Irrlichternde Leuchtkäfer
Glühwürmchen leuchteten schon vor 99 Millionen Jahren
Im Blockbuster „Jurassic Park“ nutzen Wissenschaftler das Blut einer Mücke in einem Bernstein, um Dinosaurier auferstehen zu lassen. Im echten Leben interessieren sich Forschende eher für die Insekten selbst.
Von Markus Brauer/Doreen Garud (dpa)
Schon Dinosaurier konnten wohl Glühwürmchen sehen, denn Biolumineszenz dürfte es bereits bei Insekten in der Kreidezeit gegeben haben.
Eine neue Studie beschreibt ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt, das vor etwa 99 Millionen Jahren lebte. Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass es sich um ein Glühwürmchen (Lampyridae) handelt.
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Proceedings B“ der britischen Royal Society.
Flammarionella hehaikuni
Der neu beschriebene Käfer mit einem Licht erzeugenden Organ erhält den Namen Flammarionella hehaikuni. Wahrscheinlich sei der Käfer ein weiblicher Vorfahr der modernen Unterfamilie Luciolinae gewesen, schreibt das Forschungsteam um Chenyang Cai vom Nanjing Institute of Geology and Palaeontology in China. „Das Lichtorgan in der Nähe der Bauchspitze von Flammarionella ähnelt dem der heutigen Leuchtkäfer, die Licht produzieren.“
Jede Menge Käferfunde in einer Bernsteinlagerstätte
Es handele sich bei der Entdeckung um die zweite beschriebene Glühwürmchen-Art aus der Kreidezeit, dem Zeitabschnitt von vor 145 bis vor 66 Millionen Jahren. Außerdem wurden aus dieser Zeit bereits ein Federleuchtkäfer sowie ein leuchtender Käfer aus der fossilen Familie der Cretophengodidae entdeckt. Sie alle steckten jeweils in 99 Millionen Jahren alten Bernsteinen, die im Hukawng-Tal im Norden von Myanmar gefunden worden sind.
„Obwohl diese Fossilien aus derselben Bernsteinlagerstätte und demselben Zeitraum stammen, weisen sie eine Reihe von morphologischen Anpassungen auf, die mit Biolumineszenz in Verbindung gebracht werden“, erklärt der Erstautor. Das zeige, dass die Evolution in jener Zeit viele verschiedene lichterzeugende Organe hervorbrachte.
Möglicherweise hätten sich biolumineszente Käfer in einer Zeit zwischen dem späten Jura und der frühen Kreidezeit entwickelt, heißt es in der Studie. „Die zunehmenden Fossilienfunde von Lampyriden sind ein direkter Beweis dafür, dass die atemberaubenden Lichtspiele der verschiedenen Glühwürmchen bereits in der Kreidezeit etabliert waren“, heißt es darin.
Männliche Kleine Leuchtkäfer fliegen leuchtend in Mitteleuropa
Heute sind mehr als 2000 Arten von Leuchtkäfern beschrieben, wobei in Mitteleuropa nur drei Arten leben. Bei manchen dieser Arten können nur die Männchen fliegen, nicht die Weibchen, und nicht immer produzieren beide Geschlechter Licht. Sieht man hierzulande leuchtende fliegende Exemplare, sind das immer männliche Kleine Leuchtkäfer (Lamprohiza splendidula).
Dabei befinden sich die Leuchtorgane immer am Hinterleib. Gebildet wird das grüne Licht mit einer chemischen Reaktion: Luciferin wird durch das Enzym Luciferase in Oxyluciferin überführt. Bei dieser Reaktion wird Energie in Form von Licht frei. Die Leuchtorgane dienen Biologen zufolge zur Partnersuche oder zur Kommunikation.
Biolumineszenz als Abwehrmechanismus
Studien-Erstautor Chenyang Cai erklärt, dass sich die Biolumineszenz bei Käfern ursprünglich womöglich als Abwehrmechanismus entwickelt hat. „Das ausgestrahlte Licht könnte als Warnsignal für potenzielle Fressfeinde gedient haben, das anzeigt, dass die Käfer giftig oder ungenießbar sind.“
Diese Hypothese werde durch die Tatsache gestützt, dass viele Käfer bereits als Larven Lichtorgane besitzen, lange bevor sie geschlechtsreif sind, was auf eine Funktion jenseits der Balz hinweise.
