„Ich kämpfe um das Direktmandat“
Bundestagswahl 2021: SPD-Kandidat Tim-Luka Schwab liefert trotz eines wenig aussichtsreichen Listenplatzes einen engagierten Wahlkampf. Er verschreibt sich dem Klimaschutz und will für soziale Gerechtigkeit einstehen.
Von Lorena Greppo
Backnang. Wer Tim-Luka Schwab im Backnanger Plattenwald trifft, erhascht meist vermutlich nur einen kurzen Blick auf ihn. Denn der 21-Jährige ist überaus sportlich unterwegs – egal ob mit dem Rad oder ohne. Im Juni beispielsweise lieferte er an eben jener Stelle die zweitschnellste Zeit über fünf Kilometer beim BKZ-Solo-Laufcup ab. Und das, obwohl er erst im Jahr zuvor angefangen hat, regelmäßig laufen zu gehen. Coronabedingt quasi. „Backnang ist eine richtige Läuferstadt“, hat er bereits festgestellt. Eigentlich sei das Klettern seine Passion, verrät der Schwäbisch Gmünder. Diese habe er sogar eine Zeit lang als Leistungssport betrieben. „Aber im Lockdown waren die Kletterhallen zu“, erklärt er. Da musste ein Ersatz her. Und einfach nur spazieren gehen, das war nichts für ihn, „das ist mir zu langsam“, fügt er lachend an. Für das Pressegespräch macht er eine Ausnahme, da ist auch eine langsamere Runde durch den Plattenwald drin.
Dass er so viel Energie hat, kommt Schwab derzeit zugute, denn er betreibt einen engagierten Wahlkampf. Mit Platz 36, also dem letzten Rang der Landesliste, sollte man meinen, sind seine Chancen auf den Einzug in den Bundestag gering. Das will Schwab so aber nicht stehen lassen: „Ich glaube, dass im Wahlkreis etwas möglich ist, ich kämpfe um das Direktmandat“, gibt er sich optimistisch. Auch sehe er die SPD auf Bundesebene bei der Wahl vor den Grünen. „Wir könnten den Kanzler stellen“, sagt Schwab. Eine rot-grüne Regierung ist seine klare Präferenz. „Mit der Union möchte ich nicht koalieren.“
Und so ist er an Markttagen an Infoständen zu finden, hängt Plakate auf und sucht die Bürgerinnen und Bürger vor Ort auf. „Ich mache einen Präsenzwahlkampf und habe bestimmt schon an einigen Tausend Haustüren geklingelt“, berichtet der Politik- und Geschichtsstudent. Auch Termine in Schulen, Vereinen und Firmen habe er wahrgenommen, zudem besuche er die Verwaltungen in vielen Kommunen und biete jede Woche eine Telefonsprechstunde an. Die Erfahrungen, die er in dieser Zeit gemacht hat, seien sehr positiv gewesen, berichtet Schwab, „auch was mein Alter angeht“. Auch er selbst sieht seine jungen Jahre nicht als Nachteil an.
Dass er sich durchsetzt, obwohl ihm wenig Chancen eingeräumt werden, damit hat der 21-Jährige Erfahrung: Bei den Kommunalwahlen 2019 ist Tim-Luka Schwab in den Gemeinderat Schwäbisch Gmünds gewählt worden, mit gerade einmal 18 Jahren. „Das war total überraschend“, räumt Schwab ein. Die SPD habe ihn angefragt, um die Liste voll zu bekommen. „Man hat mir gesagt, ich hätte kaum Chancen, gewählt zu werden.“ Tatsächlich habe er aber das drittbeste SPD-Ergebnis eingefahren, berichtet der junge Mann nicht ohne Stolz. Die Kommunalpolitik mache ihm Spaß, angesprochen auf seine Erfolge in den vergangenen zwei Jahren, weiß er sogleich eine Antwort: „Wir haben das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 verankert.“ Für ihn kein Grund, sich auszuruhen, im Gegenteil: „Das Ziel müssen wir jetzt mit Maßnahmen füllen“, fordert er.
