Die Lage im Überblick
Hoffen auf friedlichen Umbruchprozess in Syrien
Das Bürgerkriegsland Syrien steht nach dem Umsturz vor einer ungewissen Zukunft. Vertreter der internationalen Gemeinschaft wollen beim Übergang helfen. Derweil tobt der Krieg im Gazastreifen weiter.
Von dpa
Damaskus/Amman - Nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad hofft die Welt auf einen friedlichen Übergang zu einer neuen politischen Führung. Bei einem Krisengipfel in Jordanien beraten Außenminister arabischer Staaten heute mit internationalen Vertretern über die Zukunft des von Diktatur und Bürgerkrieg geschundenen Landes. Die Staats- und Regierungschefs der Gruppe sieben führender Industrienationen (G7) mahnten in einer Videoschalte einen "umfassenden politischen Prozess" an, sagte Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als amtierende G7-Vorsitzende.
Die Türkei öffnet derweil heute wieder ihre Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus, wie Außenminister Hakan Fidan laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu sagte. Die Botschaft war 2012 wegen des Bürgerkriegs geschlossen worden.
Krisengipfel berät über Syriens Zukunft
Der türkische Außenminister selbst wird sich heute bei dem Krisengipfel in Jordanien mit seinen Kollegen aus arabischen Staaten treffen. Dazu gehören nach jordanischen Angaben die Minister aus Jordanien, Saudi-Arabien, dem Irak, dem Libanon, Ägypten, den Vereinigen Arabischen Emiraten, Bahrain und Katar.
Auch US-Außenminister Antony Blinken, die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, nehmen an dem Gipfel in der Stadt Akaba teil. Dabei sollten Wege ausgelotet werden, um Syrien in der Umbruchphase zu unterstützen, teilte Jordaniens Außenministerium mit. Ziel sei es, einen politischen Prozess unter syrischer Führung anzustoßen, der alle Gruppen in dem zersplitterten Land einbezieht.
Die Lage in Syrien war auch Thema von Gesprächen des Oberbefehlshabers des US-Regionalkommandos Centcom, General Michael Erik Kurilla, in Israel, teilte Centcom am Morgen mit. Er traf sich unter anderem mit Generalstabschef Herzi Halevi und Verteidigungsminister Israel Katz. Kurilla habe dabei die "eiserne" militärische Partnerschaft zwischen den USA und Israel betont. Der Centcom-Kommandeur, der der Mitteilung zufolge in vergangenen Tagen auch Jordanien, Syrien, den Irak und den Libanon besucht hatte, sagte demnach: "Wir müssen starke Partnerschaften aufrechterhalten, um aktuellen und künftigen Bedrohungen in der Region zu begegnen."
Die USA haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums derzeit rund 900 Soldaten in Syrien stationiert, um gegen die Terrormiliz IS in der Region vorzugehen. US-Präsident Joe Biden zufolge sollen die US-Truppen auch nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Assad vorerst in Syrien verbleiben.
Bericht: Syriens Rebellen planten Umsturz seit einem Jahr
Eine von der Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführte Rebellenallianz hatte am Sonntag den seit 24 Jahren autoritär in Syrien regierenden Machthaber gestürzt. Assad floh nach Russland, wo er Asyl erhielt. Vor einem Jahr habe man mit der konkreten Planung für Assads Sturz begonnen, sagte der Chef des militärischen Flügels der HTS, Abu Hassan al-Hamwi, dem britischen "Guardian".
Die Vorbereitungen liefen jedoch schon seit Jahren, sagte er. Man habe 2019 durch Angriffe der Assad-Truppen erhebliche Gebietsverluste erlitten. Alle Gruppierungen hätten erkannt, "dass das grundlegende Problem das Fehlen einer einheitlichen Führung und Kontrolle über den Kampf war", sagte er.
Daraufhin habe die HTS andere oppositionelle Gruppen im Nordwesten unter ihre Kontrolle gebracht und dann ihre Kämpfer mit einer von der HTS entwickelten Militärdoktrin langsam zu einer disziplinierten Kampftruppe geformt, sagte er. Ende November sah die Rebellenallianz die Zeit reif für ihre Offensive, da Assads wichtigste Verbündete mit anderen Konflikten beschäftigt waren: Russland kämpfte in der Ukraine, während der Iran und die mit ihr verbündete libanesische Hisbollah vom Kampf mit Israel geschwächt waren.
Scholz: Europa wird Wiederaufbau Syriens unterstützen
Bundeskanzler Olaf Scholz versprach derweil Hilfe beim Wiederaufbau Syriens. "Auch Europa wird beim Wiederaufbau helfen", sagte der SPD-Politiker in seinem "Kanzler kompakt"-Video, das auf der Plattform X veröffentlicht wurde. Nach all dem Leid verdienten die Syrerinnen und Syrer ein Leben in Freiheit und Sicherheit. Es sei die Aufgabe der neuen Machthaber, das sicherzustellen. "Auf dieser Grundlage werden wir mit ihnen zusammenarbeiten", sagte Scholz.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz fordert nach dem Umsturz in Syrien strengere Kontrollen an den europäischen Außengrenzen, um die Einreise von Assads Unterstützern zu verhindern. "Wir Europäer müssen nun schnellstmöglich gemeinsam dafür sorgen, dass die Mittäter des Assad-Regimes aus der zweiten und dritten Reihe nicht unerkannt als Asylbewerber nach Europa und nach Deutschland kommen", sagte der Kanzlerkandidat der "Rheinischen Post".
Die Türkei wird nach dem Machtwechsel als einflussreichster ausländischer Akteur in Syrien gehandelt. "Ankara verfügt über die stärksten Kommunikationskanäle und arbeitet seit langem mit der islamistischen Gruppe zusammen, die derzeit in Damaskus das Sagen hat", schrieb die Analystin Gönül Tol im Magazin "Foreign Affairs". Man habe keine Kontrolle über die HTS, der Gruppe aber deutlich gemacht, dass man auf einen friedlichen Übergang hoffe, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person in Ankara der dpa.
Krieg im Gazastreifen dauert an
Derweil geht der Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und der islamistischen Hamas weiter. Die israelische Luftwaffe griff nach eigenen Angaben erneut eine Kommandozentrale der Hamas in der Stadt Gaza im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens an. Sie habe sich in einem Gebäude befunden, das früher eine Schule gewesen sei, teilte die Armee in der Nacht mit. Der Angriff habe Hamas-Terroristen gegolten, die dort "in unmittelbarer Zukunft" Anschläge auf Israels Truppen in Gaza und auf israelisches Gebiet geplant hätten. Vor dem "präzisen Angriff" habe man zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Gefahr für Zivilisten zu mindern. Die Angaben der Armee ließen sich nicht unabhängig überprüfen.
Angaben zu möglichen Opfern wurden nicht gemacht. Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, dass erneut zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgefeuert worden seien. Sie seien abgefangen worden, hieß es. Raketenangriffe aus dem seit mehr als einem Jahr umkämpften Gazastreifen waren zuletzt eher selten.
Auslöser des Kriegs war das Massaker palästinensischer Terroristen aus dem Küstengebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel mit 1.200 Toten und rund 250 Verschleppten. Seither kämpft Israel gegen die islamistische Hamas in Gaza, wo nach palästinensischen Angaben bisher fast 45.000 Menschen getötet wurden. Bei den Zahlen wird nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden.