Hermann, der Koalitionskobold

Der Grünen-Verkehrsminister im Land nervt nicht nur die CDU, sondern bisweilen auch den Regierungschef

Sein Geist wabert durch jede CDU-Versammlung: Verkehrsminister Winfried Hermann ist der Lieblingsgegner aller Konservativen. Doch die Grünen lieben ihn. Und Winfried Kretschmann?

Stuttgart Es gibt nicht viel, was Baden-Württembergs Christdemokraten an Landesverkehrsminister Winfried Hermann bewundern. Der Grüne ist für sie ein dauerndes Ärgernis, ob er nun Stuttgart 21 schmäht oder für Radschnellwege wirbt. Eines aber gesteht der politische Gegner dem 66-Jährigen zu: Nehmerqualitäten. „Der geht zu Boden, steht aber immer wieder auf“, sagt ein Mitglied der CDU-Landtagsfraktion.

In den vergangenen Wochen war allerdings nicht so leicht einzuschätzen, von wem Hermann die meisten Prügel bezieht: vom CDU-Koalitionspartner oder vom grün ­geführten Staatsministerium. Denn in der Villa Reitzenstein kam die aufreizende Gelassenheit, die der Verkehrsminister beim Thema Dieselfahrverbote zur Schau stellte, gar nicht gut an. Schon im Sommer vergangenen Jahres hatte die Koalition Maßnahmen zur Luftreinhaltung vereinbart, doch auch im neuen Jahr harrte vieles davon noch der Umsetzung. Und Hermann sprach: Alles bestens.

Da platzte nicht nur den Christdemokraten der Kragen, sondern auch dem Ministerpräsidenten. Es soll zu einigen unschönen Szenen im Koalitionsausschuss gekommen sein – und zwar nicht nur zwischen den Regierungspartnern, sondern auch zwischen Winfried Kretschmann und seinem Verkehrsminister. „Der hat ihm gleich zu Beginn das Wort abgeschnitten und sich weitere Grundsatzdiskussionen verbeten“, sagt ein Teilnehmer der Runde.

Kretschmanns Ärger zeigte sich auch daran, dass das Staatsministerium die Federführung in der interministeriellen Arbeitsgruppe an sich zog, die mit der Konkretisierung der Luftreinhaltemaßnahmen betraut war. Nicht Hermanns Amtschef, Uwe Lahl, hatte in der kritischen Phase des Koalitionsstreits den Hut auf, sondern Kretschmanns Staatssekretär Florian Stegmann.

Der drückte dann auch durch, dass im Stuttgarter Stadtgebiet nicht 16 neue Luftmessstellen ausgewiesen werden, wie von Hermann vorgeschlagen, sondern mehr als doppelt so viele. Und in einer zentralen Landtagsdebatte über Fahrverbote blieb der Verkehrsminister im Februar auf die Regierungsbank verbannt. Ans Rednerpult trat der Ministerpräsident selbst.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kretsch­mann seinen politischen Weggefährten, den er 2011 aus dem Bundestag ins Ministeramt befördert hatte, aus Koalitionsräson an die kurze Leine nimmt. Beispiele gibt es zuhauf. „Es ist die besondere Aufgabe eines Regierungschefs, die Koalition zusammenzuhalten“, sagte er im Herbst 2017, als Hermann versucht hatte, auf der A 81 gegen den Willen des Koalitionspartners ein Tempolimit einzuführen. Kretschmann und sein CDU-Stellvertreter Thomas Strobl griffen ihm so beherzt in die Speichen, dass die Landtags-FDP befand, er müsse eigentlich aus Selbstachtung zurücktreten.

Doch das entspräche überhaupt nicht dem Naturell des studierten Sport-, Politik- und Deutschlehrers. Und es wäre auch ganz und gar nicht im Sinne Kretschmanns. Denn grundsätzlich schätzt der Regierungschef seinen Verkehrsminister, den er seit Jahrzehnten kennt, und teilt auch viele seiner Positionen – allerdings nur in koalitionsverträglichem Maß.

Das Paradoxe daran ist: Innerhalb dieser Grenzen kommt Winfried Hermann sogar eine gewichtige Rolle für die Stabilität des Bündnisses zu. Er dient gewissermaßen der Koalitionshygiene: Als Prellbock oder Ventil für christdemokratischen Unmut über die Grünen ist Hermann unersetzlich. Sein Geist schwebt in jeder CDU-Ortsvereinssitzung.

Dass der gebürtige Rottenburger, der von 1998 bis 2011 für die Grünen im Bundestag saß und dort zuletzt den Verkehrsausschuss leitete, für den linken Flügel seiner Partei eine wichtige Identifikationsfigur ist, muss für Winfried Kretschmann allein schon Grund sein, an seinem Verkehrsminister festzuhalten. Denn wer bei den Grünen auch immer mit dem konservativen Kurs des Regierungschefs hadert – einen Hermann lieben sie alle.

Von seinen Überzeugungen lässt sich der leidenschaftliche Radfahrer ohnehin nicht abbringen – und eine davon lautet eben, dass es einer echten Verkehrswende bedarf. Gemäß dieser Vision hat er auch seine Mitarbeiter ausgesucht. Der Umweltwissenschaftler Christoph Erdmenger zum Beispiel leitet die Abteilung „Nachhaltige Mobilität“. Als früherer Abgeordneter und Landesvorsitzender der Grünen in Sachsen-Anhalt bringt er jede Menge politisches Sendungsbewusstsein mit – mehr als den Pragmatikern im Staatsministerium lieb ist. Auf der Halbhöhe der Villa Reitzenstein blickt man jedenfalls mit Argwohn auf das Verkehrsministerium.

Das alles weiß der alerte Bartträger natürlich, und es stachelt einen gewissen Spieltrieb an: „Er testet immer aus, wie weit er gehen kann“, sagt ein Weggefährte. Manchen erscheint er wie ein Kobold, der immer dann, wenn man glaubt, ihn unter Kontrolle zu haben, von Neuem aufspringt. So wie dieser Tage, als er quasi durch die Hintertür ­Kretschmanns Zugeständnis an Dieselfahrer einsammelte, die am Stuttgarter Stadtrand Park-and-ride-Parkhäuser anfahren wollen. Hatte der Regierungschef noch wenige Tage zuvor vollmundig versprochen, bei Kontrollen reiche die Aussage, man fahre zu einem der P+R-Plätze, korrigierte ihn sein Verkehrsminister später in der Antwort auf eine Landtagsanfrage, natürlich müsse der Dieselfahrer einen Parknachweis mit sich führen.

Ja, was nun? Von Journalisten an diesem Dienstag darauf angesprochen, wand sich Kretschmann. Tenor: Er gebe die grobe Linie vor, die Ministerien müssten seine Aussagen aber im Detail umsetzen, da könne es schon mal zu kleinen Veränderungen kommen. Wer am Stadtrand kontrolliert werde, müsse den Parkschein eben nachreichen. Und dann diktierte der Ministerpräsident den Journalisten einen quasi biblischen Satz in den Block – der aber in Wirklichkeit an seinen Freund Hermann gerichtet war: „Dass Minister den Ministerpräsidenten zurückpfeifen, ist in der politischen Liturgie nicht vorgesehen.“ Versuchen kann man’s aber ja mal.

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Erstellt:
27. März 2019, 03:04 Uhr

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