Grün-Schwarz: Steuerplus für Rücklage und Schuldentilgung
dpa/lsw Stuttgart. Die Sorge wegen der rasant steigenden Corona-Zahlen wächst - auch bei den Koalitionären im Land. Statt den Steuernachschlag vor allem für Investitionen auf den Kopf zu hauen, sind Grüne und CDU vorsichtig.
Grün-Schwarz in Baden-Württemberg will mit den zusätzlichen Steuereinnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro vor allem die Corona-Rücklage auffüllen und Schulden tilgen. Darauf einigten sich die Spitzen der Koalition in der Haushaltskommission. Zwar sollen im Etat 2022 auch nochmal knapp 236 Millionen Euro investiert werden, doch wehrten die Koalitionäre angesichts der sich neuerlich zuspitzenden Corona-Lage zahlreiche weitere Begehrlichkeiten der Ministerien und Lobbyverbände ab.
Rund 763 Millionen Euro sollen in die Rücklage des Haushalts 2022 fließen, mit der vor allem die Folgen der Corona-Krise bekämpft werden sollen. Die Corona-Lage laufe „gerade aus dem Ruder. Man muss damit rechnen, dass das nochmal richtig ins Kontor schlägt“, sagte Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. So müsse das Land die Möglichkeiten für das Impfen „voll ausrollen“.
Darüber hinaus will die Koalition mit knapp einer halben Milliarde Euro zusätzlich die Corona-Notkredite aus dem letzten Nachtragsetat ablösen. Damit wäre der Nachtrag fast schuldenfrei. Investiert werden soll unter anderem in Innovationsförderung, Klima und Schulen. Es werden nochmal 237 neue Stellen geschaffen, davon 150 im Schulbereich. Bisher waren 1197 neue Stellen im Etat 2022 geplant gewesen. Die FDP reagierte erfreut über die Rückführung der Schulden, der Lehrerverband GEW forderte noch mehr Geld für die Schulen.
Mit Geld aus Rücklage vierte Corona-Welle brechen
Die Steuerschätzung hatte ergeben, dass die Einnahmen des Landes im nächsten Jahr um etwa 2,5 Milliarden Euro höher sein sollen als erwartet. Eine Milliarde Euro war schon verplant, so dass noch rund 1,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stehen. Wegen der Corona-Lage wollen Grüne und CDU einen neuen Puffer anlegen. So wird damit gerechnet, dass das Land 240 Millionen Euro für einen Schutzschirm für die Krankenhäuser brauchen wird. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sagte: „Wir werden in den nächsten Wochen immer wieder schnell reagieren müssen, um die vierte Welle zu brechen.“
Im Entwurf für den Etat 2022 waren schon etwa 500 Millionen Euro als Corona-Rücklage geplant. Von dem Puffer im Doppelhaushalt 2021/2022 sind dem Vernehmen nach noch 900 Millionen Euro übrig. Grün-Schwarz will sich aber auch für weitere Risiken wappnen. CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sagte: „Die Migrationsbewegungen an den EU-Außengrenzen, die Halbleiterkrise und die verstärkten protektionistischen Tendenzen werden unseren wirtschaftlichen Aufschwung bremsen.“
Aus dem Topf sollen auch weitere Hilfen für die Kommunen genommen werden. Zudem sollen EU-Förderprojekte in der Mikroelektronik kofinanziert werden, zum Beispiel zur Chip-Herstellung. Aus dem Topf soll auch mit 10,7 Millionen Euro ein Innovationscampus in der Region Rhein-Neckar angeschoben werden, bei dem Forschungsinstitute, Unternehmen und Start-ups im Bereich Lebenswissenschaften und Gesundheitswirtschaft kooperieren.
Schuldenfreier Nachtrag soll Klagen Boden entziehen
Grüne und CDU wollen zudem den jüngsten Nachtragsetat wieder schuldenfrei machen. Es geht um etwa 940 Millionen Euro, die die Koalition über die Ausnahmeklausel bei der Schuldenbremse wegen der Corona-Krise aufgenommen hatte. Im Haushaltsentwurf waren schon 472 Millionen Euro für die Tilgung eingestellt, jetzt kommen nochmal 468 Millionen Euro dazu. „Damit fällt die Kritik der Opposition wie ein Kartenhaus in sich zusammen“, sagte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Er spielte damit darauf an, dass AfD und FDP den dritten Nachtrag für den Doppelhaushalt 2021/2022 vor Gericht zu Fall bringen wollen.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke verbuchte die Schuldentilgung als Erfolg der Oppositionsarbeit, weil man Grüne und CDU ständig zu mehr Sparsamkeit angehalten habe. Die Kritik an der Schuldenaufnahme im Nachtrag hielt er aber aufrecht: „Der Sündenfall ist begangen. Man kann durch spätere Tilgung den Verstoß gegen die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse nicht heilen“, erklärte der Liberale.
Investitionen steigen im Etat 2022 auf 1,1 Milliarden Euro
Der Topf für Investitionen wird um 200 Millionen auf über 1,1 Milliarden Euro angefüllt. Nun gibt es auch mehr Geld für Bildung: „Wir schaffen zusätzlich 150 neue Lehrerstellen - davon 50 für die Krankheitsreserve und 25 für den Ganztagesausbau“, hieß es. Bisher sollten mit 130 Millionen Euro Bildungsrückstände an den Schulen bekämpft werden. GEW-Landeschefin Monika Stein zeigte sich erfreut über die 150 Stellen. „Mit den zusätzlichen Millionen Euro aus der Steuerschätzung kann die Landesregierung aber mehr für gute Bildung tun.“ Das Kultusministerium habe selbst ausgerechnet, dass 2022 für steigende Schülerzahlen 254 neue Stellen gebraucht werden.“
Auch die Ausgaben für den Klimaschutz werden um nochmal 50 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro erhöht. Zudem gibt es weitere Mittel für nachhaltige Mobilität, etwa Elektromobilität, Radwege und die Offensive im Öffentlichen Nahverkehr. Es soll auch mehr Geld für den Wohnungsbau geben. „Und mit einem zweiten KI-Park stärken wir Baden-Württemberg als Modellregion für künstliche Intelligenz. Wir wollen das Kalifornien Europas werden“, sagte Bayaz. Nach dem Standort Heilbronn soll der neue Innovationspark in der Region Karlsruhe/Stuttgart/Tübingen ins Leben gerufen werden.
Trotz der Steuer-Mehreinnahmen für Land und Kommunen von über 19 Milliarden Euro bis zum Jahr 2025 tritt das Ministerium auf die Euphorie-Bremse. Schließlich habe die Corona-Krise in den vergangenen zwei Jahren riesige Löcher in den Etat gerissen, hieß es. So klaffe allein im Doppelhaushalt 2023/2024 absehbar eine Lücke von über 4,8 Milliarden Euro. Zudem war der Altschuldenberg zuletzt enorm angestiegen, weil die Regierung wegen Corona rund 14,7 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen hatte. Mit der nun geplanten Tilgung soll der Schuldenberg Ende des Jahres auf 59 Milliarden Euro abgebaut werden.
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