Australiens Korallen-Paradies in größter Not
Great Barrier Reef: Höchste Wassertemperatur seit 400 Jahren
Wegrennen können Korallen nicht. Steigen die Wassertemperaturen, werden sie extrem gestresst oder sterben sogar. Dadurch ist das Great Barrier Reef akut bedroht.
Von Markus Brauer/dpa
Die Wassertemperaturen rund um das Great Barrier Reef in Australien haben einen neuen Höchstwert erreicht: Nie in den vergangenen 400 Jahren war es einem australischen Forscherteam zufolge dort so warm wie in diesem Jahr. Die Erwärmung könne auf menschliche Einflüsse zurückgeführt werden, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Nature“.
Seit 1960er Jahren steigen Temperaturen stetig
Die Forscher um Benjamin Henley von der University of Melbourne in Australien haben die Temperaturen der Meeresoberfläche von 1618 bis 1995 anhand von Korallenskeletten aus dem Riff rekonstruiert und diese mit den aufgezeichneten Temperaturdaten der Meeresoberfläche von 1900 bis 2024 abgeglichen.
Vor dem Jahr 1900 sind die Wassertemperaturen demnach relativ stabil gewesen. Die Studie zeigt, dass von 1960 bis 2024 ein steter Anstieg zu verzeichnen war: Im Zeitraum Januar bis März wurde eine durchschnittliche Erwärmung von 0,12 Grad pro Jahrzehnt gemessen.
Gibt es noch Hoffnung auf Rettung?
Dennoch gibt es, wie die Autoren anmerken, auch Unsicherheiten bei den rekonstruierten Temperaturdaten aus der Zeit vor 1900. Einige der chemischen Anteile in den Korallen, die zur Modellierung der Temperaturen verwendet wurden, wurden möglicherweise von anderen Variablen wie etwa dem Salzgehalt beeinflusst.
Mit zusätzlichen Probenahmen von Korallenbohrkernen aus der Region könnten diese Unsicherheiten jedoch verringert werden.
Fünf Massenbleichen in acht Jahren
Mit dem Anstieg der Wassertemperaturen durch die globale Erderwärmung steigt auch das Risiko von Massenbleichen und Korallensterben in Australiens Naturwunder. Eine Massenkorallenbleiche wurde erstmals 1980 beobachtet. In den vergangenen Jahren haben sie an Häufigkeit zugenommen.
Im März dieses Jahres wurde am Great Barrier Reef, das ein vielfältiges ökologisches Netzwerk beherbergt, das fünfte Massenbleiche-Ereignis innerhalb von acht Jahren bestätigt. Die Forscher zeigen, dass es in den Jahren der letzten Massenbleichen (2016, 2017, 2020, 2022 und 2024) im Durchschnitt der Monate Januar bis März deutlich wärmer war als in jedem Jahr der Rekonstruktion vor 1900.
Untergang eines der großen Naturwunder
Das Great Barrier Reef ist ein Naturwunder, das sogar aus dem Weltraum zu sehen ist. Wegen der Meereserwärmung ist es zunehmend in Gefahr. Denn die Korallen stoßen bei schwierigen Bedingungen die für die Färbung sorgenden Algen ab, mit denen sie sonst in einer Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen zusammenleben.
„Ohne schnelle, koordinierte und ambitionierte globale Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels werden wir wahrscheinlich Zeuge des Untergangs eines der großen Naturwunder der Erde sein“, warnen die Forscher.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass wahrscheinlich 70 bis 90 Prozent der Korallen weltweit verloren gehen – selbst wenn die globale Erwärmung unter dem Ziel des Pariser Abkommens von 1,5 Grad Celsius gehalten wird. Zudem würden zukünftige Korallenriffe wahrscheinlich eine andere Gemeinschaftsstruktur mit einer geringeren Vielfalt an Korallenarten aufweisen.
Dass passiert, wenn Korallen ausbleichen
Gebleichte Korallen sind extrem gestresst, aber sie leben noch und können sich wieder erholen. Durch das warme Meerwasser sind sie aber anfällig für Krankheiten, die sie abtöten können. Wenn das Wasser sich nicht abkühlt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die gebleichten Nesseltiere absterben.
Auch vor der mexikanischen Küste sterben Korallen derzeit in einem beispiellosen Ausmaß ab. Anhaltend sehr hohe Wassertemperaturen, die noch Wochen bis Monate andauern können, hätten zu einer schweren Korallenbleiche in der Karibik und auch im mexikanischen Pazifik geführt, berichtet Lorenzo Álvarez-Filip von der Akademischen Einheit für Riffsysteme an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko.
Steinkorallen muten eher wie Pflanzen an, sind aber sogenannte Nesseltiere. Als Bleiche wird laut der US-Klimabehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) ein Verblassen der oft farbenprächtigen Korallen bezeichnet. Sie leben mit verschiedenfarbigen Algen in einer Gemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen.
Korallenbleiche hat drastisch zugenommen
Bei hohen Temperaturen stoßen die Korallen die Algen jedoch ab und verlieren so ihre Farbe. Sie wachsen nicht mehr und können sich schlechter gegen Feinde und Konkurrenten wehren. Kehren die Mikroalgen innerhalb einer bestimmten Zeit zurück, weil die Wassertemperaturen wieder sinken, kann sich die Koralle erholen, andernfalls stirbt sie.
Auch an anderen Korallenriffen im Atlantik sowie etwa vor Huatulco an der südmexikanischen Pazifikküste bleichen die Nesseltiere vermehrt aus. Korallenbleichen wurden bereits vor Florida, Kuba, Belize, Panama, den Bahamas, Antigua, den US-Jungferninseln, Kolumbien und Puerto Rico gemeldet, wie das wissenschaftliche Netzwerk Global Coral Reef Monitoring Network (GCRMN) mitgeteilt ht.
Bleiche beginnt ab 32 Grad
Die extremen Wassertemperaturen hatten schwerwiegende Folgen: Im Golf von Mexiko und in der Karibik hat die Korallenbleiche dieses Jahr zwei Monate früher als sonst begonnen. Typischerweise dauert es nur ein paar Tage, bis die Korallen bei langsam ansteigenden Wassertemperaturen über ihren artspezifischen Wohlfühlbereich zu bleichen beginnen. Für die meisten Korallenarten beginnt die Bleiche bei circa 32 Grad.
Hoffnung setzen Forscher auf neue Ansätze bei der Restauration von zerstörten Korallenriffen, die von Nesseltieren gebildet werden. Bisher wurden für die Aufforstung vor allem Teile von intakten Korallenriffen abgeschlagen, um sie an zerstörten Riffen neu anzubringen.
Restauration soll zerstörte Korallenriffe retten
„Korallen haben eine außergewöhnliche Fähigkeit der Regeneration“, erklärt Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie der Universität Bremen. In Versuchsprojekten würden nun auch Spermien und Eizellen der Nesseltiere eingesammelt, entstandene Larven würden dann auf künstliche Strukturen aufgebracht. „Der Vorteil ist, dass man neue Korallenriffe erhält, ohne etwas zu zerstören.“
Um die farbenfrohen Unterwasser-Ökosysteme in einer Größenordnung von Tausenden Quadratkilometern zu restaurieren, seien jedoch weitere Investitionen in die Forschung notwendig, betont Sebastian Ferse vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. „Dazu sind wir im Moment nicht in der Lage.“