Horst Lässing blickt auf seine Zeit als Landrat zurück

Horst Lässing hat in seiner gut 28-jährigen Amtszeit dem Rems-Murr-Kreis seinen Stempel aufgedrückt. Er war der erste Landrat des neu geschaffenen Landkreises. Als er vor 50 Jahren kandidierte, fand er alles andere als ein g’mähtes Wiesle vor, im Gegenteil.

Horst Lässing erinnert sich noch genau an seine Einsetzung vor 50 Jahren. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Horst Lässing erinnert sich noch genau an seine Einsetzung vor 50 Jahren. Foto: Alexander Becher

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Horst Lässing, der mittlerweile 86 Lenze zählt, erinnert sich an die aufregenden Tage und Wochen im Jahr 1973 noch ganz genau. Ursprünglich hatte der Jurist nämlich eine ganz andere Laufbahn eingeschlagen: Zunächst diente er als Pressereferent dem früheren Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Gerhard Stoltenberg. Nach dem Regierungswechsel von 1969, als die sozialliberale Koalition mit Willy Brandt und Walter Scheel in Bonn übernahm, wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Unionsfraktion im Bundestag und persönlicher Referent von Stoltenberg. Nach dessen Wahl zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein 1971 folgte er ihm nach Kiel, wo er in der Staatskanzlei eine maßgeschneiderte Aufgabe als stellvertretender Abteilungsleiter übertragen bekam. Dort legte er sich auch ein Haus zu und gründete mit seiner Frau, die bis dahin als Konsulin in Amsterdam gearbeitet hatte, eine Familie. Wieso also sollte der ambitionierte CDU-Mann ausgerechnet von der Ostseeküste ins Schwabenland wechseln?

Lässing hatte vor der Kandidatur wenig Erfahrung mit Kommunalpolitik

Friedrich Schock, ein Schorndorfer Unternehmer, mit dem er von früher bekannt war, rief eines Tages an und fragte, ob Lässing Landrat des Rems-Murr-Kreises werden wolle. Denn die CDU-Fraktion im Kreistag war noch auf der Suche nach einem Kandidaten. Der damals 36-Jährige zögerte. Er hatte herzlich wenig Erfahrung mit Kommunalpolitik, seine Prägung hatte er auf ganz anderer Ebene erfahren. Und es gefiel ihm im Norden: „Ich blicke hier auf die Kieler Förde.“ Aber dann fand sich der gebürtige Stuttgarter, der in Esslingen sein Abitur gemacht und unter anderem in Tübingen studiert hatte, doch bereit, Gespräche mit der Partei und der Fraktion zu führen und sich an Rems und Murr vorzustellen. Alles unter großem Zeitdruck, denn „Stoltenberg war anspruchsvoll“ – da blieb also wenig Spielraum für andere Dinge.

Auf seiner Vorstellungstour kam Lässing auch ins Backnanger Rathaus zum damaligen OB Martin Dietrich. Der machte keinen Hehl daraus, dass es in der Murr-Metropole Vorbehalte gegen Lässing gäbe. Ärgster Widersacher sei Alt-OB Walter Baumgärtner. „Haben wir keine eigenen Leute mehr?“, soll dieser sich dagegen verwahrt haben, dass „ein Kieler“ das Sagen an Rems und Murr haben soll. Das konnte Lässing nicht auf sich sitzen lassen. Sogleich enterte er die Telefonzelle beim Rathaus und rief an, um die Sache zurechtzurücken. Letztlich waren es nicht schwäbische Wurzeln, die er ins Feld führen konnte, sondern auch die langjährige Bekanntschaft seines Vaters mit dem Backnanger und die Tatsache, dass Lässing und Baumgärtner Bundesbrüder einer studentischen Gemeinschaft waren. Fortan war das Verhältnis ein ganz anderes und der einstige Kritiker zollte „dem Kieler“ wiederholt seine Anerkennung.

Stets Gegenwind aus der SPD-Fraktion

Auch dass er tatsächlich gewählt würde, war keine ausgemachte Sache. Lachend verweist er auf die Geschichte vom Pflästerer Lang, der allen Kandidaten seine Stimme versprochen habe – und hinterher dann von sich behaupten konnte, er habe den Wahlsieger auch gewählt. Eng ging es am 24. September 1973 aber tatsächlich zu. Lässing hatte zwei Mitbewerber – und die waren keineswegs von Pappe. Die SPD – Lässing: „Die SPD war immer gegen mich“ – schickte den Landtagsabgeordneten Heinz Bühringer ins Rennen, der sich auch schon als Landesvorsitzender der SPD einen Namen gemacht hatte. Die Liberalen wiederum versammelten sich hinter Adolf Kiess, den bisherigen Ersten Landesbeamten im Kreis Backnang und späteren Präsidenten der Landesanstalt für Umweltschutz.

