Rechtsextreme mit Deutschlandflagge
Historiker mahnt: „Dürfen Radikalen Schwarz-Rot-Gold nicht überlassen“
Rechtsextreme haben am vergangenen Wochenende in Stuttgart die schwarz-rot-goldene Deutschlandfahne für ihre Zwecke missbraucht. Ein Historiker erklärt die wahre Bedeutung hinter den Farben – und richtet einen Appell an die deutsche Gesellschaft.

© STZN/Florian Dürr
Akteure von rechtsextremen Gruppen wie „Der Störtrupp“ posieren mit der schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahne.
Von Florian Dürr
Stolz posierten sie mit der Deutschlandfahne, mit den Farben Schwarz-Rot-Gold: Rechtsextreme im Rahmen einer Demonstration in Stuttgart am vergangenen Wochenende. Der Historiker Kristian Buchna kennt die Geschichte hinter den Farben, der 42-Jährige arbeitet im Hambacher Schloss, wo die Fahne beim Hambacher Fest im Jahr 1832 erstmals als Symbol für Deutschland mitgeführt wurde. Wofür steht Schwarz-Rot-Gold wirklich?
Herr Buchna, Rechtsextreme mit der schwarz-rot-goldenen Deutschlandfahne – was löst das bei Ihnen aus?
Es ist zutiefst irritierend, dass die Farben, die historisch für eine demokratische, freiheitliche Tradition stehen, in extremistischen Kontexten auftauchen. Wie wir auf diese Provokation reagieren, ist eine Herausforderung für uns alle: für die Zivilgesellschaft, für die Politik und für unsere Öffentlichkeit. Wir dürfen diesen Gruppierungen mit teils offen antidemokratischen Überzeugungen nicht unwidersprochen diese Farben überlassen.
Welche Reaktion schlagen Sie vor?
Ich wünsche mir eine breite Diskussion über Symbole unserer Demokratie. Wir sollten nicht mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen, dass diese Farben in radikalen, antidemokratischen Versammlungen mitgeführt werden und darüber nachdenken, inwieweit wir uns neben Trauertagen und hohen Feiertagen auch sonst zu Schwarz-Rot-Gold bekennen.
Sollte man auch in den Schulen die Bedeutung von Schwarz-Rot-Gold mehr in den Fokus nehmen?
Das hielte ich für sinnvoll. Also nicht, dass jetzt jede Schule die Flagge hisst, aber im Sinne einer Diskussion darüber. Denn die schwarz-rot-goldene Flagge ist unser einziges Nationalsymbol, das nicht von den Nationalsozialisten kontaminiert wurde – anders als die Hymne oder der Bundesadler. Schwarz-Rot-Gold als Symbol haben die radikalen Demokratiefeinde und die Nationalsozialisten immer schon verachtet.
Wer in seinem Garten eine Deutschlandfahne abseits von Fußballturnieren hängen hat, der wird schnell klischeehaft in eine bestimmte Ecke gedrängt.
Ja, das halte ich für höchst bedauerlich. Es darf eben nicht dazu kommen, dass das Zeigen von Schwarz-Rot-Gold unter einem politischen Generalverdacht steht. Dann hätten die Verächter der Demokratie gewonnen.
Wann haben Rechtsextreme begonnen, die Deutschlandfahne für ihre Zwecke zu missbrauchen?
Bis in die 80er Jahre haben sich die radikalen und antidemokratischen Gruppierungen zu Schwarz-Weiß-Rot bekannt. Aber dann haben bereits die Republikaner und die NPD Schwarz-Rot-Gold für sich entdeckt. Durch den Niedergang dieser extremen Parteien folgte in jenem Milieu eine Zeit des Vergessens von Schwarz-Rot-Gold – bis 2014. Seit den Pegida-Versammlungen taucht deutschlandweit vor allem bei rechten Antisystemprotesten Schwarz-Rot-Gold auf. Und das in teils rassistischen, völkischen Konstellationen. Als Zeichen der Staatsverachtung wird die Fahne oftmals auch umgekehrt gezeigt.
Wenn Rechtsextreme wie am Samstag in Stuttgart also konsequent sein wollen, müssten sie eigentlich die schwarz-weiß-rote Flagge schwenken?
Ja, und das geschieht ja auch, wenn jene Gruppierungen unter sich sind. Bei ähnlichen Versammlungen in anderen deutschen Städten wehte am letzten Samstag die Deutschlandflagge direkt neben Schwarz-Weiß-Rot. Bezogen auf die historische Tradition ist diese Bewegung gegen Widersprüche offenbar komplett immun.
Schwarz-Rot-Gold als ein Widerspruch zu deren Gesinnung?
