Grenzkontrollen
Im Zweifel für den Schutz der Menschenrechte
CDU-Chef Friedrich Merz will mehr Grenzkontrollen und die konsequente Zurückweisung von Asylsuchenden. Eine hohe Hürde ist nicht nur die geltende EU-Gesetzgebung.
Von Knut Krohn
Die Rufe nach einem starken Staat haben in Deutschland im Moment Hochkonjunktur. Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg mit zwei Toten überschlagen sich die Wortmeldungen und auch CDU-Chef Friedrich Merz hat weitreichende Verschärfungen in der Asylpolitik angekündigt. Doch es würde für den möglichen neuen Bundeskanzler sehr schwierig, die markigen Worte Realität werden zu lassen.
Scharfe Kritik aus den Reihen der Polizei
Das hat nicht nur damit zu tun, dass etwa flächendeckende Kontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen schon aus personeller Sicht kaum zu machen sind. So sagte Polizeigewerkschafter (GdP) Andreas Roßkopf: „Wir haben eine Länge von 3800 Kilometern Binnengrenzen. Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren.“ Das heißt: es würden tausende neue Beamte benötigt. Dass Merz alle Flüchtlinge ohne gültige Dokumente zurückzuweisen wolle, sei deshalb „nicht umsetzbar“, betonte der GdP-Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei am Freitag im MDR-Radio.
Doch nicht nur die praktische Umsetzung der Forderungen würde schwierig. Eine andere, sehr große Hürde wäre, dass sie mit zentralen Punkten des Europarechts und auch mit dem geltenden Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren sind.
Jeder Antrag auf Asyl muss einzeln geprüft werden
Im Weg stünde vor allem das Dublin-III-Abkommen. Darin wird europaweit das Verfahren zum Schutz von Flüchtlingen festgeschrieben. Kritiker monieren lautstark, dass dessen Regeln allenfalls mittelmäßig umgesetzt werden, aber dennoch ist auch Deutschland daran gebunden. In dem Abkommen heißt es in Artikel 3 unmissverständlich: „Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt.“
Streng genommen ist Deutschland als europäischer Binnenstaat nie für ein Verfahren zuständig, da die Asylsuchenden fast immer über ein anderes Land einreisen wollen. Dennoch muss in jedem Fall einzeln geklärt werden, wer zuständig ist und ob der Antragsteller dorthin überstellt werden kann. Dieses Verfahren schützt die Asylsuchenden etwa auch davor, dass sie einfach von Grenze zu Grenze zurückgewiesen und auf diese Weise erneut den Gefahren ausgesetzt werden, vor denen sie geflüchtet sind.
Beim Schengen-Abkommen ist die Ausnahme zur Regel
Kritiker verweisen auch auf die Möglichkeit der zeitweiligen Rückkehr zu Grenzkontrollen im Schengenraum, wie sie Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im September anordnete. Diese Maßnahme kann allerdings nicht einfach nach Gutdünken verhängt werden, sondern nur im Fall „außergewöhnlicher Umstände“. Zudem können solche Kontrollen nur vorübergehend und „als letztes Mittel“ angeordnet werden. Allerdings ist die Ausnahme durch hohe Migrationszahlen, Terroranschläge und die Corona-Pandemie längst zur Regel geworden. In mehr als 440 Fällen wichen die Mitgliedsländer seit 2006 vom Grundprinzip der unbegrenzten Reisefreiheit ab, wie eine Aufstellung der EU-Kommission zeigt. Deutschland hatte etwa bereits 2015 wegen der Migrationslage Kontrollen zu Österreich eingeführt.
Friedrich Merz könnte sich bei seinen Plänen zur Zurückweisung auch auf die sogenannte „Notlagenklausel“ in Artikel 72 des Lissabonner Vertrages berufen. Die erlaubt gewisse Abweichungen vom EU-Recht „für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“. Dazu müsste die Bundesregierung allerdings nachweisen, dass die innere Sicherheit in Deutschland durch Überforderung von Schulen und Asylbewerberunterkünften, Engpässe in der Wohnraumversorgung und Gewalt aufgrund fehlgeschlagener Integration tatsächlich gefährdeten in Gefahr ist – was ein überaus kompliziertes Unterfangen wäre.
Keine Änderungen des Asylrechts durch die Hintertür
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bisher alle Versuche von EU-Mitgliedsländer abgeblockt, auf diesem Weg ihre nationale Flüchtlingspolitik zu verschärfen. Mit dieser Klausel wollten zum Beispiel Polen, Ungarn und Tschechien im Jahr 2015 eine Entscheidung aus Brüssel unterlaufen, dass sie Flüchtlinge aufnehmen sollten, um die damals hoffnungslos überforderten Länder Griechenland und Italien zu entlasten.
Allerdings ist die „Notlagenklausel“ sehr offen formuliert, was den Juristen beim EuGH einen großen Interpretationsspielraum lässt. So könnte es durchaus sein, dass die Richter in Luxemburg angesichts der veränderten politischen Großwetterlage in Europa einen stärkeren Grenzschutz Deutschlands positiver entgegenstehen.