Horst Lässing als Kandidat für das Amt des Landrats 1973. Archivfoto: privat

Horst Lässing als Kandidat für das Amt des Landrats 1973. Archivfoto: privat

Und konnte sich Lässing wirklich sicher sein, dass ihn alle Kreisräte der CDU, die keine Mehrheit im Kreistag hatte, auch tatsächlich wählen würden? Jahre später erfuhr er beispielsweise, dass Walter Sipple, der Bürgermeister von Althütte, sein Kreuz bei Adolf Kiess gemacht hatte, mit dem er aus Backnanger Zeiten in Verbindung stand – was dem folgenden guten Verhältnis zwischen Lässing und Sipple keinen Abbruch tat. Der Schultes vom Berg schuf sogar an der Bushaltestelle bei Fautspach, freilich eher im Scherz, einen „Horst-Lässing-Platz“. Die Wahl jedenfalls versprach spannend zu werden, gerade so wie spätere Landratswahlen auch, in denen Lässing wieder und wieder Herausforderer bezwingen musste. Um den CDU-Mann zu verhindern, hätten sich SPD und FDP/FW zusammentun müssen – aber keine Seite wollte ihren Kandidaten zurückziehen, trotz intensiver Gespräche zwischen den Wahlgängen. So aber verteilten sich die Stimmen und Lässing ging im dritten Wahlgang, als eine einfache Mehrheit reichte, als Sieger hervor und wurde am 12. November 1973 offiziell in sein Amt eingeführt.

Ruf als Modernisierer und Tempomacher

Was nun folgte, beschreibt Lässing als „learning by doing“ – Lernen durch Tun. Eine Ausbildung zum Landrat gibt es schließlich nicht, aber: „Ich habe vieles von Stoltenberg aufgenommen.“ Rasch hatte er einen Ruf als Modernisierer und Tempomacher. Auftretender Probleme nahm er sich an, gute Beispiele, die ihm irgendwo begegneten, versuchte er auf den Rems-Murr-Kreis zu übertragen. Ein eigenes Abfallwirtschaftsamt wurde geschaffen, weil sich die Müllbeseitigung als große Herausforderung entpuppte, ebenso ein eigenes Umweltamt, damals ein Novum im Land. Auf der Deponie Steinbach ließ er die erste Sickerwasserkläranlage bauen, und für die Arbeiten auf dem Gelände wurden Kaelble-Maschinen beschafft. Die Kfz-Zulassung in Waiblingen wurde mustergültig umgebaut, um die Wartezeiten zu verringern – eine landesweit beachtete Neuerung.

Intern richtete er eine wöchentliche Dezernentenrunde ein, Amtsleiter mussten ihn auf dem Laufenden halten – was später auch als „Meinungsaustausch“ apostrophiert wurde: Man ging mit der eigenen Meinung rein und kam mit der des Landrats heraus. Großes Anliegen: eine zügige und bürgernahe Verwaltung. Einfache Vorgänge sollten, so Lässings Postulat, binnen 14 Tagen erledigt sein. Als er einmal einen Amtsleiter antraf, auf dessen Schreibtisch sich Berge unerledigter Akten türmten, stellte er diesen vor die Wahl: Entweder er kommt auch übers Wochenende und bewältigt das Liegengebliebene, oder aber Lässing höchstselbst werde ihm, Akte für Akte, unter die Arme greifen. „Ich hatte nicht den Ehrgeiz, es allen recht zu tun. Ich will bei mir sein und mich wohlfühlen bei dem, was ich tue“, sagt der Mensch „mit Ecken und Kanten“, wie er oft beschrieben wurde, über sein Handeln im Amt und spricht von seiner Prägung in jungen Jahren, als er in Mexiko, Spanien und Brasilien aufwuchs und eine große kulturelle Weite aufsog. 1949 war die Familie in die mitunter beklemmende Enge Nachkriegsdeutschlands zurückgekehrt, eine ganz andere Welt, in der rigide Konventionen herrschten.

Lässing hätte gerne noch weitergemacht

Als frisch gewählter Landrat, dem im Vorfeld vor allem der Einsatz für den Bundesstraßenbau ans Herz gelegt worden war, besuchte er reihum die Einrichtungen des Landkreises, um sich ein Bild zu verschaffen. Am Backnanger Krankenhaus präsentierten ihm die Chefärzte einen 13 Punkte umfassenden Forderungskatalog, der dann unter anderem in die Errichtung eines damals hochmodernen Behandlungsbaus mündete. Das Landratsamt wiederum hatte, wie er feststellen musste, keinen Pressereferenten. Also gewann er einen jungen Assessor – den späteren Weinstadter Oberbürgermeister und Landtagsabgeordneten Jürgen Hofer – für diese Aufgabe. „Ich wollte ein Problemlöser sein“, fasst Lässing zusammen, „und die Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen aufstellen.“ Dass er oft auch als Kreisfürst tituliert wurde, nahm er hin – aber eher noch sah er sich als Kreispfleger, der 28 Jahre lang einen guten Job machen wollte und gern noch weitergemacht hätte, wenn ihn nicht die beamtenrechtlichen Bestimmungen mit 65 Jahren in den Ruhestand geschickt hätten.

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Erstellt:
21. November 2023, 11:30 Uhr

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