„IBA wird zum ersten Mal greifbar“

Interview Ein vierwöchiges Festival soll neugierig auf die Internationale Bauausstellung machen, die 2027 in der Region Stuttgart stattfindet. Welche Bedeutung die IBA für Backnang hat, erklärt Baubürgermeister Stefan Setzer im Interview.

Der Rahmenplan des Berliner Büros Teleinternetcafé zeigt, wie das neue Quartier im Backnanger Westen einmal aussehen soll. Er ist aber noch nicht verbindlich. Bild: Teleinternetcafè

© Teleinternetcafe/Treibhaus

Der Rahmenplan des Berliner Büros Teleinternetcafé zeigt, wie das neue Quartier im Backnanger Westen einmal aussehen soll. Er ist aber noch nicht verbindlich. Bild: Teleinternetcafè

Mit dem IBA-Festival will die Internationale Bauausstellung ein breites Publikum erreichen. Auch in Backnang finden etliche Veranstaltungen statt. Welche Erwartungen haben Sie an diese vier Wochen?

Wir haben die Erwartung, dass die IBA jetzt auch bei der Bevölkerung ankommt. Die IBA war ja bisher für viele Bürgerinnen und Bürger ein sehr abstrakter Begriff. Jetzt wird sie zum ersten Mal greifbar.

Der erste Artikel über die Backnanger IBA-Pläne ist im März 2019 in unserer Zeitung erschienen. Passiert ist auf den Industrieflächen im Backnanger Westen seitdem noch nichts. Wann werden wir dort die ersten Baukräne sehen?

Wenn Sie so ein großes Areal von Grund auf neu entwickeln möchten, muss viel Vorarbeit geleistet werden. Im Moment bereiten wir mit dem Eigentümer auf dem ehemaligen Gelände der Lederwerke Backnang einen Wettbewerb vor, der zum Ziel hat, ein Gebäude auf diesem Areal neu zu nutzen. Der Wettbewerb wurde dieses Jahr begonnen und es ist das Ziel des Eigentümers, möglichst bald mit dem Umbau zu beginnen. Aus heutiger Sicht würde ich deshalb sagen, dass wir ab 2025 zumindest dort einen Kran sehen können, vielleicht auch noch an anderen Stellen.

Erster Bürgermeister Stefan Setzer ist zuversichtlich, dass sich auf dem IBA-Areal trotz schwieriger Rahmenbedingungen bis 2027 noch einiges tun wird. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Erster Bürgermeister Stefan Setzer ist zuversichtlich, dass sich auf dem IBA-Areal trotz schwieriger Rahmenbedingungen bis 2027 noch einiges tun wird. Foto: Alexander Becher

Wenn man zur Bauausstellung 2027 nur ein einziges Gebäude präsentieren könnte, wäre das aber doch ein bisschen wenig.

Ein einziges Projekt ist uns zu wenig, das ist klar. Wir haben schon den Anspruch, dass es mehrere Projekte sind, idealerweise verteilt auf das Areal. Wir haben aber die Herausforderung, dass wir nicht selber Grundstückseigentümer sind, sondern gemeinsam mit den Eigentümern die Voraussetzungen schaffen müssen, dass dann auch bis 2027 Ergebnisse sichtbar sind.

Ein privater Investor wird am Ende aber nur bauen, wenn es sich für ihn wirtschaftlich lohnt. Die Rahmenbedingungen haben sich dafür in den vergangenen Monaten verschlechtert. Sowohl die Baukosten als auch die Zinsen sind massiv gestiegen. In Stuttgart und Winnenden wurden deshalb bereits IBA-Projekte auf Eis gelegt. Droht so etwas auch in Backnang?

