Holzhackschnitzel wärmen die Obere Walke in Backnang
Die Stadtwerke bauen neben der Eugen-Adolff-Straße ein Kraftwerk, mit dem die 450 neuen Wohnungen und alle weiteren Gebäude im neuen Quartier jenseits der Murr beheizt werden. Der Standort liegt zwischen der Villa Adolff und dem Finanzamt.
Von Matthias Nothstein
Backnang. Das Pflegeheim, das Ärztehaus und die anderen gewerblichen Flächen sowie vor allem die 450 neuen Wohnungen in der Oberen Walke in Backnang werden künftig ihre Heizungswärme von einem Heizkraftwerk in der Eugen-Adolff-Straße beziehen. Dieses Kraftwerk soll direkt an der Straße zwischen der Villa Adolff und dem Finanzamt oberhalb des Eugen-Adolff-Sportplatzes entstehen. Die Energie gewinnt es aus Holzhackschnitzeln, die aus der Region stammen werden. In der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Technik und Umwelt des Gemeinderats stellte Thomas Steffen, der Geschäftsführer der Stadtwerke Backnang, das Projekt vor.
Die Wärmeerzeugung des Kraftwerks erfolgt überwiegend mit Holzhackschnitzeln und wird ergänzt durch eine Wärmepumpe. Für die Wärmeversorgung des Quartiers kommt im Winter ein Hackschnitzelkessel mit einer Maximalleistung von 1,2 MW zum Einsatz. Im Sommerbetrieb wird die Wärme über eine Sole-Wasser-Wärmepumpe bereitgestellt. Als Quelle wird solare Strahlungswärme genutzt, die mittels Absorberplatten auf dem Dach gewonnen wird. Geplant ist ferner, dass der im Quartier Obere Walke erzeugte Fotovoltaikstrom für die Wärmepumpe verwendet wird. Somit würde das neue Quartier mit regenerativen Ressourcen und damit nachhaltig betrieben und versorgt werden. Rund 80 Prozent der Wärme werden durch Holzhackschnitzel, 20 Prozent durch die Wärmepumpe erzeugt. Für eventuelle Notfälle und Wartungssituationen verlegen die Stadtwerke auch eine Erdgasleitung zum Kraftwerk. Doch Steffen betont, dass er nicht davon ausgeht, dass diese jemals benötigt wird.
Das Kraftwerk ist erweiterbar und kann weitere Nutzer mit Wärme versorgen
Anfangs ist geplant, nur das Quartier Obere Walke mit Wärme zu versorgen, weshalb die Maximalleistung des Kessels auf 0,8 MW reduziert wird. Dies reicht für die 450 Wohneinheiten. In Zukunft können laut Steffen noch andere Abnehmer angeschlossen werden, vorzugsweise auf der südlichen Murrseite. So bestätigt der Chef der Stadtwerke Gespräche mit dem Pflegeheim Haus am Berg. Die Kapazitäten würden sogar ausreichen, um im Bereich der einstigen Spinnerei, der Firma d&b-Audiotechnik oder dem benachbarten Wohngebiet weitere Gebäude mit Wärme versorgen zu können. Sollten wirklich mehrere Eigentümer Interesse bekunden, so könnte sogar ein zweites Heizkraftwerk an einem weiteren Standort – dann in Nähe der weiteren Abnehmer – gebaut und in das Netz eingebunden werden.
Tobias Großmann, der Leiter des Stadtplanungsamtes, erklärte den Stadträten, was mit dem Bau des Heizkraftwerkes noch gleich alles erledigt wird. So gibt es derzeit eine Verbindung für Fußgänger von der Eugen-Adolff-Straße zur Murr und über die Brücke zur Oberen Walke, die aktuell nicht sehr attraktiv und wenig einsehbar ist. Im Zuge des Kraftwerkbaus soll sich dies ändern. Die Treppe an der Böschung zur Straße wird saniert, der Weg neu verlegt und künftig breiter und heller. Zudem ist eine Beleuchtung geplant. Durch die Skateranlage, die jetzt endlich gebaut werden soll, und durch die Sanierung des Eugen-Adolff-Sportplatzes hofft Großmann auch auf eine weitere Belebung des Areals, die dann auch zu einer besseren sozialen Kontrolle beiträgt. Unterm Strich werden die Aufwertung und Belebung der Fläche dazu beitragen, dass das Sicherheitsgefühl bei den Passanten zunehmen wird, so lautet die Hoffnung.
Die Entfernung zu den Nutzern ist problemlos
Die Belieferung des Heizwerkes ist je nach Heizperiode pro Woche ein- bis dreimal nötig. Dies werde jedoch zu keinen Problemen führen, da die Lastwagen oder landwirtschaftlichen Zugmaschinen auf dem Betriebsgelände rangieren können. Steffen zeigte sich überzeugt vom Standort und sagte, dass drei weitere Flächen geprüft worden sind. Aber alle hatten gravierende Nachteile oder waren gar nicht realisierbar. So wären in einem Fall weitere Wege und aus technischen Gründen höhere Kamine nötig gewesen. In einem anderen Fall konnte keine Einigung mit den Grundstücksbesitzern erzielt werden. Im dritten Fall hätte der Hackschnitzelbunker im Überschwemmungsgebiet gelegen. Die Vorteile des jetzt gewählten Standortes waren hingegen laut Steffen und Großmann vielseitig. Die Entfernung zu den Nutzern ist – trotz der Murr dazwischen – problemlos. Das Werk passt sich gut ins Landschaftsbild ein und ist von der Straße aus nicht als Industriebau erkennbar. Die beiden Kamine ragen aufgrund des tieferliegenden Gebäudes nur wenig über das Dach hinaus, selbst wenn die Anlage erweitert wird, werden es nur sechs Meter sein. Und die Erweiterungsmöglichkeiten des Nahwärmenetzes sind vielfältig.
Das Kraftwerk soll eine vorgehängte Fassade aus Metall erhalten. Die futuristische Optik ließ einige Stadträte aufhorchen. Doch Großmanns Argumente überzeugten am Ende, sodass es eine breite Zustimmung zu den Plänen gab. Selbst Großmanns Begründung, warum eine Backsteinoptik wie in der gesamten Nachbarschaft hier nicht geeignet sei, ließ die Stadträte nicht widersprechen. So sagte der Planer, eine Backsteinoptik wäre in diesem Fall „keine schöne Geste“ und würde die Prachtbauten rundherum „verkleinern“. Willy Härtner (Grüne) freute sich, „es hat sich etwas bewegt“. Er meinte damit, dass inzwischen nicht mehr darüber diskutiert werde, ob Gas oder Öl als Brennstoff gewählt werde, sondern dass man in Backnang schon einen Schritt weiter sei, sodass es nun nur noch ums Gestalterische des Gebäudes gehe. Die Bedenken von Heinz Franke (SPD), dass der aktuell Boom zu einer Holzknappheit führen könnte oder dass der Brennstoff nicht mehr regional, sondern von weiter her bezogen werden müsse, räumte Steffen aus. Holzscheite für Öfen haben nichts mit Hackschnitzeln zu tun. „Das Material, das wir verbrennen, ist in den Augen der Holzmacher eher Abfall. Das sind Zweige, dünne Äste und Wurzeln.“ Und Gerhard Ketterer (CDU) äußerte die Hoffnung, dass das Pilotprojekt für Backnang viele Menschen zum ökologischen und ökonomischen Umdenken animiert. Bei all dem Lob wollte Lutz-Dietrich Schweizer (CIB) wissen, warum die Dibag das Kraftwerk nicht im Baugebiet realisiert habe. Aber so weit geht die Liebe dann auch nicht. Erstens wäre wertvoller Baugrund verloren gegangen. Und zweitens: So schön ist ein Kraftwerk mit seinen Kaminen mitten in einem Baugebiet auch nicht.
Zeitplan: Die Stadtwerke rechnen mit einer Baugenehmigung bis Ende 2022. Dann würden die Arbeiten sofort ausgeschrieben und ein schneller Baubeginn würde angestrebt werden. Mit der Fertigstellung rechnen die Verantwortlichen im Sommer oder Herbst 2024. Allerdings betont Thomas Steffen von den Stadtwerken, dass es derzeit aufgrund der aktuellen Lieferprobleme zu Verschiebungen kommen könnte. Keine Aussage trifft der Chef der Stadtwerke zu den Kosten. Zwar gebe es eine Kostenschätzung, aber die Preisentwicklungen bis zur Ausschreibung der Bauleistungen seien aktuell nicht absehbar. Und Steffen ergänzt: „Wir warten außerdem täglich auf die seit Langem angekündigte Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW), die zur Ratifizierung bei der EU liegt. Hier hoffen wir auf eine Förderung unseres Projekts in Höhe von 40 Prozent. In diesem Fall könnten wir trotz der aktuellen Preissteigerungen einen attraktiven Wärmepreis anbieten.“
Obere Walke Die Dibag hat bereits Ende April den Bauantrag für den zweiten Bauabschnitt sowie im Juni die Anträge für den dritten und vierten Bauabschnitt bei der Stadt Backnang eingereicht. Dibag-Projektleiter Sebastian Kuhlen geht davon aus, dass die Genehmigung für den zweiten Bauabschnitt noch dieses Jahr eintrifft. Dann lautet der Zeitplan: Baubeginn Baugrube im ersten Quartal 2023, Baubeginn Hochbau im zweiten Quartal des nächsten Jahres. Mit der Fertigstellung rechnet Kuhlen Ende 2025.
Zweiter Bauabschnitt Nach dem Baustart mit dem Pflegeheim im Frühjahr dieses Jahres sollen nun im zweiten Bauabschnitt 102 Wohneinheiten mit einer Wohnfläche von 7830 Quadratmetern entstehen. 18 Wohneinheiten werden öffentlich gefördert und zählen zur Kategorie „günstiges Wohnen“; die Miete für diese Wohnungen muss deutlich unter dem Mietspiegel liegen. Zum zweiten Bauabschnitt zählen insgesamt sieben Gebäude, darunter ein Ärztehaus an der Gartenstraße mit 2974 Quadratmetern Gewerbeflächen. In einer Tiefgarage werden 138 Stellplätze gebaut, zudem gibt es oberirdisch acht Stellplätze für Besucher.