Ja, aber es schwingt im Zeigen von Schwarz-Rot-Gold immer auch der Anspruch mit, die eigentlich legitimen „Vertreter des deutschen Volkes“ zu sein. Ein Volk, das in deren Gesinnung ethnisch homogen gedacht ist. Man bekennt sich nicht zu den mit diesen Farben verbundenen, freiheitlichen, demokratischen Traditionen und Werten, sondern man erhebt nur den Anspruch auf nationale Vertretung.
Für welche Werte steht Schwarz-Rot-Gold?
Die Farben stammen von den Uniformen eines Freiwilligenverbandes der preußischen Armee in den Befreiungskriegen gegen Napoleon. In Anlehnung an diese Uniform hat sich die Urburschenschaft von Jena eine schwarz-rote Fahne mit goldenen Fransen gegeben. So wurden Schwarz, Rot und Gold zu den Farben der Deutschen, die für die Freiheits- und Einheitsbewegung standen. Anstelle eines Flickenteppichs aus vielen kleinen Herrschaftsgebieten wollte man einen geeinten deutschen Nationalstaat – einhergehend mit Freiheits- und Grundrechten. Beim Hambacher Fest von 1832 wurde dann erstmals eine schwarz-rot-goldene Fahne in der noch heute genutzten Form mitgeführt. Seitdem wurden die Farben immer wieder mit den Werten Einheit, Freiheit und Demokratie verknüpft.
Welchen Umgang pflegen die Besucher des Hambacher Schlosses mit der Deutschlandfahne?
Hier in der Region ist ein geschichtsbewusstes Bekenntnis zu Schwarz-Rot-Gold schon weit verbreitet. Bei unseren Besuchern nehme ich eine gewisse Zurückhaltung vor allem in älteren Generationen, 50 Jahre aufwärts, wahr – durch ihre generationelle und schulische Prägung. Viele verbinden die Flagge mit nationalistischen Ideen. Rund 60 Prozent unserer Gäste haben laut eigener Auskunft zuhause überhaupt keine Deutschlandflagge und könnten sich auch nie vorstellen, im Garten oder am Auto zu einer WM eine Flagge zu zeigen. Bei jüngeren Generationen nehme ich eine unverkrampftere Haltung zur Nationalflagge wahr.
Wie blicken Sie auf diese Zurückhaltung?
Die ist natürlich nachvollziehbar, denn nach dem Nationalsozialismus und seinem Hyper-Nationalismus hat sich in der Bundesrepublik eine „Haltung der Zurückhaltung“ in allen Fragen der nationalen Selbstdarstellung etabliert. Aber die Zurückhaltung darf nicht zu einer Gleichgültigkeit werden gegenüber unseren Nationalsymbolen. Im Gegenteil: Gerade jetzt, in Zeiten, in denen unsere Demokratie vielen Anfechtungen ausgesetzt ist, sollten wir neu nachdenken – über die freiheitlich-demokratischen Wurzeln unserer Demokratie sowie über unsere zu verteidigenden Werte inklusive der Symbole.
Während Fußballturnieren oder anderen Sportveranstaltungen ist die Hemmschwelle aber generell niedriger, die Deutschlandflagge zu zeigen.
Ja, dann ist Schwarz-Rot-Gold das gemeinschaftsstiftende Symbol, was ja auch natürlich ist. Auch Demokratien brauchen diese Symbole. Umso wichtiger sind Diskussionen über die Integrationswirkungen, über die historischen Traditionen von Schwarz-Rot-Gold und – mit den Worten unseres Bundespräsidenten – Diskussionen über einen „demokratischen Patriotismus“.
Historiker am Hambacher Schloss
Experte Kristian Buchna, 42 Jahre alt, arbeitet seit 2020 als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Stiftung Hambacher Schloss. Der Historiker ist an der „Wiege der Deutschen Demokratie“ für vier Bereiche zuständig: Veranstaltung, Ausstellung, Forschung und Vermittlung.
Ausstellung Im Hambacher Schloss liegt die „Urfahne“ vom Hambacher Fest. Am 27. Mai 1832 kamen bis zu 30 000 Menschen, um für ein geeintes Deutschland einzutreten.

© Stiftung Hambacher Schloss/Tino Latzko
Auf dem Turm des Hambacher Schlosses weht die schwarz-rot-goldene Deutschlandfahne.

© Stiftung Hambacher Schloss
Im Innern liegt die „Urfahne“ vom Hambacher Fest aus dem Jahr 1832. Damals wurde die schwarz-rot-goldene Flagge zum ersten Mal prominent gezeigt.

© STZN/Florian Dürr
Rechtsextreme wie am vergangenen Wochenende im Stadtgarten in Stuttgart missbrauchen die Deutschlandfahne immer wieder für ihre Zwecke.