Kretschmann: Grün-Schwarz will 2022 ohne Schulden auskommen

dpa/lsw Stuttgart. „Jetzt heißt es: Kürzertreten.“ Nach dem Nachtragsetat mit neuen Krediten in Milliardenhöhe drücken Kretschmann und Co. auf die Schuldenbremse - obwohl Corona noch nicht vorbei ist. Das dürfte kein Spaß werden.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) schaut nachdenklich in die Runde. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) schaut nachdenklich in die Runde. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Die grün-schwarze Koalition im Südwesten setzt auf ein Ende der Corona-Krise im nächsten Jahr und will im Haushalt 2022 ohne neue Kredite auskommen. Die Spitzen von Grünen und CDU einigten sich am Freitagabend in der Haushaltskommission darauf, die Schuldenbremse wieder einzuhalten und auch zu sparen. „Es gibt keine neuen Schulden“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach der Sitzung der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Die Eckpunkte des Etats für das nächste Jahr seien „in trockenen Tüchern“. Die Entscheidung gegen neue Schulden hat weitreichende Folgen, denn Corona hat große Löcher in die Landeskasse gerissen. „Das Wünschenswerte muss warten“, formulierte es CDU-Fraktionschef Manuel Hagel. Von einem „Jahr des Übergangs“ ist die Rede.

Bittere Pille vom Finanzminister

Der neue Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) bezifferte die corona-bedingte Deckungslücke auf gut 3,6 Milliarden Euro. „Wir haben uns trotzdem das Ziel gesetzt, ohne neue Kredite auszukommen“, sagte Bayaz nach der Sitzung, die schon nach einer Stunde vorbei war. Für seine Ministerkolleginnen und - Kollegen hat der Grünen-Politiker und frühere Unternehmensberater eine bittere Pille parat: „Jedes Ressort wird deshalb auch Einsparungen leisten müssen, es gibt nur einen schmalen Korridor für Mehrausgaben.“ Grün-Schwarz wolle trotzdem gezielt in wichtige Zukunftsprojekte investieren. Bayaz schob hinterher: „So bleiben wir als Landesregierung handlungsfähig.“ Schon am kommenden Dienstag soll das Kabinett die Eckpunkte beschließen.

Zuletzt war in der Koalition viel von „enkelgerechter Finanzpolitik“ die Rede. Doch das zusätzliche Bauministerium, weitere Posten für Staatssekretäre, der Nachtragsetat mit Schulden und Überlegungen zu einer Aufweichung der Schuldenbremse bei den Grünen hatten heftige Kritik bei der Opposition ausgelöst. Nun wird darauf verwiesen, dass man es im Land im nächsten Jahr anders machen wolle als der Bund: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will 97 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen - mit Hinweis auf den Corona-Notstand.

345 Millionen Euro für politische Projekte

Bleibt Grün-Schwarz auch ohne neue Schulden handlungsfähig? Die Vorlage, die das Stuttgarter Finanzministerium erarbeitet hat und die der dpa vorliegt, spricht zunächst einmal eine andere Sprache. Die Deckungslücke wird auf genau 3,628 Milliarden Euro beziffert. Doch damit nicht genug: Der geplante Nachtragsetat, den Bayaz am Mittwoch in den Landtag einbringen will, enthält politische Maßnahmen und Vorfestlegungen, die im Etat 2022 Kosten in Höhe von 343 Millionen Euro auslösen. Der Korridor für Mehrausgaben wird auf 345 Millionen Euro festgelegt. Macht unterm Strich: 4,316 Milliarden Euro.

Ministerien müssen mindestens 250 Millionen Euro sparen

Woher soll das Geld aber kommen, ohne neue Schulden? Zunächst rechnet das Ministerium wegen der Mai-Steuerschätzung mit Mehreinnahmen für 2022 in Höhe von 1,151 Milliarden Euro. Zudem setzt das Ressort aber darauf, dass die Konjunktur nach Corona wieder anspringt und die Steuerquellen stärker sprudeln. Das Plus wird auf 315 Millionen Euro angesetzt. Der größte Batzen soll aber aus Haushaltsresten und nicht genutzten Verschuldungsrechten aus dem Jahr 2020 kommen: Hier geht das Ressort von 2,6 Milliarden Euro aus. Übrig bleibt ein Delta von 250 Millionen Euro, das von den Ministerien eingespart werden muss. In der Vorlage ist von einer „moderaten Konsolidierungsauflage“ die Rede. Da wäre nur ein kleines Problem: Sollte das angenommene Steuerplus niedriger ausfallen, müssten die Ressorts noch mehr bluten.

