Igel – eine gefährdete Spezies
Igel haben es schwer zwischen Schottergärten und Mährobotern
Schottergärten und Mähroboter sind zu Bedrohungen geworden. Nahrungstechnisch schaut es bescheiden aus. Die Zahl der Igel geht drastisch zurück. Und dann schaden ihnen die Menschen auch noch oft durch falsche Hilfe.
Von Sandra Markert
Normale Nachrichten: „Wir haben beim Rasentrimmen aus Versehen einen Igel an der Nase erwischt.“ „Bei uns ist ein kleiner Igel tagsüber und allein im Garten unterwegs.“ „Wir haben einen mageren Igel in der Kiste mit Brot und Äpfeln gefüttert, aber jetzt geht es ihm schlecht.“
Ähnliche Anrufe erhält Berit Knorr täglich. Sie arbeitet für den Igelhilfeverein mit Sitz bei Neu-Ulm am Notfalltelefon, welches permanent klingelt. „Die Situation der Igel ist inzwischen wirklich dramatisch“, sagt Knorr.
Sie sieht bei ihrer Arbeit vor allem die Tiere, die bei Gartenarbeiten verletzt werden, an Unterernährung leiden oder falsch gefüttert werden – und damit haben die ehrenamtlichen Helfer mehr als genug zu tun. „Noch schlimmer ist aber, dass es jedes Jahr weniger Igel gibt und immer mehr kranke und verletzte Tiere zu uns gebracht werden“, sagt Knorr. Und weiter: „Tatsächlich steht der Igel, genauer gesagt der in Deutschland verbreitete Braunbrustigel, inzwischen auf der Vorwarnliste zur Roten Liste der gefährdeten Säugetiere.“ Forschungen in Bayern, Hessen oder in der Schweiz haben dem Naturschutzbund Nabu zufolge gezeigt, wie drastisch der Bestand abnimmt.
Dann rollen sie sich zur Kugel
Da Igel nachtaktiv sind, ist der Rückgang ihrer Bestände nicht so auffällig wie der bekannter Singvögel oder Insekten. Um das drohende Aussterben mehr in den Fokus zu rücken, hat die Deutsche Wildtierstiftung den Igel zum Wildtier des Jahres 2024 gewählt. Bei den vielen Problemen und Gefahren, mit denen Igel in Deutschland inzwischen zu kämpfen haben, weiß Berit Knorr gar nicht so recht, wo sie mit dem Erzählen anfangen soll. „Am schlimmsten sind sicherlich die Verletzungen, die der Mensch den Tieren mit Gartengeräten zufügt.“
Wenn Mähroboter nachts durch die Gärten fahren, flüchten die nachtaktiven Igel nicht, sondern rollen sich zu einer Kugel zusammen. „Große Igel werden durch die Klingen an Nase, Beinen und Körper schwer verletzt. Und von den Igelkindern bleibt in der Regel nicht viel übrig, da fährt der Mähroboter einfach drüber hinweg“, sagt Knorr.
Die Aussage vieler Gartenbesitzer, dass die Mäher ja einen Sensor hätten, um Kleintiere zu erkennen, lässt sie nicht gelten. „Das haben nur wenige, teure Geräte. Und selbst bei denen konnte die Stiftung Warentest zeigen, dass die Sensoren Igelattrappen im Test eben nicht zuverlässig erkannten.“
Tagsüber wird geschlafen
Und nur, weil man im eigenen Garten noch nie ein verletztes Tier gefunden habe, heiße das noch lange nicht, dass der Mähroboter auch keines erwischt hat. „Wenn die Tiere noch laufen können, ziehen sie sich zum oft qualvollen Sterben irgendwohin zurück“, so Knorr. Sie appelliert an Gartenbesitzer, Mähroboter – wenn überhaupt – nur tagsüber zu verwenden. Noch schlimmer seien Rasentrimmer für Igel. Denn damit wird oft genau in den Gartenecken gearbeitet, in denen sich Igel tagsüber zum Schlafen zurückziehen – beispielsweise am Rand von Hecken oder unter Sträuchern. „Am besten lässt man das hohe Gras hier einfach stehen. Und wer es unbedingt schneiden will, sollte davor zumindest mal gewissenhaft nachschauen, ob da nicht irgendwo ein Igel liegt“, sagt Knorr.
Seit Anfang August melden sich viele Menschen bei ihr, die tagsüber junge oder sehr magere Igel im Garten entdecken. „Igel finden einfach immer weniger zu fressen, weil es durch den Klimawandel, durch die Landwirtschaft und durch Ziergärten immer weniger Insekten gibt“, sagt Knorr. Die wichtigste Nahrung für Igel sind Käfer. Das darin enthaltende Chitin sorgt auch dafür, dass ihre Zähne gesund bleiben. „Wir beobachten, dass immer mehr Igel sehr schlechte, eitrige Zähne haben. Auch der übermäßige Konsum von Schnecken könnte dazu beitragen“, sagt Knorr.
Denn um nicht zu verhungern, fressen Igel mehr Schnecken – was viele Gartenbesitzer freut, die Igel aber häufig krank macht. „Eigentlich machen Schnecken höchstens zwanzig Prozent ihrer Nahrung aus, weil die Tiere stark mit Parasiten belastet sind“, so Knorr.
Bei ihrer Arbeit erlebt sie viele Menschen, die der Meinung sind, jetzt im Herbst könnten sich die Tiere ja an Fallobst wie Äpfeln den Bauch vollschlagen. „Dieses Bild ist in Kinderbüchern weit verbreitet, aber Igel sind eigentlich reine Fleischfresser. Äpfel nehmen sie höchstens aus der Not heraus oder weil sie hoffen, dass ein Wurm darin ist. Und gut tut ihnen das auch nicht.“ Wer einen Igel findet, der aufgepäppelt werden muss, dem rät Knorr dringend dazu, Kontakt mit einem Experten einer Igelhilfe aufzunehmen. Was auch Laien machen könnten, sei gesunde Igel draußen zufüttern – gerade im Herbst. Denn Igel können nur Winterschlaf halten, wenn sie zuvor ein bestimmtes Gewicht erreicht haben. Knorr rät hierbei zu zucker- und getreidefreiem Katzennass- oder Trockenfutter mit hohem Fleischanteil, welches man mit ungewürztem Rührei mischen könne.
Von als Igelfutter verkauften Fertigprodukten lässt man dagegen besser die Finger. „Zum einen sind diese meist unnötig teuer, zum anderen sind da oft Sachen wie Getreide oder getrocknetes Gemüse drin, die kein Igel fressen sollte“, sagt Knorr.
Damit das abends nach draußen gestellte Fressen nicht von Katzen oder Ratten vertilgt wird, gibt es spezielle Igelfutterhäuser, die sich auch selbst bauen lassen. Wer einen Garten hat, hilft Igeln am meisten, indem er diesen möglichst naturnah gestaltet, damit dort auch Insekten leben. „Zudem finden Igel in Naturgärten Tages- und Winterverstecke, zum Beispiel unter Baumstümpfen, Laubhaufen, Totholzhaufen oder Hecken“, sagt Alexandra Ickes vom Nabu Baden-Württemberg.