Zukunftswerkstatt Rückenwind: Hilfe zur Selbsthilfe für Geflüchtete in Backnang
Bürgerpreis 2023 Bei dem Projekt „Hierseinshelfer*innen“ der Zukunftswerkstatt Rückenwind in Backnang helfen Menschen mit Fluchterfahrung anderen Geflüchteten dabei, hier zurechtzukommen. Dabei steht auch die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Fokus.
Von Anja La Roche
Backnang. „Ich kenne eigentlich alle Familien, die in Backnang Flüchtlinge sind“, sagt Nour Hazwani. Die 24-jährige ist selbst einmal aus dem kriegszerrütteten Syrien nach Deutschland geflüchtet, seit Ende 2015 lebt sie hier. 2019 absolvierte sie einen Bundesfreiwilligendienst beim Verein Zukunftswerkstatt Rückenwind (ZWR) in Backnang. Und bei diesem Verein engagiert sie sich heute immer noch, genauer bei dem Projekt „Hierseinshelfer*innen“. Sie unterstützt geflüchtete Familien dabei, sich in dem noch fremden Land zurechtzufinden. Da sie Arabisch sprechen kann und viele Erfahrungen mit den hilfesuchenden Familien teilt, kann sie diesen helfen, sich in ihrem neuen Alltag zurechtzufinden.
Das Projekt „Hierseinshelfer*innen“ ist nun für den Bürgerpreis 2023 nominiert. Die ZWR hat es 2019 ins Leben gerufen, 2021 hat Nina Geldmacher die Leitung übernommen. „Das Projekt ist eine Form von Empowerment. Geflüchtete Menschen sind nicht nur Hilfesuchende, sondern auch Hilfegebende“, erklärt Nina Geldmacher die Idee des Projekts. Die Menschen hätten ein ganz anderes Vertrauen in ihre Helfer, wenn diese die gleiche Sprache sprechen und Ähnliches erlebt haben. Umgekehrt würden die Ehrenamtlichen die Hindernisse kennen, die einem als Neuankömmling in Deutschland begegnen können. „Deshalb läuft das Projekt so gut.“
Im Fokus stehen Personen, die besondere Unterstützung brauchen
Oft gehe es darum, die Menschen beim Arztbesuch oder bei Behördengängen zu begleiten. Im Fokus stehen auch Personen, die besondere Unterstützung brauchen, beispielsweise weil sie alleinerziehend oder erkrankt sind. Familien, bei denen ein Kind oder Elternteil eine Behinderung hat, helfen die „Hierseinshelfer*innen“ dabei, sich an die richtigen Stellen zu wenden.
Bereits über 75 Personen haben sich ehrenamtlich für das Projekt engagiert. Viele von ihnen sind von Anfang an bis heute treu dabeigeblieben. „Das Projekt zeigt, wie wichtig es ist, die Menschen von Anfang an abzuholen. Wer sich willkommen und verstanden fühlt, hat viel bessere Chancen auf eine erfolgreiche Integration als jemand, der in seiner Not alleine gelassen wird“, sagt Nina Geldmacher. Die Geflüchteten werden überdies darin bestärkt, sich bei verschiedenen kulturellen Angeboten in der Stadt zu beteiligen. So werden das Miteinander und die Integration gefördert.
Einige Fälle sind schwer zu verkraften
Es sind aber auch Fälle dabei, die belastend für die Ehrenamtlichen sein können. Schwere Schicksalsschläge in den Familien beispielsweise. Nour Hazwani hatte mit einer Frau zu tun, die fast von ihrem eigenen Mann umgebracht wurde. Hazwani übersetzte zwischen Sozialarbeitern, Anwälten und der betroffenen Familie. Um damit zurechtzukommen, sind Nina Geldmacher und die anderen zehn Hauptamtlichen der ZWR stets als Ansprechpartner für die Ehrenamtlichen da. Außerdem bietet der Verein den Helfern verschiedene Schulungen und Austauschrunden an, etwa zu den Themen Trauma und Trauer.
Nina Geldmacher und ihre Kollegen und Kolleginnen sind entsprechend ausgebildet, um mit Personen mit Fluchterfahrung zu arbeiten. Die 29-jährige Stuttgarterin selbst hat unter anderem Kultur- und Migrationswissenschaft studiert. Sie koordiniert nicht nur die ehrenamtlichen Helfer, sondern berät selbst geflüchtete Personen.
Die Zahl an Hilfesuchenden ist groß
Der Bedarf an Unterstützung für Geflüchtete ist ungebremst groß. Jede Woche erreichen den Verein zwei bis drei neue Hilferufe von Familien, die dringend Unterstützung brauchen. Weitere Ehrenamtliche werden stets gesucht, derzeit fehlen besonders Personen, die Farsi oder Persisch sprechen. Aber auch Menschen ohne Migrationshintergrund sind willkommen, um zu helfen. Die ZWR hat drei Projekte im Rahmen der „Hierseinshelfer*innen“ ins Leben gerufen, um die Ehrenamtlichen individuell schulen zu können (siehe Infotext).
Räume sind meist überbelegt, ganz besonders aber in den Ferien
Das Preisgeld des Bürgerpreises würde die ZWR in den Umbau und die Einrichtung der Wohnung investieren, die sie künftig zusätzlich zu dem bisherigen Büro in der Backnanger Innenstadt nutzen will. „Die Räume hier sind immer überbelegt, gerade in den Ferien“, sagt Geldmacher über das Büro der Zukunftswerkstatt. Mit den zusätzlichen Räumen soll künftig mehr Platz für die Kinderbetreuung und Veranstaltungen sein, etwa für gemeinsame Kochabende. Auch beispielsweise die Idee eines Ruheraums für Kinder mit Autismus steht im Raum. Die Toilette im bisherigen Büro ist nicht barrierefrei, was sich ebenfalls mit den neuen Räumen ändern soll. Letztendlich wird mit dem Ausbau mehr Platz geschaffen für die Arbeit der Ehrenamtlichen. Geld braucht der Verein außerdem immer wieder für Materialien, für Auslagen, Fahrtkosten oder für Einzelfallhilfen.
Auf den ersten Blick ist das Projekt „Hierseinshelfer*innen“ zwar kein klassisches Kulturprojekt, wie es im Motto des diesjährigen Bürgerpreises enthalten ist. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass es nicht nur um Sprachvermittlung geht, sondern dass die Helfer und Helferinnen Kulturvermittler des Alltags sind. So kann nicht nur den Familien geholfen, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden.
Leserpreis In einer Serie stellen wir die zehn Kandidaten aus unserem Verbreitungsgebiet vor, die beim Bürgerpreis Rems-Murr für den Leserpreis der Backnanger Kreiszeitung und der Murrhardter Zeitung nominiert sind. Abstimmen für den eigenen Favoriten kann man vom 8. bis 17. September auf unserer Webseite. Alle Projekte im Überblick findet man hier.In 2 Life Das Projekt wurde speziell für Menschen mit Fluchterfahrung und Behinderung eingerichtet.
Herzenshelfer*innen Die Ehrenamtlichen unterstützen in akuten Notlagen. Hier sind Helfer im Einsatz, die emotional viel verkraften können, beispielsweise den Tod eines Kindes.
Willkommenshelfer*innen Hierbei werden Menschen unterstützt, die neu nach Deutschland kommen und dringend Hilfe benötigen, zum Beispiel aufgrund von Analphabetismus.