Hermann: Erster Schritt zur „Mobilitätsgarantie“ bis 2026

dpa/lsw Stuttgart. Es ist ein Prestigeprojekt der Grünen: Der Umstieg der Menschen auf Busse und Bahnen in großem Stil. Um das zu erreichen, soll der Nahverkehr mehr leisten und günstiger werden. Doch der Minister braucht dafür Geld und die Unterstützung der Kommunen.

Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) steht vor einem Regionalzug. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) steht vor einem Regionalzug. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) will die im grün-schwarzen Koalitionsvertrag versprochene „Mobilitätsgarantie“ für den öffentlichen Nahverkehr schrittweise umsetzen. Das Konzept sieht eigentlich vor, dass alle Orte im Südwesten von 5.00 Uhr früh bis Mitternacht mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sein sollen. „Zu der Mobilitätsgarantie wollen wir in zwei Schritten kommen. Der erste Schritt ist bis 2026 und der zweite bis 2030“, sagte der Grüne der Deutschen Presse-Agentur.

Volle Garantie soll erst 2030 gelten

In dieser Legislaturperiode - also bis 2026 - wolle man es schaffen, „dass im ländlichen Raum in den Hauptverkehrszeiten der Halbstundentakt gilt und im Ballungsraum der Viertelstundentakt. In der zweiten Stufe nach 2026 soll es dann den ganzen Tag gelten, dass im Ballungsraum der Viertelstundentakt gemacht wird und in dem ländlichen Raum der Halbstundentakt.“ Doch diese Pläne sind teuer und Hermann muss dafür die Kommunen ins Boot holen. Denn: Für Busse und Stadtbahnen sind die Landkreise zuständig.

Im Endausbau würde die „Mobilitätsgarantie“ etwa 600 Millionen Euro kosten. Um das Vorhaben zu finanzieren, will das Land unter anderem den Kommunen die Möglichkeit geben, eine Nahverkehrsabgabe - auch „Mobilitätspass“ genannt - einzuführen. Dann könnten die Kommunen entscheiden, ob sie alle Einwohner oder nur die Autofahrer zur Kasse bitten. Bei einem Modellversuch in vier Kommunen waren Monatsbeiträge von 10 bis 57 Euro im Gespräch. Das Land rechnet damit, dass mit der Abgabe 800 Millionen Euro in die kommunalen Kassen gespült werden könnten. Damit könnten die Kommunen das Angebot im Nahverkehr ausweiten und die Tickets verbilligen.

Mit „Mobilitätspass“ soll nicht abkassiert werden

Hermann will noch dieses Jahr die Gesetzesänderung anstoßen, mit der die Kommunen dann die Nahverkehrsabgabe einführen können. „Meine Zielvorstellung ist, dass wir 2023 mit den ersten Kommunen, die einen Mobilitätspass einführen wollen, starten können. Wir können nicht endlos warten, bis wir mal mit Klimaschutz anfangen.“ Die Einnahmen sollen nach seinen Worten eins zu eins zurückgegeben werden. Wenn man etwa eine Abgabe von 20 Euro im Monat zahlen müsste, bekäme man im Gegenzug ein Guthaben, das man beim Kauf einer Monats- oder Jahreskarte einlösen könne.

Der Minister sagte, die kommunalen Spitzenverbände „sind im Grundsatz dafür“. Er sagte aber auch: „Es gibt Kritik oder vorsorgliche Kritik, dass sie nicht den Büttel spielen wollen, dass sie nicht als Kommunen finanzieren wollen, was das Land oder der Bund finanzieren sollte.“ Dennoch sei klar, dass es eine weitere Finanzierungsquelle für den öffentlichen Nahverkehr brauche. „Natürlich könnten theoretisch alle Kommunen sagen: Sowas wollen wir nicht.“ Er schätze die Kommunen aber anders ein. „Es geht eben nicht um das Abkassieren, sondern um das Ermöglichen von besserem ÖPNV.“ Gleichwohl brauche man natürlich Mehrheiten auf kommunaler Ebene. „Die Diskussionen vor Ort werden dann natürlich nicht leicht sein.“ Nicht alle würden gleich mitmachen, er rechnet mit Pilotkommunen. „Wenn's gut läuft, wird das den Effekt haben, dass die anderen sagen: Wow, das wollen wir auch.“

Hermann will in Haushaltsverhandlungen für mehr Geld kämpfen

Klar sei aber auch, dass das Land mehr Geld in die Verkehrswende investieren müsse. Das Land habe in den vergangenen Jahren schon einiges getan für den ÖPNV - „aber für die Klimaziele reicht das noch nicht aus“. Der Mobilitätspass und die -garantie seien prioritäre Projekte im Koalitionsvertrag. „Das Land muss da auch liefern“, sagte der Grüne. „Hierfür werde ich mich in den kommenden Haushaltsverhandlungen einsetzen.“ Weil das Land wegen Corona nur knappe Finanzmittel habe, stehe man vor einer schwierigen Aufgabe.

Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen soll 200 Millionen bringen

Als zusätzliche Einnahmequelle für den ÖPNV-Ausbau will Grün-Schwarz eine Lkw-Maut auf Landes- und Kreisstraßen einführen. Hier soll Hermann zunächst im Bundesrat und in der Verkehrsministerkonferenz versuchen, die anderen Länder davon zu überzeugen, ebenfalls eine solche Maut einzuführen. „Wenn mir das bis zur Mitte der Legislaturperiode nicht gelungen ist, dann habe ich den Auftrag, eine Landeslösung auszuarbeiten.“ Er plane das Mautsystem zu übernehmen, das auch auf den Bundesfernstraßen angewandt wird. „Wir würden es auf jeden Fall mit denen gerne machen, die das System technisch schon beherrschen, ohne weiteren bürokratischen Aufwand.“

Der Grünen-Politiker erklärte zu den Einnahmen: „Wir gehen davon aus, dass wir die gleichen Mautsätze nehmen wie der Bund für seine Bundesstraßen. Damit würden wir rechnerisch für Landes- und Kommunalstraßen ungefähr 200 Millionen Euro einspielen und davon sollen 100 Millionen Euro an die Kommunen beziehungsweise Landkreise gehen. Das wäre auch nochmal eine echte Einnahmequelle für die Verkehrswende.“

Der Umweltverband BUND nannte Mobilitätsgarantie und Mobilitätspass dringend erforderliche Maßnahmen. Allerdings werde die Mobilitätsgarantie kaum aus dem Mobilitätspass zu finanzieren sein, sagte die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch. „Denn die Mobilitätsgarantie richtet sich eher an den ländlichen Raum während der Mobilitätspass eher städtische Regionen adressiert, auch um den PKW-Verkehr in den Städten zu verringern.“

Die FDP hält gar nichts von Hermanns Prestigeprojekt. „Erst werden die Standards für den Nahverkehr durch die Landesregierung aus CDU und Grünen mit ideologischen und pauschalen Begründungen hochgeschraubt und zahlen dürfen das dann die Kommunen, die Wirtschaft und am Ende die Bürgerinnen und Bürger mit Gebühren, Abgaben und Mautbeträgen“, kritisierte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. „Dass die CDU aber alle Straßen zu diesen heftigen Belastungen bereitwillig ebnet und alle Abzocktricks von Winfried Hermann mitträgt, wird sie in den kommenden Jahren immer und immer wieder erklären müssen.“

© dpa-infocom, dpa:210620-99-67501/4

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Erstellt:
20. Juni 2021, 09:13 Uhr

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