Das ist letztlich immer eine Entscheidung der Grundstückseigentümer. Die hängt aber auch sehr stark von den jeweiligen Voraussetzungen ab. Und da macht es schon einen Unterschied, ob sie wie am Stöckach in Stuttgart eine Riesenfläche haben, auf der 800 Wohnungen gebaut werden sollen. Denn das kann man sinnvollerweise nur am Stück machen, weil dafür auch viel Infrastruktur gebraucht wird. Oder ob sie wie in Backnang die Möglichkeit haben, punktuell zu beginnen. Deshalb haben wir hier bessere Voraussetzungen. Und ich glaube, die Eigentümer haben auch erkannt, dass die IBA eine Chance bietet zur Attraktivitätssteigerung des Gebiets und damit auch zur Wertsteigerung ihrer Grundstücke.

Wäre nicht alles einfacher, wenn die Stadt zumindest einen Teil der Flächen erwerben und die Pläne – zusammen mit Partnern – selbst umsetzen würde?

Ja, das wäre einfacher und darüber wurde auch gesprochen. Die Verkaufsbereitschaft der Eigentümer von künftigen Bauflächen ist aber zumindest im Moment nicht gegeben. Wir bleiben jedoch weiter im Gespräch.

Der Masterplan, mit dem zwei Planungsbüros aus Berlin und Hamburg vor zwei Jahren den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen haben, umfasst insgesamt 17 Hektar und macht schon relativ konkrete Vorschläge, wie es dort einmal aussehen soll. Wie verbindlich sind denn diese Pläne?

Der Plan gibt einen Rahmen vor. Er definiert, wo Bebauung stattfindet und wie die städtebauliche Struktur aussieht. Wie sind die Höhen und Proportionen der Gebäude? Welche Nutzungen sind in den künftigen Baufeldern gewünscht? Wo sind Freiräume und wo die Zugänge zum Quartier? Er macht aber keine Vorgaben für die Architektur der einzelnen Gebäude. Die Bilder, die im Rahmenplan gezeigt werden, sollen nur eine atmosphärische Vorstellung geben: So könnte es sein. Vielleicht sehen die Häuser nachher auch anders aus. Das wissen wir jetzt noch nicht.

Ziel der IBA ist es, beispielhaft zu bauen, also nicht nur neue Gebäude hinzustellen, sondern Maßstäbe für künftige Generationen zu setzen. Wie wollen Sie diesen Anspruch in Backnang erfüllen?

Die Besonderheit in Backnang ist, dass es nicht nur darum geht, neu zu bauen, sondern auch darum, vorhandene Substanz zu nutzen. Die IBA will zeigen, wie man aus einer vorhandenen baulichen Struktur Neues schafft. Etwa indem man Gebäude umbaut oder baulich ergänzt oder indem man zum Beispiel Gewerbenutzung in Wohnnutzung überführt. Und die IBA will zeigen, dass man auch Nutzungen wieder mischen kann. Die „produktive Stadt“ ist ein großes Thema. Wir streben an, dass wir künftig weniger Nutzungstrennung haben als heute. Die IBA will beispielsweise zeigen, unter welchen Voraussetzungen funktioniert es, im selben Quartier zu wohnen und zu arbeiten.

Welche Vorteile hat das?

Durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten ist die Situation entstanden, die wir jetzt beklagen, nämlich dass wir für alles, was wir tun, mehr oder weniger lange Wege zurücklegen müssen. Ich wohne in A und arbeite in B, meine Freizeit verbringe ich in C und zum Einkaufen muss ich noch mal woanders hin. Das alles erzeugt Verkehr und wir beklagen uns ja immer über den zunehmenden Verkehr und mehr Emissionen. Deshalb muss auch dort angesetzt werden, wo Verkehr erzeugt wird, und das ist die Siedlungsstruktur. Das heißt, ich versuche, möglichst viele Funktionen in einem Quartier zu bündeln, wo sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder ÖPNV schnell erreichbar sind.

Nachhaltigkeit spielt sowohl beim Bau als auch bei der Energieversorgung eine immer größere Rolle. Welche neuen Ansätze wollen Sie dazu auf dem IBA-Gelände präsentieren?