Und was, wenn die Virusvarianten die Krise noch verlängern?

Dann hätte Grün-Schwarz noch eine Art Sparstrumpf. Die Koalition könnte einen ungenutzten Corona-Rettungsfonds für mittlere Firmen mit einem Volumen von einer Milliarde Euro auflösen. Die Frist für den Beteiligungsfonds läuft noch bis Ende September 2021, das Ministerium geht aber nicht davon aus, dass noch Mittel abfließen. „Die „frei“ werdenden Mittel können entweder zur Finanzierung von Corona-Mehrbedarfen oder zur Sondertilgung der Notkredite verwendet werden“, schlägt das Ressort vor.

Jetzt also doch: „One in, one out“

Die Corona-Krise hat tiefe Spuren im Landesetat hinterlassen. 2020 hatte die alte grün-schwarze Regierung deshalb die Schuldenbremse ausgesetzt und neue Kredite in Höhe von 13,5 Milliarden Euro für den Doppelhaushalt aufgenommen. Zuletzt hatte die Koalition einen Nachtragsetat beschlossen, der neue Schulden Kredite in Höhe von 1,2 Milliarden Euro vorsieht. Mit dem Etat will sich Grün-Schwarz vor allem für den unsicheren Verlauf der Corona-Krise wappnen und die Folgen abmildern. Bayaz bringt am kommenden Mittwoch den Nachtragshaushalt in den Landtag ein.

CDU-Fraktionschef Hagel sieht keine Alternative zu dem Kurs ohne neue Schulden. „Jetzt gestalten wir das kommende Jahr mit harten Entscheidungen, aber klaren Schwerpunktsetzungen.“ Das Prinzip „one in, one out“ sei auf Betreiben der CDU in den Koalitionsverhandlungen vereinbart worden. „Das heißt, dass wir neue Impulse nur dadurch setzen können, wenn wir alte Zöpfe anderswo abschneiden.“ Der CDU-Finanzexperte Tobias Wald sagte: „Jetzt heißt es: Kürzertreten.“

Der Kampf ums Geld beginnt erst

Wegen der relativ leeren Kassen hat Grün-Schwarz im Koalitionsvertrag alle geplanten Projekte unter Haushaltsvorbehalt gestellt. Hagels grüner Kollege Andreas Schwarz zeigte sich dennoch optimistisch: „Die Konjunktur zieht an. Durch die Steuermehreinnahmen erhalten wir so mehr Möglichkeiten zum Investieren.“ Trotzdem wird Grün-Schwarz nicht umhin kommen, verstärkt politische Prioritäten zu setzen. Das birgt Zündstoff: Innenminister Thomas Strobl (CDU) will mehr Stellen für die Polizei, Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) kämpft um Lehrerstellen. Zugleich soll mehr in Klimaschutz und die Verkehrswende investiert werden. Das Ringen um das knappe Geld beginnt nun erst. „Das wird kein Spaß“, soll Kretschmann in der Haushaltskommission gesagt haben.

Strobl sagte am Samstag auf der Landestagung der Senioren Union: „2021 investieren wir noch einmal zur Bewältigung der Krise. 2022 machen wir Null Schulden. Die CDU steht für eine enkelgerechte Politik.“ Das verlange allen in der Regierung deutlich mehr Kreativität bei der Frage ab, wo Einsparungen möglich sind. „Das ist echte Kärrnerarbeit. Das werden hammerharte Haushaltsberatungen“, so der CDU-Landeschef.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke meinte: „Die Neuverschuldung 2022 versteckt die Grün-Schwarze Koalition in den nicht benötigten Verschuldungsrechten des aktuellen Haushalts und den kreuzunnötigen neuen Schulden des anstehenden Nachtragshaushalts. Das sind allein 1,2 Milliarden Euro.“

© dpa-infocom, dpa:210709-99-327077/7

Zum Artikel

Erstellt:
9. Juli 2021, 21:16 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen