„Ich sehe überhaupt keinen Sinn in der Tat in Althütte“

DRK-Helfer Andreas Wieland wurde von Unbekannten vor zehn Tagen niedergeschlagen – Erst gestern kam er aus der Klinik

Erst gestern, zehn Tage nach dem Niederschlag, ist Andreas Wieland aus dem Klinikum Winnenden entlassen worden. In der Nacht zum Sonntag, 10. Juni, war der 47-jährige DRK-Helfer, der Sanitätsdienst hatte, beim Gang auf die Toilette niedergeschlagen oder -getreten worden. Ob es Spätfolgen geben wird, weiß er nicht. Die kommenden drei Monate darf er kein Auto fahren.

Andreas Wieland stellt sich immer wieder die Frage: was habe ich nur falsch gemacht? Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Andreas Wieland stellt sich immer wieder die Frage: was habe ich nur falsch gemacht? Foto: A. Becher

ALTHÜTTE/WINNENDEN. Andreas Wieland ist frustriert. Er schüttelt den Kopf. Noch immer kann er nicht begreifen, was da vor zehn Tagen vorgefallen ist. Und er wird es wohl auch nie können. „Ich sehe überhaupt keinen Sinn in der Tat in Althütte.“ Die Sinnlosigkeit, das ist es, was ihm zu schaffen macht. „Wenn die mir wenigstens das Handy oder mein Funkgerät oder die 20 Euro, die ich bei mir hatte, geklaut hätten. Dann hätte es vielleicht den materiellen Grund für die Tat gehabt. Aber so...?“

Es ist Samstag, der 9. Juni. Auf dem Festplatz in Althütte ist die Hölle los, da tanzt der Bär. Das Hofbräu-Regiment heizt den 2500 Besuchern beim Open-Air-Konzert mächtig ein. Zusammen mit vier Kollegen hat Wieland, der dem DRK-Ortsverein seit 35 Jahren angehört, Sanitätsdienst. Wie in den Vorjahren auch, gibt’s nichts Schlimmes zu verarzten. „Ein paar Schürfwunden, ein paar Prellungen, gegen später ein paar alkoholbedingte Sachen, aber nichts Großes“, sagt Wieland. Dann, es ist schon nach Mitternacht, doch noch ein gravierender Vorfall: Ein junger Mann stürzt am Brunnen, ohne Alkoholbeeinflussung, auf den Hinterkopf. Nach der Erstversorgung wird er mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.

Die fünf Sanitäter lehnen sich erschöpft zurück, das Fest ist noch am Laufen, aber sie glauben: „Das war’s dann jetzt.“ Wieland verabschiedet sich kurz, um auszutreten. Es ist kurz vor 1 Uhr. Er wählt nicht das nahestehende Dixi-Klo, sondern die gewohnte Toilette im DRK-Heim, das nur eine Minute entfernt liegt. Als er vor dem Rolltor steht, hört er vom rechts liegenden Eingangsbereich her Stimmen und Flaschengeräusche. Er schaut nach, trifft auf zwei Jugendliche im Alter von 18 bis 20 Jahren. Er fordert sie höflich, aber bestimmt auf, diesen Platz doch zu räumen und sich ein paar Meter weiter auf eine Bank zu setzen. Er sagt, ihr geht jetzt, andernfalls könne er seine Kollegen rufen, die würden auch die Security mitbringen, mit denen könne man das klären. Was Wieland allerdings erntet, ist Gemurre und auf breitem Schwäbisch den Satz: „Du hast uns noch lange nichts zu sagen.“

Trotzdem stehen die beiden jungen Männer, die er nicht kennt, auf und Wieland hat den Eindruck, dass sie sich auch verziehen. Der 47-Jährige dreht ihnen den Rücken zu, um die Treppe mit den fünf Stufen hinunter zum Eingang zu gehen, und... Dann weiß er nichts mehr. War es ein Schlag oder ein Tritt? Wieland, der später über extrem starke Kopfschmerzen klagt, geht zu Boden, ist bewusstlos.

„Für mich hat sich mein Leben

erst mal komplett geändert“

Wie im Traum vernimmt er Mädchenstimmen. Im Unterbewusstsein hört er sie sagen: „Da liegt ja jemand, was sollen wir machen?“ Es vergehen rund zehn Minuten, als Andreas Kurz vorbeikommt. Der Zweite Vorstandsvorsitzende und stellvertretende Bereitschaftsleiter im Althütter DRK-Ortsverein trifft zunächst einige Mädchen, die ihn darauf hinweisen, dass da ein Betrunkener liege. Dann findet er Wieland auf dem Treppenabsatz liegen. Rasch ist die Notärztin da. Der Niedergeschlagene kann sich aber an nichts mehr erinnern, auch an die Fahrt ins Krankenhaus und an die Notaufnahme nicht. Nur an die massiven Kopfschmerzen. Die ersten Erinnerungen hat er an die Intensivstation. Im Lauf der Woche wird er mehrmals verlegt, auch in die Neurologie. Äußerliche Verletzungen hat Wieland kaum. Auch aus diesem Grund halten die Ärzte einen Tritt gegen den Kopf für möglich, denn eine weiche Turnschuhsohle hinterlässt kaum Spuren.

Umfangreich sind die Untersuchungen. Am Mittwoch musste Wieland noch mal zum MRT in die Röhre. Ihm wird schlecht dabei. Die Ärzte sind beunruhigt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als ihrem Patienten ein dreimonatiges Fahrverbot auszusprechen. Jetzt auch noch dieses Problem. Wie zur Arbeit kommen? Wie eine Ausfahrt mit der elfjährigen Tochter machen? „Für mich hat sich mein Leben erst mal komplett geändert“, sagt Wieland verbittert.

Der DRK-Helfer versteht die Welt nicht mehr. Er dient der Allgemeinheit, ist ehrenamtlich tätig, hat sich viele Jahre auch als Gemeinderat engagiert. Und dann diese sinnlose Tat dieser Jugendlichen, die laut Wieland nicht betrunken waren, also wussten, was sie taten. Mit der Polizei ist er in Kontakt, weiß auch, dass es offensichtlich keine heiße Spur nach den Tätern gibt. Der DRK-Helfer ärgert sich auch über sich selbst: „Mein größter Fehler des Abends war, ihnen den Rücken zuzudrehen. Und warum hab’ ich nicht einfach Hilfe per Funk angefordert?“ Er macht sich Vorwürfe.

Aber Wieland nimmt auch positive Aspekte mit nach Hause. Zum einen das Klinikum: „Als Hobbymediziner denke ich, dass ich mir ein Urteil erlauben und mitsprechen kann: Das Klinikum Winnenden ist perfekt. Die haben hier wirklich alles Menschenmögliche gemacht, um herauszubekommen, was ich habe. Und sie haben hier ein super, super freundliches Personal. Und das Essen ist auch okay; es macht satt und ist aus meiner Sicht überdurchschnittlich.“

Zum anderen die Kameraden vom DRK: „Das ist ein super Haufen, ein richtig guter Verein.“ Noch in der Tatnacht seien Kreisgeschäftsführer Sven Knödler und Kreis-Bereitschaftsleiter Heiko Fischer nach Althütte gefahren. Und während seines Aufenthalts im Krankenhaus habe er unendlich viel Unterstützung erfahren. Auch Hilfsangebote für die kommende Zeit. Aber jetzt muss Wieland zunächst mit sich selbst klarkommen, muss die Tat verarbeiten.

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Erstellt:
19. Juni 2018, 06:00 Uhr

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