BDI-Hauptgeschäftsführerin
Gönners Appell an die Politik: Vertraut den Unternehmen
Was tun gegen die Krisenstimmung in Deutschland? Tanja Gönner, Hauptgeschäftsführerin des BDI, hat ein paar Vorschläge, wie das Land wirtschaftlich wieder flott gemacht werden könnte. Viele davon haben mit Psychologie zu tun.
Von Tobias Heimbach
Nicht nur stimmungsmäßig liegt die Wirtschaft in Deutschland am Boden. Nach dem Aus der Ampelkoalition hält Tanja Gönner es für besonders schmerzhaft, dass nun die Wachstumsinitiative nicht kommt. Die Hauptgeschäftsführerin des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) schlägt vor, den Haushalt zu konsolidieren und wachstumsstärkende Strukturreformen einzuleiten – oder notfalls ein zweckgebundenes Sondervermögen zu bilden.
Frau Gönner, Deutschland steckt in einer der schwierigsten wirtschaftlichen Situationen seit Jahren. Bleibt nach dem Ampel-Aus für Sie etwas Positives dieser Koalition?
Nach dem Überfall Russlands 2022 auf die Ukraine hat die Ampel im Krisenmanagement vieles richtig gemacht. Und auch die Grundüberlegung aus dem Koalitionsvertrag, dass man auf eine gelingende Transformation hinarbeiten wollte, war ein guter Ansatz. In der Ausführung war dann allerdings vieles zu undurchdacht und kleinteilig.
Wegen des Ampel-Aus kommt die Wachstumsinitiative nicht. Was schmerzt Sie daran besonders?
In der Wachstumsinitiative waren positive Dinge dabei. Besonders wichtig wären die Erhöhung der Forschungszulage und verbesserte Abschreibungsbedingungen gewesen. Die Unternehmen warten ja händeringend auf Signale, die dazu ermutigen, hierzulande in Innovation und Produktion zu investieren. Die Wirtschaftsinstitute hatten das gesamte Paket mit seinen 49 Maßnahmen zudem bereits in ihren Prognosen eingeplant. Nachdem die Wachstumsinitiative nicht kommt, muss man von einem um 0,3 bis 0,5 Prozent niedrigerem Wirtschaftswachstum ausgehen als vorhergesagt. Wir laufen Gefahr, ein weiteres schlechtes Jahr zu haben. Das sind keine guten Aussichten.
Kanzler Scholz hat am Freitag einen weiteren Industriegipfel abgehalten. Ergibt das derzeit überhaupt Sinn?
Wir sehen die Gespräche mit dem Bundeskanzler als Impuls, damit bis zur Bildung einer neuen Regierung nicht weitere Monate ohne wachstumsstärkende Schritte verstreichen. Die Initiative für die Umsetzung muss von der jetzigen Regierung ausgehen. Klar ist allerdings auch: Was jetzt kurzfristig noch umsetzbar ist, wird mittel- und langfristig nicht reichen. Die künftige Bundesregierung muss eine sehr entschlossene Wachstumsagenda zu ihrer Priorität machen.
Wenn Sie der nächsten Regierung ein Sofortprogramm vorschlagen dürften, was stünde da drin?
Es gilt der Satz, dass Wirtschaft auch viel mit Psychologie zu tun hat. Deswegen braucht es kraftvolle Signale hin zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Inzwischen sollten alle verstanden haben, dass wir hier dringend etwas tun müssen. Kurzfristig würden Dinge helfen wie vereinfachte Abschreibungsmöglichkeiten, Forschungsförderung und natürlich Entlastung bei den Stromkosten.
Und langfristig?
Langfristig brauchen wir Strukturreformen und einen grundlegenden Wandel im, neudeutsch gesagt, Mindset. Die Politik sollte sich sagen: Wir vertrauen den Bürgern und Unternehmen dieses Landes, dass sie sich an Recht und Gesetz halten. Und wir bauen Gesetze nicht so, als wäre niemand in der Lage, selbst verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen. Der Staat muss nicht jedes Detail vorgeben. Wir brauchen eine auf Vertrauen basierende Regulierung auf allen Ebenen. Das gilt für die Bürgerinnen und Bürger genauso wie für die Wirtschaft.
Ihr Verband fordert hohe öffentliche Investitionen. Was passiert, wenn diese ausbleiben?
Wir haben zusammengerechnet, was alle geplanten Programme von Bund und Ländern an Infrastrukturmaßnahmen beinhalten und welche dieser Maßnahmen bereits durchfinanziert sind. Dabei haben wir eine große Lücke festgestellt: Allein bei Schienen, Straßen und Wasserstraßen müssen bis 2030 etwa 160 Milliarden Euro mehr aufgewendet werden. Hinzu kommen Schulen, Hochschulen, Stromnetze, Wasserstoffnetze und so weiter. Der Bedarf ist hoch, deshalb müssen der Haushalt konsolidiert, Ausgaben priorisiert und wachstumsstärkende Strukturreformen eingeleitet werden. Falls all das nicht reicht, könnten streng zweckgebundene Sondervermögen eine Option sein. Ein wettbewerbsfähiger Standort braucht wettbewerbsfähige Infrastruktur, daran sollte man nicht sparen.
Warum gerade ein Sondervermögen und keine Reform der Schuldenbremse?