Wir brauchen auf dem IBA-Areal eine dezentrale Energieversorgung. Das heißt, nicht jeder überlegt selber, wie er sich versorgt, sondern es soll ein Nahwärmenetz geben, das alle nutzen können und auch alle nutzen müssen. Wir haben da schon eine gute Basis mit der Biovergärungsanlage in Neuschöntal und denken gerade sehr intensiv darüber nach, wie wir auch aus der Kläranlage weitere Energie gewinnen können, um sie dann beispielsweise ins IBA-Areal einzuspeisen. Und natürlich wird dort auch das Thema Fotovoltaik eine große Rolle spielen. Darüber hinaus überlegen wir, welche anderen Möglichkeiten es gibt, um vor Ort Energie zu erzeugen, Stichwort Geothermie. Schlussendlich muss das Gebiet klimaneutral sein, das heißt, idealerweise verbraucht es genauso viel Energie, wie es erzeugt, oder sogar weniger.

Hohe energetische Standards machen das Bauen aber auch immer teurer. So entstehen Wohnungen, die zwar umweltfreundlich sind, die sich aber nur Topverdiener leisten können. Wie kann Wohnen wieder bezahlbar werden?

Das ist eine sehr gute Frage und die wird im Moment ja auch intensiv diskutiert. Ich glaube, es ist nicht der richtige Weg, jetzt alle Standards niederzureißen und zu sagen: Wir bauen wieder viel billiger und einfacher. Wir müssen intelligenter bauen. Denn es bringt ja nichts, wenn wir Gebäude schaffen, die zwar heute bezahlbar, aber in 20 Jahren teure Sanierungsfälle sind. Schlussendlich wird es künftig wieder stärker eine öffentliche Aufgabe sein, bezahlbar zu bauen. Wenn wir das ausschließlich dem Markt überlassen – das haben wir jetzt gesehen – werden wir perspektivisch den Wohnraumbedarf nicht decken können.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die IBA 2027 ohne Backnang stattfindet, weil man hier noch nichts besichtigen kann?

Da habe ich überhaupt keine Sorge. Wir sind uns sicher, dass es bis dahin Dinge geben wird, die man besichtigen kann. Es geht ja nicht darum, dass wir 17 Hektar fertige Bebauung zeigen können, sondern dass wir zeigen, wie sich das Quartier weiterentwickeln kann. Im Übrigen wird es in Backnang nicht nur Projekte auf dem IBA-Areal geben, sondern auch noch das eine oder andere in der Stadt. Die Kreissparkasse will am Obstmarkt neu bauen und hat schon deutlich gemacht, dass sie dort sehr ambitioniert ist, was Energieeinsparung und Nachhaltigkeit anbelangt. Wir können uns gut vorstellen, daraus ein IBA-Projekt zu machen, wenn auch die städtebaulichen Qualitäten stimmen. Backnang wird 2027 dabei sein – da gibt es keinen Zweifel.

Das Gespräch führte Kornelius Fritz.

IBA-Festival

Projektbühnen Als Einstimmung auf die Internationale Bauausstellung 2027 finden im Vorfeld zwei IBA-Festivals statt. Das erste dauert vom 23. Juni bis zum 23. Juli 2023. Die Festivalzentrale befindet sich auf der Königstraße in Stuttgart. Daneben gibt es noch drei sogenannte Projektbühnen in Backnang, Fellbach und Stuttgart-Rot.

Programm Die Veranstaltungen in Backnang beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Baumaterial. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie in Zukunft ressourcenschonender gebaut werden kann. Am Freitag, 7. Juli, findet dazu im Technikforum ein sogenannter IBA-Tag mit Workshops und einer „Science Night“ statt. Die Fachveranstaltungen werden ergänzt durch ein Kulturprogramm (siehe Seite 19) mit verschiedenen Ausstellungen und einem Bildhauersymposium. Das komplette Festivalprogramm findet man online unter https://festival.iba27.de/programm.

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Erstellt:
30. Juni 2023, 06:00 Uhr

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