Hier bröckelt mehr als eine Brücke

Dresden wirft ein Schlaglicht auf die marode Infrastruktur – höchste Zeit für die Politik zu handeln.

Die Carolabrücke in Dresden stürzte auf einer Länge von rund 100 Metern ein.

© dpa/Sebastian Willnow

Die Carolabrücke in Dresden stürzte auf einer Länge von rund 100 Metern ein.

Von Tobias Heimbach

Berlin - Man muss es so klar sagen: Die Menschen in Dresden hatten enormes Glück. Wenige Minuten, bevor Teile der Carolabrücke in die Elbe stürzten, war eine Straßenbahn darübergefahren. Tagsüber, wenn der Abschnitt auch von zahlreichen Fußgängern und Radfahrern genutzt worden wäre, hätte es Tote geben können. Doch zum Glück war niemand nachts unterwegs, als es passierte.

Noch während die Trümmer in der Elbe liegen, hat sich eine Debatte um den Zustand von Brücken, Straßen und vielem mehr in Deutschland entwickelt. Ein „trauriges Symbol der deutschen Infrastruktur“ nennt der Verband des Baugewerbes den Einsturz. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert eine „Investitionsoffensive“. Nun ist es Zeit für die Politik zu handeln.

Wirtschaftswissenschaftler warnen seit Jahren vor dem Investitionsstau in Deutschland. Allein 11 000 Brücken an Bundesstraßen und Autobahnen müssen grundlegend saniert oder erneuert werden. Bei der Bahn kommen 1200 weitere Brücken hinzu.

Beim Verkehr hören die Probleme nicht auf. Unabhängig ob damit Strom aus Windrädern oder fossilen Kraftwerken transportiert werden soll, fehlen für den Ausbau von Elektrizitätsnetzen Hunderte Milliarden Euro. Dann ist noch nichts gesagt über Schulen, Wohnungsbau, Bundeswehr, Digitalisierung oder Klimaschutz. Von diesen Zahlen kann einem schwindelig werden. Doch ein Vergleich mit den EU-Nachbarn zeigt: Deutschland hat schlicht über Jahrzehnte zu wenig in seine öffentliche Infrastruktur investiert. Dies hat einen Effekt über die materiellen und wirtschaftlichen Schäden hinaus. Was ebenfalls im Elbwasser liegt, ist das Bild von Deutschland als einem Land, in dem die Dinge funktionieren. Dazu brauchte es nicht einmal einstürzende Brücke. Das ist jedem bewusst, der sich mal wieder über einen verspäteten ICE-Zug ärgert, über fehlenden Handyempfang oder analoge, langsame Bürokratie.

Insbesondere an den politischen Rändern gibt es Menschen, die ihre Lust an Untergangserzählungen über Deutschland pflegen. Auch deshalb sollte die Politik mehr in die Infrastruktur investieren. Um das bröckelnde Vertrauen in den Staat wiederherzustellen. Zwar hat die Ampel in diesem Bereich schon deutlich mehr getan als die Vorgängerregierungen – doch genug ist es nicht.

Am einfachsten wäre es wohl, ein Sondervermögen für die Infrastruktur aufzulegen, das über Kredite finanziert wird. Wer entgegnet, man dürfe der nächsten Generation keine Schuldenberge vererben, denkt zu kurz. Natürlich muss jede Ausgabe gut begründet sein, doch die meisten Menschen dürften höhere Staatsschulden in Kauf nehmen, wenn sie wüssten, dass ihre Kinder in Schulen mit funktionierenden Toiletten lernen und sie auf dem Schulweg über stabile Brücken fahren.

Auch ein Infrastrukturfonds wäre eine gute Idee, wie ihn Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) einmal vorgeschlagen hatte. Darin könnte auch privates Kapital fließen. Der einzige Haken ist, dass es damit bislang noch keine Erfahrung gibt und wohl umständlich werden und lange dauern dürfte, bis aus Euros auch Stützpfeiler und Fahrbahnen werden. Doch es muss möglichst schnell etwas getan werden. Apropos Schnelligkeit: Die Politik muss ebenfalls weiter daran arbeiten, dass Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzt werden.

Angesichts der Probleme bei der Infrastruktur kann man sagen: Wie zügig es gelingt, die Brücke in Dresden wieder aufzubauen, kann man als Bewährungsprobe für Politik und Verwaltung sehen. Und hoffentlich geht von dem Einsturz in Dresden ein Umdenken aus – denn allein auf das Glück sollte man sich nicht verlassen.

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Erstellt:
12. September 2024, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
13. September 2024, 22:04 Uhr

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