Die Linke
Gute Löhne sind wichtiger als korrekt gesetzte Gendersternchen
Der gewaltige Zustrom zur Linken birgt für die Partei große Chancen, aber auch einige Risiken, schreibt unser Berliner Korrespondent Norbert Wallet.

© dpa/Bernd von Jutrczenka
Die „Silberlocken“ der Linken, Bodo Ramelow, Gregor Gysi, Dietmar Bartsch, waren ein Wahlkampfschlager der Partei.
Von Norbert Wallet
Im Augenblick des Sieges, sagt man, wird nicht selten auch die Saat des eigenen Niedergangs gelegt. Insofern sollte die Linke sehr gut darüber nachdenken, wie sie mit dem spektakulären Erfolg bei der Bundestagswahl und dem umgebrochenen Zustrom neuer Mitglieder umgeht.
Nicht alle Erfolgsfaktoren lassen sich wiederholen
Dazu gehört eine genaue Analyse der Gründe für den Erfolg. Nicht alle davon werden von Dauer sein. Nach dem empörenden gemeinsamen Abstimmen der Union mit der AfD im Bundestag stand die Linke plötzlich als die politische Kraft dar, die diesen Kurs am kompromisslosesten ablehnte. Die Partei hatte mit dem Rummel um die drei „Silberlocken“ zudem eine medientaugliche Plattform zur Verbreitung der eigenen Ideen geschaffen. Und sie hatte mit Heidi Reichinnek ein erfrischend neues Gesicht zu bieten.
Dieses Zusammentreffen günstiger Umstände ist so nicht wiederholbar. Die Partei muss also genau hinschauen, welche Faktoren zur dauerhaften Strategie taugen. Dazu gehört ganz zweifellos die im Wahlkampf mit großer Disziplin verfolgte Konzentration auf die urlinke Kernbotschaft: den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Verbunden mit sehr praktischen Hilfen wie die Mieten- und Nebenkostenrechner.
Daraus lässt sich auch auf lange Sicht lernen. Die jungen Mitglieder geben der Partei wieder die Möglichkeit, näher an ihre Wähler zu rücken. Der Aufbau einer „Kümmerer“-Struktur vor Ort würde der Linken ihr altes Image zurückbringen und die Neuen gleich mit handfesten Aufgaben betreuen.
Das kann gut gehen, birgt aber auch Gefahren. Der Zustrom kommt derzeit stark aus einem urban-akademischen Milieu. Die Partei wird den hoch motivierten Aktivisten klarmachen müssen, dass für die umworbene „Arbeiterklasse“ Mieten wichtiger sind als korrekt gesetzte Gendersternchen, und gute Löhne wichtiger als die lautstarke Agitation bei der nächsten Pro-Palästina-Demo.