Klimaschutz ist das Steckenpferd von Tim-Luka Schwab. In Schwäbisch Gmünd hat er gemeinsam mit Freunden die Fridays-for-Future-Bewegung aufgebaut. Die Politik müsse auf das 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet werden, welches er massiv in Bedrängnis sieht. Hier gelte es, im Wahlkreis Fördermittel für Zukunftstechnologie zu bekommen. „Wir müssen den Arbeitsplatzverlust abfangen, der mit dem Transformationsprozess in der Automobilindustrie einhergeht“, fordert er. Dieses Thema verbunden mit der Frage nach der künftigen Fortbewegung sei von den Bürgern in seinem Wahlkampf auch immer wieder angesprochen worden. Der SPD-Kandidat geht mit gutem Beispiel voran, was den Klimaschutz angeht. Zu Hause beziehe er Ökostrom, berichtet der Schwäbisch Gmünder und fordert den massiven Ausbau erneuerbarer Energien. Zudem sei eine Wärmewende erforderlich, dafür seien groß angelegte Austauschprogramme nötig. Wann immer es geht, ist Schwab mit der Bahn und dem Fahrrad unterwegs. „Nur beim Plakateaufhängen war das nicht praktikabel, da musste ich das Auto nehmen“, berichtet er. Dabei setze er auf Carsharing. Auf Flugreisen verzichte er komplett, ebenso auf Fleischkonsum – „dabei habe ich, bis ich 18 war, Fleisch gegessen wie ein Verrückter“, sagt er lachend. Inzwischen fühle sich die vegetarische Lebensweise aber nicht einmal mehr nach Verzicht an. Angesprochen auf die Kontroverse um die Currywurst bei VW und die Bemerkungen Gerhard Schröders sagt Schwab trocken: „Unser Altkanzler redet auch manchmal Blödsinn.“
Ein anderer Altkanzler hingegen hat dazu beigetragen, dass Tim-Luka Schwab den Weg in die SPD gefunden hat. „Ich wurde über die Schule politisiert, besonders als es um die Ost- und Friedenspolitik von Willy Brandt ging“, berichtet der Student für Geschichte und Politikwissenschaft. In Schwäbisch Gmünd habe es zu jener Zeit neben den Jusos nur die Junge Union gegeben – weder eine Grüne noch eine Linksjugend. Zu diesem Zeitpunkt, 2017, habe Martin Schulz für die SPD das Thema der sozialen Gerechtigkeit in den Fokus gerückt. „Da habe ich mich wiedergefunden, das war in meinem Lebensalltag prägend.“ Obwohl der „Schulzzug“ mehr oder weniger gegen die Wand gefahren ist, wie Schwab es bezeichnet, blieb die Idee der sozialen Gerechtigkeit verhaftet. Dazu gehören nach Ansicht des 21-Jährigen ein Mindestlohn von zwölf Euro, der Bau von Sozialwohnungen sowie Steuergerechtigkeit. Letztere will er durch eine Vermögenssteuer und eine Finanztransaktionssteuer erreichen. „Wir müssen niedrige Einkommen entlasten und dafür den Spitzensteuersatz anheben.“ Dieses Steuerkonzept generiere einerseits dem Staat Mehreinnahmen, die wiederum sinnvoll investiert werden können. Zudem seien so, mit guten Löhnen, auch gute Lebensverhältnisse geschaffen.
Was das bedeutet, weißt der Schwäbisch Gmünder gut. Denn Schwab stammt, wie er es beschreibt, aus einer typischen Arbeiterfamilie. Sein Studium sei ohne Bafög-Leistungen – durch ein sozialdemokratisches Gesetz geschaffen, wie er hervorhebt – nicht möglich gewesen. Inzwischen habe er ein Stipendium erhalten. Einen Nebenjob als Baum- und Industriekletterer hat Schwab dennoch weiterhin. In seinem Elternhaus werde allerdings nicht so viel über Politik gesprochen, erzählt Schwab. „Sonst würde der Haussegen bald schief hängen.“ Daher trenne er sein politisches Engagement weitestgehend von der Familie, habe seine Eltern und Geschwister auch nicht in den Wahlkampf eingespannt. Immerhin: Seine Schwester sei inzwischen auch Mitglied bei der SPD, verrät er schmunzelnd.
Seine Freunde, berichtet Schwab, stehen hinter seinen Ambitionen für ein Bundestagsmandat – „auch wenn sie mich gerade ein bisschen vermissen“, fügt er an. Freizeit ist nämlich ein rares Gut für den 21-Jährigen. Dass er sich für seine Überzeugungen einsetzt, ist für sein Umfeld nicht nur aufgrund der Fridays-for-Future-Proteste bekannt, auch im lokalen Kampf gegen rechts engagiert sich Schwab. Dass nun auf dem Rücken der Flüchtlinge aus Afghanistan Wahlkampf gemacht wird, bezeichnet der 21-Jährige als „würdelos und unmenschlich“. Es gelte, so viele Menschen wie möglich zu retten. Fassungslos machen ihn dabei auch „einige Politiker, die meinen, Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben“. Das müsse sofort ausgesetzt werden. Die militärische Intervention in Afghanistan müsse nun schonungslos aufgearbeitet werden. „Denn der Versuch, einen Staat mit funktionierender Polizei und Militär aufzubauen, ist gescheitert.“
Schule Tim-Luka Schwab ist in Schwäbisch Gmünd geboren und aufgewachsen. Das Abitur machte er am Scheffold-Gymnasium in Bettringen. Derzeit ist er Student für Geschichte und Politikwissenschaft und Stipendiat eines Begabtenförderungswerkes. Im Nebenberuf arbeitet er als Baum- und Industriekletterer.
Partei Seit 2017 ist Schwab Mitglied der SPD und wurde 2019 in den Gmünder Gemeinderat gewählt. Dort sitzt er im Bau- und Umweltausschuss. Gemeinsam mit Freunden hat er zudem die „Fridays-for-Future“-Proteste im Ostalbkreis ins Leben gerufen.
Privatleben Schwab ist der Älteste von fünf Geschwistern. Zu seinen Hobbys zählt er neben dem Klettern auch Mountainbiken, Schwimmen, Laufen und Schachspielen.