Sondervermögen sind klar abgrenzbar und geben Planungssicherheit. Unternehmen, die planen und bauen, wissen dann, dass sie in neue Mitarbeiter und Maschinen investieren können. Bei einer Haushaltslogik, die nur von Jahr zu Jahr denkt, hat man diese Planungssicherheit nicht. Bei einer Lockerung der Schuldenbremse habe ich große Sorge, dass eine Regierung überhaupt nicht mehr priorisiert und zudem zu wenig in Investition und zu viel in den Konsum geht.
Vielen Unternehmen fehlt Personal. Was muss Deutschland tun, um für Fachkräfte noch attraktiver zu werden?
Es gibt Dinge, die wird man kurzfristig nicht ändern können: Deutsch ist schwerer zu erlernen als Englisch, auch wird Deutschland auf absehbare Zeit ein Hochsteuerland bleiben. Deswegen ist es so wichtig, auf andere Weise zu überzeugen, etwa durch eine Willkommenskultur. In anderen Ländern nimmt man den Anstieg der Ausländerfeindlichkeit hierzulande durchaus wahr. Das ist ein gesellschaftliches Problem und zunehmend auch eines für die Wirtschaft, denn es schreckt Fachkräfte ab. Ein weiterer Punkt: Als Fachkraft muss es einfacher sein, nach Deutschland einzuwandern. Auch hier sind die bürokratischen Hürden zu groß und die Verfahren dauern zu lange.
Fachkräfte gibt es auch hierzulande, zuletzt gab es aber die Entwicklung, dass viele in Teilzeit arbeiten oder sich eine Vier-Tage-Woche wünschen. Hoffen Sie, dass dieser Trend zu Ende geht?
Ich bin überzeugt, dass Arbeit Freude machen kann und nicht ausschließlich Stress ist, wie hin und wieder der Eindruck erweckt wird. Und natürlich gibt es die inländischen Potenziale: Wir haben heute ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren, viele hören aber früher auf zu arbeiten. Das gönne ich jedem aus tiefem Herzen und weiß auch, dass man da zwischen Berufen differenzieren muss. Aber es muss uns gelingen, mit positiven Anreizen Menschen zu überzeugen, länger zu arbeiten. Gleiches gilt für Menschen in Teilzeit. Für die muss es sich lohnen, drei, vier oder fünf Stunden mehr in der Woche zu arbeiten. Im Klartext: Wie viel Netto bleibt vom Brutto übrig.
Die Regierungskrise in Deutschland ist nicht das einzige politische Ereignis, das für Unsicherheit sorgt. Welche Lehren ziehen Sie aus dem Wahlsieg von Donald Trump?
Ein entscheidender Punkt für den Sieg Donald Trumps war die Furcht vor dem wirtschaftlichen Abstieg. Das ist ein Thema, das Populisten stark macht. Und etwas Ähnliches nehme ich gerade in Deutschland wahr. Deshalb ist es entscheidend, dass wir bei diesem Thema vorankommen.
Auf die exportorientierte deutsche Wirtschaft könnten unter Trump neue Zölle zukommen. Wie sollten Deutschland und Europa sich darauf vorbereiten?
Wenn Trump tatsächlich Zölle ankündigt, dann sollte die EU nicht sofort mit Gegenzöllen argumentieren, sondern das Gespräch suchen. Amerika ist für die deutsche Wirtschaft einer der ganz zentralen Märkte – das gilt aber auch umgekehrt. Wir können den USA durchaus selbstbewusst gegenübertreten. Gleichzeitig müssen wir aber auch in Europa die Nachfrage fördern und den Binnenmarkt stärken. Übrigens: Viele Kritikpunkte aus der ersten Amtszeit Trumps hat Europa inzwischen aufgenommen. Wir geben beispielsweise mehr für die Verteidigung aus – was angesichts der russischen Aggression auch dringend notwendig ist.
Sehen Sie wirtschaftliche Entwicklungen, die Sie zuversichtlich stimmen?
Auf jeden Fall! Es gibt Branchen in Deutschland, die echte Wachstumschancen bieten. Im Bereich grüne und digitale Technologien, im Bereich Gesundheitstechnologie. Auch ist in Deutschland noch viel Innovationskraft vorhanden. Auf diese Stärke muss man sich besinnen – und sie mit guten Rahmenbedingungen entfesseln.
Sie sind großer Fußballfan, beim VfB Stuttgart leiteten Sie bis vor kurzem den Aufsichtsrat. Was kann denn die Politik vom Fußball lernen?
Erstens: Fußball ist dann erfolgreich, wenn die Mannschaft zusammenspielt. Zweitens: Sie dürfen sich nie auf Erfolgen ausruhen.
Frühere Ministerin und Fußballfan
PersönlichesTanja Gönner wurde 1969 in Sigmaringen geboren. Nach dem Abitur machte eine Ausbildung zur Rechtspflegerin und studierte anschließend Jura. Bereits als Schülerin trat sie 1987 in die CDU ein, für die sie von 2002 bis 2004 im Bundestag saß.
KarriereIn Baden-Württemberg bekleidete Gönner mehrere Ministerposten: Von 2004 bis 2005 war sie Sozialministerin, von 2005 bis 2011 Umweltministerin. Von 2010 bis 2011 war sie auch für das Verkehrsressort zuständig. Von 2012 bis 2022 war Gönner Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Seit November 2022 ist sie Hauptgeschäftsführerin des BDI. Gönner ist Fußballfan und war bis zum September Vorsitzende des Aufsichtsrats des VfB Stuttgart.