Studie zur Krankenhausreform
Gute Versorgung trotz Klinikschließungen?
Der ländliche Raum könnte laut einer aktuellen Studie besonders von der Digitalisierung des Gesundheitswesens profitieren.
Von Werner Ludwig
Vor allem jenseits der großen Ballungsräume befürchten viele Menschen eine Verschlechterung der stationären Gesundheitsversorgung durch die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform. Eine aktuelle Machbarkeitsstudie, die das Datenanalyseunternehmen BinDoc im Auftrag des Bosch Health Campus erarbeitet hat und die unserer Zeitung vorliegt, bestätigt diese Bedenken – zumindest, wenn man davon ausgeht, dass keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, um den Effekt der erwarteten Klinikschließungen zu kompensieren.
Auf Basis eines solchen Szenarios kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Krankenhausreform für mehrere Hunderttausend Menschen in Baden-Württemberg zu längeren Fahrzeiten in die nächste für einen bestimmten Eingriff geeignete Klinik führen wird. Ab einer Fahrzeit von 30 Minuten liegt gemäß der Definition im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Krankenhausreform ein Versorgungsdefizit vor.
In ihren Modellrechnungen betrachten die Studienautoren beispielhaft die Versorgung in zwei wichtigen Leistungsgruppen: Allgemeine Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie. Beide Leistungsgruppen umfassen den Angaben zufolge 40 Prozent aller stationär behandelten Patienten. In der Inneren Medizin steigt demnach die Zahl der Menschen, die länger als 30 Minuten mit dem Auto brauchen, um eine geeignete Klinik zu erreichen, im Südwesten von derzeit rund 322 000 auf rund 686 000 oder sechs Prozent der Bevölkerung.
Längere Wege in der Chirurgie
Eine stärkere Verschlechterung der Erreichbarkeit haben die BinDoc-Experten für die Chirurgie errechnet. Hier erhöht sich die Zahl der Menschen, für die die nächste geeignete Klinik mehr als 30 Autominuten entfernt liegt, von rund 389 000 auf knapp 861 000 oder acht Prozent der Bevölkerung.
In beiden Leistungsgruppen verschlechtert sich die Erreichbarkeit vor allem für die Bewohner ländlicher Gebiete, in denen die Fahrzeiten jetzt schon länger sind als in dicht besiedelten Regionen. Besonders ungünstig schneiden hier der mittlere und nördliche Schwarzwald und Teile der Schwäbischen Alb ab.
Die Verantwortlichen des Bosch Health Campus sind jedoch überzeugt, dass sich die befürchteten negativen Folgen der Krankenhausreform durch den konsequenten Ausbau telemedizinischer Angebote fast vollständig ausgleichen lassen. In diese Richtung weisen auch die Ergebnisse der Modellrechnungen, welche die Studienautoren auf Basis eines Telemedizin-Szenarios erstellt haben. Telemedizin kann in der Praxis etwa so aussehen, dass Krankenhäuser niedriger Versorgungsstufen mit Kliniken höherer Versorgungsstufen kooperieren. Bei komplizierten Behandlungen könnten dann etwa spezialisierte Ärzte per Videoschalte einbezogen oder Röntgenbefunde digital übertragen und von Spezialisten beurteilt werden.
Ländliche Gebiete profitieren
Im Ergebnis könnten viele Krankenhäuser und medizinische Versorgungszentren auch Eingriffe vornehmen, die sie nach den geplanten neuen Qualitätsvorgaben eigentlich nicht mehr anbieten dürften. Durch telemedizinische Unterstützung verbessert sich der Studie zufolge insbesondere in ländlichen Gebieten die Versorgungssituation.
„Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Telemedizin ein fester Bestandteil in der Versorgung werden sollte, damit eine patientengerechte, wohnortnahe Behandlung auch in Zukunft möglich sein wird“, sagt der Geschäftsführer des Bosch Health Campus, Mark Dominik Alscher. Laut den Modellrechnungen von BinDoc könnte bei konsequenter telemedizinischer Vernetzung auch mit weniger Klinikstandorten eine vergleichbare Versorgung in der Fläche erreicht werden. In der Inneren Medizin könnte demnach auf 20 und in der Chirurgie auf 22 Klinikstandorte verzichtet werden.
In der Studie werden zwar nur Innere Medizin und Chirurgie betrachtet, doch bei anderen Leistungsgruppen wie Diabetologie, Nephrologie oder Pneumologie erwarten die Autoren sogar ein noch größeres Verbesserungspotenzial durch Telemedizin, weil entsprechende Behandlungen dann an mehr Standorten angeboten werden könnten.
Studie zur Krankenhausversorgung
Erhebung Für die Machbarkeitsstudie Telemedizin in Baden-Württemberg wurden 269 Krankenhausstandorte und 60 Leistungsgruppen aus den Bereichen Allgemeine Innere Medizin und Allgemeine Chirurgie berücksichtigt. Beide Gruppen machen zusammen etwa 40 Prozent aller stationären Fälle in Deutschland aus.
Stiftung Unter dem Dach des Bosch Health Campus sind alle Aktivitäten der Robert Bosch Stiftung im Gesundheitssektor gebündelt. Dazu gehören neben dem Robert Bosch Krankenhaus auch Forschungs- und Bildungseinrichtungen. Insgesamt arbeiten auf dem Bosch Health Campus gut 3000 Menschen.
Diskussion Die Studie wird an diesem Montag (15. Juli) ab 16.30 Uhr im Rahmen einer Podiumsdiskussion bei der Robert Bosch Stiftung (Heidehofstraße 31, 70184 Stuttgart) vorgestellt. Informationen zur Veranstaltung und einen Anmeldelink gibt es hier: www.bosch-health-campus.com/Machbarkeitsstudie.