Außergewöhnliches Himmelsspektakel

Gewaltiger Sonnensturm lässt die Atmosphäre glühen und wirbeln

Der stärkste Sonnensturm seit 20 Jahren verursachte Mitte Mai aufsehenerregende Polarlichter und einen nie zuvor beobachteten Wirbel über der Erde. Forscher rätseln nun über dessen Einzigartigkeit.

Polarlichter sind am Himmel über der Nordseeinsel Norderney zu sehen.

© dpa/Volker Bartels

Polarlichter sind am Himmel über der Nordseeinsel Norderney zu sehen.

Von Rainer Kayser (dpa)/Markus Brauer

In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai traf ein ungewöhnlich starker Sonnensturm die Erde: Polarlichter waren nicht nur über Mitteleuropa und Nordamerika zu bewundern, sondern selbst von Teneriffa aus.

Doch der Sonnensturm sorgte nicht nur für spektakuläre Leuchterscheinungen, sondern auch für deutliche Veränderungen in der Hochatmosphäre, wie ein Forschungsteam aus den USA im Fachblatt „Geophysical Research Letters“ berichtet: Auf Aufnahmen des Spezialsatelliten GOLD stieß die Gruppe auf einen nie zuvor beobachteten Wirbel über der Nordhalbkugel der Erde.

#GRL: GOLD Observations of the Thermospheric Response to the 10–12 May 2024 Gannon Superstorm https://t.co/Vx8MF3pwScpic.twitter.com/XOKz8ZdBDL — AtmosSciBot (@AtmosSciBot) August 17, 2024

Einen solchen Wirbel hat man niemals zuvor gesehen

Von einem „entzückenden wirbelförmigen Muster“ spricht Scott England von der Virginia State University, der maßgeblich an den Beobachtungen und ihren Auswertungen beteiligt war. Einen solchen Wirbel habe man niemals zuvor gesehen.

Wie der Forscher erläutert, führen die an den magnetischen Polen der Erde herabströmenden elektrisch geladenen Teilchen eines Sonnensturms nicht nur zu den Polarlichtern, sondern heizen die Atmosphäre dort auch stark auf. „Die erhitzte Luft dehnt sich dann aus und strömt von den Polen weg in Richtung Äquator“, erklärt England weiter, und bilde dabei den beobachteten Wirbel heraus.

 

 

Größter Sonnensturm seit 20 Jahren

Unsere Sonne ist derzeit besonders aktiv und zeigt viele dunkle Flecken – kühlere Region – auf ihrer Oberfläche. Über solchen Flecken kann es zu plötzlichen Veränderungen des Magnetfelds kommen. Derartige Eruptionen katapultieren dann große Mengen an geladenen Teilchen ins Weltall hinaus. Am 10. Mai schleuderte die Sonne gleich sieben solcher koronalen Massenauswürfe Richtung Erde und löste damit den größten Sonnensturm seit 20 Jahren aus.

Die Erde ist zwar durch ihr Magnetfeld vor elektrisch geladenen Teilchen aus dem Weltall geschützt. Doch bei einem Sonnensturm gerät dieser Schutz ins Wanken. Viele Teilchen gelangen entlang der magnetischen Feldlinien hinab zu den Polen und lösen, wenn sie in der Hochatmosphäre auf Luftmoleküle treffen, die Leuchterscheinungen der Polarlichter aus. Aber die Stürme führen auch zu starken Schwankungen des irdischen Magnetfelds, die wiederum elektrische Ströme auslösen können.

Einzigartiger oder wiederkehrender Wirbel?

Mögliche Folgen sind Störungen in den Bereichen Kommunikation, Navigation und Energieversorgung. Bei dem Sonnensturm im Mai wurde insbesondere aus dem Mittelwesten der USA über Stromausfälle und Ausfälle von Navigationssystemen berichtet. Dadurch kamen beispielsweise automatisch fahrende landwirtschaftliche Maschinen von ihrem Kurs ab.

 

 

 

 

 

 

Auch die Lufthülle der Erde leidet unter einem Sonnensturm. England und seine Kollegen haben die Auswirkungen des Sonnensturms auf die obere Atmosphäre mithilfe des 2018 gestarteten Satelliten GOLD beobachtet. Der Name steht für „Global-scale Observations of the Limb and Disk“, also etwa „globale Beobachtung des Planetenrandes und der Erdscheibe“.

Dazu nutzt GOLD eine Ultraviolett-Kamera, deren Bilder den Forschenden die Temperatur und die Bewegung der Luft in der Hochatmosphäre zeigen. So sind sie auf die Aufheizung an den Polen und den Wirbel gestoßen.

Etwas Besonderes entdeckt?

„Unsere Beobachtungen werfen jetzt die Frage auf, ob wir mit diesem Wirbel etwas Besonderes entdeckt haben, das sich nur bei diesem Sonnensturm gebildet hat, aber nicht bei früheren“, so England, „oder ob wir aufgrund besserer Instrumente auf etwas gestoßen sind, das bei jedem Sonnensturm auftritt.“

Da in den kommenden Monaten mit weiteren Eruptionen auf der Sonne zu rechnen ist, hoffen die Forscher, diese Frage schon bald mithilfe weiterer GOLD-Beobachtungen beantworten zu können.

 

 

 

 

Einfache Skalen für ein kompliziertes Phänomen

Eben solche Phänomene wie Sonnenstürme veranschaulichen für den Weltraumwetter-Forscher Sean Elvidge ein Dilemma, mit dem sich seine Fachrichtung konfrontiert sieht. „Wie können wir wirksame Warnungen herausgeben und kommunizieren, wenn selbst ein so bedeutender Sturm nur wenig am Leben der meisten Menschen ändert?“

Ein Teil des Problems liege darin, wie Weltraumwetter klassifiziert werde, erklärt Elvidge, der an der britischen Universität Birmingham forscht. „Die derzeitigen Systeme sind vereinfacht, das Weltraumwetter ist es nicht.“

Stärke von Sonnenstürmen

Die Stärke von Sonnenstürmen wird laut Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in drei jeweils fünfstufigen Kategorien angegeben:

  • R für Radiostörungen: ausgelöst durch Röntgenblitze
  • S für Strahlungseffekte: verursacht durch hochenergetische Teilchen
  • G für geomagnetische Effekte: ausgelöst durch Plasmawolken.

Solche Skalen sind laut Elvidge von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht, Industrie und Regierungen das Risiko durch Weltraumwetter zu deutlichen. „Aber sie sind überholungsbedürftig“, meint der Forscher angesichts jenes geomagnetischen Sturms, der die Polarlichter im Mai verursachte.

Wie entstehen Sonnenstürme?

  • Koronaler Massenauswurf: Beim Sonnensturm spricht man auch von einem koronalen Massenauswurf (CME: Coronal mass ejection), bei dem Plasma ausgestoßen wird. Werden die Auswirkungen in großer Entfernung zur Sonne untersucht, so spricht man auch von interplanetarem koronalem Massenauswurf (ICME: Interplenatary coronal mass ejection).
  • Auslöser: Auslöser von Sonnenstürmen sind schlagartige Änderungen im Magnetfeld unseres Zentralgestirns. Da die Sonne sich am Äquator deutlich schneller dreht als an ihren Polen, verdrillt sich ihr Magnetfeld in einem elfjährigen Rhythmus. Es bilden sich eine Art magnetischer Schläuche, die an die Oberfläche durchbrechen können und dort kühle Zonen – die dunklen Sonnenflecken – erzeugen.
  • Massenauswurf: Treffen außerhalb der Sonne Magnetfeld-Schläuche aufeinander, kann es zu einer Art Kurzschluss kommen: Die Feldlinien ordnen sich schlagartig neu und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Die Folge: ein sogenannter koronaler Massenauswurf. Dabei wird elektrisch geladene Materie aus der heißen Sonnenatmosphäre – der Korona – mit hoher Geschwindigkeit ins All hinausgeschleudert.
  • Erde: Trifft ein solcher Massenauswurf auf das Magnetfeld der Erde, führt das einerseits zu wunderschönen Polarlichtern, könnte andererseits aber auch verheerende Folgen für unsere inzwischen weit höher entwickelte technische Zivilisation haben. So kann die empfindliche Elektronik von Satelliten gestört oder auch beschädigt werden. Stark schwankende Magnetfelder beeinflussen zudem elektrische Leitungsnetze und können zu Überlastungen von Transformatoren führen und großflächige Stromausfälle auslösen.

 

 

Sonne derzeit sehr aktiv

Die Zahl der Sonnenflecken ist nach Daten der US-Atmosphärenbehörde NOAA derzeit so hoch wie seit über 20 Jahren nicht mehr. Bis ans Mittelmeer waren unlängst Polarlichter zu sehen. Und das nächste Maximum der Sonnenaktivität mit besonders vielen Flecken und Ausbrüchen ist derzeit noch nicht erreicht.

Da die Häufigkeit der Sonnenflecken mit der Sonnenaktivität zusammenhängt, entstehen dann auch viele Sonnenstürme. Und die können je nach Richtung auch für die Erde brisant werden. In den nächsten Jahren wird es wahrscheinlich zu mehr Sonnenstürmen kommen.

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Erstellt:
21. August 2024, 14:40 Uhr

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