Christian Lindner bei Caren Miosga
„Ich gehe durch einen Hagelschauer“
Zwischen Caren Miosga und FDP-Chef Christian Lindner wird es im ARD-Talk heftig, aber der Liberale punktet sogar im Publikum – und verpasst seiner Partei die Märtyrerrolle.
Von Christoph Link
Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) war zu Gast bei Caren Miosga am Sonntagabend in der ARD und sollte die Frage beantworten, ob es ihm um die Rettung der Wirtschaft gehe oder um die der eigenen Partei.
Aber zunächst einmal ging es um das heftig umstrittene D-Day-Papier, das am Samstag zum Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai sowie des Bundesgeschäftsführers Carsten Reymann – dem Autor des Papiers – geführt hatte.
Aber so sehr sich Miosga auch bemühte, mit ihren immer wiederholten Fragen nach „seiner“, also Lindners Verantwortung, für das mit Kriegsrhetorik versehene Papier, kam sie nicht weiter.
Christian Lindner will keine Kenntnis über D-Day-Papier gehabt haben
Der FDP-Chef ging keinen Millimeter über die Darstellung hinaus, die er schon am Samstagabend in einem Interview mit den „Tagesthemen“ gegeben hatte: Das Papier sei ohne seine Kenntnis entstanden, er hätte es auch nicht gebilligt, es sei „unprofessionell“ schlecht in der Stilistik und es werfe ein „falsches Licht“ auf die FDP.
Im übrigen entstünden täglich in einem Ministerium mit vielleicht 2000 Mitarbeitern oder einer Parteizentrale mit rund 60 bis 70 Mitarbeitern Dutzende von Papieren, von denen er keine Kenntnis habe, die in der Schublade verschwänden und für die auch er nicht die Verantwortung übernehmen könne.
Tatsache aber sei, dass es wegen dem durch eine „Durchstecherei“ publik gewordenen D-Day-Papier zu „außerordentlich schmerzhaften Rücktritten“ von verdienten Mitarbeitern gekommen sei. So habe Djir-Sarai seinen Rücktritt eingereicht, weil er unwissentlich die Unwahrheit – es ging um die Kenntnis der D-Day-Formulierung – gesagt habe. Das Krisenmanagement habe in der FDP nicht funktioniert.
Lindner: Nie eine Ampel-Garantie gegeben
Auch wiederholte Lindner seine Aussage, dass er das Erstellen eines solchen Papieres im Prinzip gebilligt habe, denn es sei natürlich seit dem Sommer auch um die Frage gegangen, ob die Ampel-Koalition weiter fortgesetzt werden könne oder man einen Politikwechsel schaffe. „Die Politik der Ampel war doch nicht gut für unser Land, was die Sicherung von Arbeitsplätzen, den Haushalt und die Migrationsfrage anbelangte“, so Lindner.
Man habe sich auf alle Eventualitäten vorbereiten müssen, er habe im gesamten Herbst „nie eine Ampel-Garantie“ abgegeben, sondern stets gesagt, „entweder kommt es zu einer anderen Politik, oder wir machen den Weg frei für eine neue Dynamik“. Möglich gewesen wäre ein „Weitermachen“, geordnete Neuwahlen oder ein Ausscheiden der FDP aus der Regierung.
Lindner reagiert empört auf Nachfrage bei Caren Miosga
Miosga hakte mehrfach nach, betonte, dass sie es kaum glauben könne, dass einer seiner engsten Vertrauten, Reymann, ein solches Papier ohne Lindners Kenntnis verfassen könne. Lindner reagierte zum Teil empört auf die Nachfragen, man sei doch hier nicht „im Tribunal“ meinte er, ein anderes mal heischte er die Moderatorin an: „Bitte unterbrechen Sie mich nicht bei jedem Satz, vielleicht wollen die Zuhörer erfahren, was ich zu sagen habe.“ Da gab es im Studio vom Publikum Beifall für den Liberalen.
Auf die Frage, wann genau er denn vom D-Day-Papier erfahren habe, und warum er nicht schon Mitte November, als die „Zeit“ einen entsprechenden Artikel veröffentlichte, mal in der eigenen Parteizentrale nachhakte, antwortete Lindner vage.
Er wolle jetzt nicht über „Daten und Uhrzeiten“ sprechen. Den Wunsch von Miosga, er möge doch mal im Sinne von mehr Transparenz andere Papiere der FDP mit Szenarien zum Ampel-Ausstieg veröffentlichen, gab Lindner unter einer K.o.-Bedingung statt: Wenn auch alle anderen Parteien ihre internen Papiere veröffentlichten. Also ein klares Nein.
