, wenn man eine Sprachnachricht abhört.

Von Viola Volland

Es ist voll in der Stadtbahn an einem Samstagabend um kurz nach 18 Uhr im Januar. Am Hauptbahnhof schieben sich die Leute in eine Bahn der Linie U 15 Richtung Stammheim. Der VfB hat gespielt (und gewonnen), die Fans sind gut gelaunt auf dem Nachhauseweg. Bei einem Vierer sind aber überraschend zwei Plätze frei. Ah, deshalb: Ein riesiger Hund mit dunklem Fell füllt den kompletten Fußraum aus. „Ein altdeutscher Hütehund“, wie man erfahren darf. „Der ist vom Aussterben bedroht, also die Art“, erzählt die Besitzerin, eine Frau mittleren Alters – nicht mir oder den Fans. Sie spricht es in ihr Handy, das sie direkt vor ihr Gesicht hält – und das, wie man gleich merkt, auf laut gestellt ist. Eine Erfindung namens Kopfhörer? Ist doch total überschätzt!

Es geht aber auch nichts über ein intimes Gespräch in der Stadtbahn per Videocall, an dem alle dran teil haben dürfen – nicht nur der amerikanische Nachrichtendienst. Mit ihrer Ansicht ist die Frau offensichtlich nicht alleine. Sie folgt nur einem Trend: Immer häufiger trifft man in der Öffentlichkeit auf Leute, die (gerne auch mal in ihrer Muttersprache) aufgeregte Telefongespräche auf (sehr) laut gestellt führen.

Aussteigen, wenn es nervt – im Zug geht das nicht

„Wie heißt noch mal die Rasse?“, fragt die Freundin am anderen Ende, die die Frau vielleicht nicht ganz so gut verstehen kann wie wir Mitreisenden aus der U 15. „ALT-DEUTSCHER-HÜTEHUND“, schreit diese also. Während der ein oder andere Fan irritiert guckt, schläft das beinahe ausgestorbene Haustier friedlich weiter. „Wie läuft’s beim Steinmetz? Ist es immer noch so schlimm?“ Die Antworten darauf kann ich hier leider nicht wiedergeben. An der nächsten Haltestelle musste ich aussteigen.

Aussteigen, wenn es nervt – das geht im Zug natürlich nicht. Auch ein ICE auf dem Weg von Bremen nach Stuttgart kurz nach dem Jahreswechsel war gut gefüllt. Viele Mitreisende waren auf dem Rückweg aus dem Weihnachtsurlaub. Darunter befand sich auch ein älteres Paar, das eigentlich so aussah, als wüsste es sehr gut, wie man sich im öffentlichen Raum benimmt. Doch das eine sind die Knigge-Regeln fürs Restaurant, das andere eben der Umgang mit dem neuen Lieblingsgerät und den sozialen Medien.

Wenn 30 Leute die Sprachnachricht mithören

SIE schaut auf ihr Smartphone, ER tippt auf seines. Kopfhörer haben beide nicht. „Huhu Ihr Lieben“, schallt plötzlich eine Frauenstimme unüberhörbar aus seinem Gerät, „ich muss Euch vorwarnen. Ich war mehrfach da und habe wirklich mein Bestes gegeben. Aber ich garantiere für nichts. Ich weiß nicht, ob alle überlebt haben.“ (Wie bitte? . . . Aber es geht ja schon weiter.) „Mein grüner Daumen ist einfach nicht so ausgeprägt. Aber keine Sorge, ich kaufe Euch alle Pflanzen, die es nicht geschafft haben, neu. Wie war es denn bei Euch? Ich hoffe, schön! Bussi!“ Der ältere Herr schüttelt belustigt den Kopf. „Das war die Anne“, sagt er überflüssigerweise zu seiner Frau. Ja, die Anne, denkt wahrscheinlich der halbe Wagen. Schickt eine Whatsapp-Nachricht an Joachim oder Klaus oder wie der Herr auch heißen mag, und 30 Leute hören zu.

Mein Mann hasst es ja, wenn ich ihn auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause anrufe. Er ist Bahnpendler und weiß, wie nervig telefonierende Mitreisende sind. Wenn er mich nicht mit den drei Worten „Bin im Zug“ abwürgt, bekomme ich selten mehr raus aus ihm als „Ja“, „Nein“, „später“ und „Tschüss“. Inzwischen weiß ich das zu schätzen.

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Erstellt:
1. Februar 2025, 08:10 Uhr
Aktualisiert:
1. Februar 2025, 10:53 Uhr

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