Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung

Hohe Sozialbeiträge würden Südwesten stark belasten

In Berlin wird eine deutliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in Kranken- und Pflegeversicherung diskutiert. Sie hätte große Folgen.

Die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist angespannt.

© /Jens Kalaene

Die Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ist angespannt.

Von Rainer Pörtner

Anne-Kathrin Klemm wählte eine bilderreiche Sprache, um sich verständlich zu machen: „Die Kassen stehen mit dem Rücken zur Wand, trotz mehrfacher Beitragssatzerhöhungen in diesem Jahr“, sagte die Vorstandschefin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen vor wenigen Tagen. „Die steigenden Einnahmen werden von der Ausgabenwelle regelrecht weggespült.“ Klemm kündigte an, dass ihre Versicherten im kommenden Jahr mit sehr kräftigen Beitragssteigerungen rechnen müssen.

Das gilt für die allermeisten gesetzlich Versicherten in Deutschland. Trotz einiger Reformen wächst der Finanzbedarf der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung beständig. Unter Fachleuten gilt als sicher, dass die breit angekündigten Anhebungen der Versichertenbeiträge keine dauerhafte Entspannung bringen. Im politischen Berlin, vor allem bei Sozialdemokraten und Grünen, wird deshalb immer wieder diskutiert, die Besserverdiener unter den Versicherten stärker zur Kasse zu bitten.

Beitragsbemessungsgrenze wie in der Rentenversicherung?

Konkret wird überlegt, die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sehr deutlich anzuheben. Bis zu einer Grenze von 62 100 Euro von Lohn und Gehalt werden aktuell Beiträge zur Krankenversicherung (GKV) und Pflegeversicherung (PKV) fällig. Was darüber hinaus verdient wird, kommt nicht in Anrechnung. In der Renten- und Arbeitslosenversicherung liegt die Schwelle in Westdeutschland dagegen bei 90 600 Euro. Eine Gleichstellung auf dieses Niveau würde den Kassen einen echten Geldregen bringen. Bezahlen müssten ihn Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die sich die Beiträge teilen.

Laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die vom Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) beauftragt wurde, hätte eine solche Reform für Baden-Württemberg besonders große Folgen – und zwar für Beitragszahler, Arbeitgeber und die öffentliche Hand gleichermaßen.

Mittelabfluss aus den reichen in die ärmeren Regionen Deutschlands

Weil die Einkommen und Löhne im Südwesten relativ hoch sind, wären hier besonders viele Arbeitnehmer betroffen. Laut IW-Studie, die unserer Redaktion vorliegt, würden in Baden-Württemberg 1,2 Millionen Arbeitnehmer getroffen von einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Das sind 25,1 Prozent der gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherten – deutlich mehr als etwa in Ostdeutschland, wo die Anteile zwischen 13,6 und 7,4 Prozent liegen. Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer entstünden bei einer solchen Beitragsreform bundesweit jährliche Mehrbelastungen von 22,9 Milliarden Euro. Davon gingen 4,3 Milliarden Euro zu Lasten der Baden-Württemberger. Die Pro-Kopf-Belastung der konkret Betroffenen in Baden-Württemberg läge bei 3 606 Euro.

Das Leistungsversprechen der GKV und der PKV ist im Großen und Ganzen bundesweit einheitlich. Wenn aber die Versicherten in Baden-Württemberg weit mehr einzahlen als beispielsweise die Versicherten in Berlin, Sachsen oder dem Saarland, findet eine Art Quersubventionierung statt – ähnlich dem Länderfinanzausgleich. Die IW-Forscher haben errechnet, was das bei einer solchen Reform bedeuten würde: die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Baden-Württemberg würden durch die höhere Beitragsbemessungsgrenze mit 4,3 Milliarden Euro jährlich belastet. Davon würden unter dem Strich 1,23 Milliarden Euro in andere Regionen abfließen – der mit Abstand höchste Verlust aller Bundesländer.

Eine Nebenfolge: Steuerausfälle im Südwesten

Weil auch die höheren Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung als Sonderausgaben bei der Einkommensteuer abzugsfähig sind, führen die zwangsläufig folgenden Steuererstattungen zu Mindereinnahmen des Staates. Die Steuerausfälle für Baden-Württemberg beliefen sich auf 505 Millionen Euro pro Jahr. Für den Bund und alle Länder zusammen ginge es hier um stattliche 4,74 Milliarden Euro.

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Erstellt:
19. Dezember 2024, 13:10 Uhr

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