Glühwürmchen mit langen, gezackten Fühlern
Der neu entdeckte Käfer ist etwa 8,5 Millimeter lang, 2,9 Millimeter breit, dunkelbraun und dicht behaart. Das auffälligste Merkmal seien die relativ langen, deutlich gezackten Fühler. In dieser Hinsicht unterscheide sich die neue Art stark von modernen Luciolinae, heißt es in der Studie weiter.
Diese hätten typischerweise fadenförmige, meist recht kurze Fühler. Trotzdem werde Flammarionella nun dieser Unterfamilie zugeordnet - verbunden mit der Hoffnung, dass bald weitere gut erhaltene Glühwürmchen aus der Kreidezeit entdeckt werden.
Eingeschlossen im Baumharz die Jahrmillionen überdauert
Erstautor Chenyang Cai erklärt, dass diese Hoffnung auch deswegen begründet sei, weil die Bäume in den Wäldern der Kreidezeit große Mengen an Harz produzierten. Der Harz habe die Bäume vor Schäden geschützt und gleichzeitig zahlreiche Insekten eingeschlossen. „Das Harz umschloss diese Organismen schnell und schützte sie vor Fäulnis, Verwitterung und Aasfressern, was schließlich zu außergewöhnlich gut erhaltenen Fossilien führte.“
Wie es in der Studie weiter heißt, weist das Glühwürmchen ungewöhnliche Veränderungen an den Antennen auf. Die tief eingeprägten ovalen Gruben an den Spitzen der Fühler-Segmente könnten dazu gedient haben, Gerüche wahrzunehmen. „Diese Art von Sinnesorganen in der Antenne wurden bei Glühwürmchen noch nie dokumentiert, ähnliche Gruben sind jedoch in vielen Insektenordnungen zu finden und dienen als Geruchsorgane.“
Info: Biolumineszenz bei Organismen
Selbstleuchtende Organismen Selbstleuchtende Organismen bevölkern wohl schon deutlich länger unseren Planeten als bislang angenommen. So hätten bestimmte Nesseltiere – die sogenannten Oktokorallen – bereits vor mindestens 540 Millionen Jahren Biolumineszenz entwickelt, schreibt ein US-amerikanisches Forschungsteam im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B Biological Sciences“. Bislang waren Forscher davon ausgegangen, dass es selbstleuchtende Organismen seit mindestens 267 Millionen Jahren gibt – und zwar bei winzig kleinen Krebstierchen, den Ostrakoden.
Biolumineszenz Als Biolumineszenz bezeichnen Fachleute die Fähigkeit von Lebewesen, Licht zu erzeugen. Eines der bekanntesten Beispiele sind die auch in Deutschland vorkommenden Glühwürmchen. Sie leuchten, weil bei einer bestimmten chemischen Reaktion im Inneren der Tiere Energie in Form von Licht entsteht. Aber auch einige Pilze, Insekten, Würmer, Quallen, Krebse, Mollusken und Fische können leuchten.
Leuchtfähigkeit Im Laufe der Evolution sei Biolumineszenz viele Dutzend Male unabhängig voneinander entstanden, schreiben die Forscher um Danielle DeLeo vom Smithsonian National Museum of Natural History in Washington. Die Leuchtfähigkeit werde je nach Tiergruppe zu ganz verschiedenen Zwecken genutzt, beispielsweise zur Tarnung, zur Jagd, zur Kommunikation und zur Paarung. So sitzt bei den Glühwürmchen (Lamprohiza splendidula) das paarungsbereite Weibchen leuchtend im Gras und lockt auf diese Weise das Männchen an.
Oktokorallen Die Forscher konnten mithilfe eines evolutionären Stammbaums von 185 Oktokorallen-Arten und mit verschiedenen statistischen Methoden abschätzen, wann bei dieser Tiergruppe erstmals Biolumineszenz aufgetreten sein dürfte. Das Ergebnis: Vor rund 540 Millionen Jahren konnte der gemeinsame Vorfahre der Oktokorallen sehr wahrscheinlich leuchten. Das wäre mehr als 250 Millionen Jahre früher als bei den winzigen Ostrakoden – und auch lange bevor Dinosaurier die Erde bevölkerten. „Es ist jedoch möglich, dass die Biolumineszenz noch früher entstanden ist“, schreibt das Team um DeLeo.