FDP-Chef Lindner strotzt bei Caren Miosga vor Selbstbewusstsein
Interessant war in der Sendung ein Nebenaspekt, und zwar das nach wie vor ungebrochene Selbstbewusstsein des Chef-Liberalen. Miosga wies auf die vielen Wahlniederlagen der FDP und die im Keller befindlichen Umfragewerte hin. Ob er da nicht eine Führungsverantwortung sehe, oder ob er als Parteichef „too big to fail“ sei.
Er müsse sich natürlich selbst prüfen, habe aber die Absicht, erneut als Parteichef zu kandidieren, sagte Lindner. „Ich gehe jetzt durch einen Hagelschauer mit faustgroßen Hagelkörnern.“ Die FDP habe einen Politikwechsel angeboten und den Weg frei gemacht für Neuwahlen und dies nicht aus einer Position der Stärke heraus: „Wir haben unsere Existenz in die Waagschale geworfen.“
Die FDP hafte mit ihrer Existenz dafür, für ihre Überzeugungen zu kämpfen und nicht an den Ämtern zu kleben. Miosga äußerte sich verwundert darüber, dass alle drei gescheiterten Ampel-Spitzenkräfte – Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner – jetzt wieder antreten und fragte, woher sie eigentlich die Legitimation dafür nähmen.
Lindner sieht sich da als Ausnahme: Er sei derjenige von den Dreien gewesen, der mit allen seinen Aussagen dafür eingetreten sei, dass es so mit der Ampel nicht weitergehe und sein vorgestelltes Wirtschaftspapier für eine Politikwende, das den Bruch auslöste, habe viel Zustimmung in der Fachwelt erfahren: „Ich habe Verantwortung auch für das Land übernommen.“ Hätte er nicht gehandelt, so Lindner, hätte man jetzt noch ein Jahr des „Rum-Scholzens“ und des „Ampel-Stillstands“ gehabt.
Lindner wird „unsaubere Rechnung“ vorgeworfen
Wie es nun aber weiter geht, allen voran mit der Schuldenbremse, das war Thema im zweiten Teil der Sendung mit der Journalistin Eva Quadbeck (Redaktionsnetzwerk Deutschland) und dem Ökonomen Moritz Schularick (Kiel Institut für Weltwirtschaft). Christian Lindner monierte, dass CDU-Chef Friedrich Merz offenbar von seiner Grundüberzeugung, dem Festhalten an der Schuldenbremse, abrücke, um sie einer möglichen Koalition mit der SPD anzupassen.
Quadbeck und Schularick machten aber keinen Hehl daraus, dass sie dies für geboten halten. Schularick betonte, dass es parteiübergreifend den Konsens gebe, angesichts der neuen Bedrohungslage mehr in Sicherheit zu investieren. Er machte eine Rechnung auf, wonach bei drei Prozent Verteidigungsausgaben des Bruttoinlandsproduktes jährlich 50 Milliarden Euro fehlen würden, das lasse sich nicht durch Abstückeln am Haushalt füllen.
Es sei im übergeordneten Interesse in dieser Situation eine Ausnahme für Nettoinvestitionen in die Verteidigung bei der Schuldenbremse zu machen. Quadbeck kritisierte die von Lindner vorgeschlagene Rechnung für Einsparpotenziale bei illegaler Migration, Bürgergeld und Klimasubventionen als „nicht sauber“. „Die zehn Milliarden für Intel haben Sie auch verfrühstückt, das geht aber nur einmal“, so Quadbeck und die Bürgergeldkürzungen gingen nur so lang, „bis das Bundesverfassungsgericht sie Ihnen um die Ohren haut.“
Lindner bleibt von seinem Weg überzeugt
Lindner aber ist von seinem Weg überzeugt. Das Bürgergeld will er um 24 Euro im Monat kappen. Die Verteidigungsausgaben seien wie eine Art „Versicherungsprämie“ und kein Mittelständler käme je auf die Idee, Versicherungen mit Krediten zu finanzieren. Das größte Sparpotenzial sieht Lindner in der Klimapolitik; Deutschland müsse nicht fünf Jahre früher die Klimaneutralität erreichen als die EU, die das bis 2050 schaffen wolle. Da könne man zweistellige Milliardensummen einsparen.
Wenn Deutschland aber schon 2045 klimaneutral sei, dann sei das Land unter Umständen „stilvoll verarmt“. In dieser Einfachheit könne man Lindners Aussagen so nicht stehen lassen, entgegnete da Eva Quadbeck. Investitionen wie in die Wasserstofftechnologie seien sinnvoll und klimaschützend. Sollte Schwarz-Rot nach der Wahl vom 23. Februar tatsächlich eine Koalition eingehen, so hoffe sie, dass die „Tugend des Kompromisses“ wieder eingeübt werde.