Immer Ärger mit Lärm und der Kehrwoche
Die Leute von nebenan (10): Wenn die Hecke zu hoch und der Mist zu nah ist, kann der Streit mit dem Nachbar auch eskalieren
Es sind meist die immer gleichen Gründe, die Nachbarn aufregen: Da lebt nebenan ein rücksichtsloser Partyfan. Oder ein Bewohner in einem Mehrfamilienhaus hat eine sehr individuelle Vorstellung von der Kehrwoche. Andere pflanzen eine Hecke zu nah am Nachbargrundstück oder bewegen sich ohne zu fragen in Nachbars Garten, um das Buschwerk zurechtzustutzen. Doch es gibt auch krasse Fälle, die im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stinken.
Von Ingrid Knack
BACKNANG. Außergewöhnlich ist ein Fall, der sich gerade in einem Teilort von Winnenden abspielt. Stein des Anstoßes ist vor allem ein im Freien stehender Anhänger, der als mobile Miste genutzt wird. Der Mist von drei Pferden und zwei Ponys wird auf dem Anhänger zwischengelagert – wie lange genau, da widersprechen sich die Aussagen der Pferdestallbesitzer und eines Anwohners. Vor dem Zivilgericht gab es bereits eine Verhandlung. Der Mist müsse täglich weggebracht werden, ist die klare Forderung des Nachbarn. Die Pferdefreunde denken aber nicht daran. Dies sei nicht praktikabel, ist ihre Haltung. Nun befassen sich auch das Baurechtsamt und die Gemeinderäte mit dem Thema, es geht etwa um einen Bauantrag, um Bestandsschutz und ein Geruchsgutachten. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.
Wenn Nachbarn, die in Streit geraten sind, vor dem Kadi landen, könnte man manches Mal meinen, die Geschichte spiele sich in Absurdistan ab. Wie die durch eine TV-Gerichtsshow und einen Song von Stefan Raab berühmt gewordene Angelegenheit um einen wuchernden Knallerbsenstrauch und einen dadurch beschädigten Maschendrahtzaun.
Gutes Zureden, Geduld und klare Regeln
Der Nachbarschaftsstreitalltag dreht sich dagegen in erster Linie um einige Dauerthemen, die sich hartnäckig auf den Beschwerdelisten von Mietern in Mehrfamilienhäusern halten. Die Ersten, bei denen der volle Ärger über Nachbarn abgeladen wird, sind oftmals Hausverwaltungen. Mit gutem Zureden, Geduld und klaren Regeln kann dann so mancher Hitzkopf besänftigt werden. Denn es sind nicht immer die anderen, die Fehler machen. So mancher selbst ernannte Blockwart hat vielleicht einfach eine zu niedrige Frustrationstoleranz oder ein persönliches Problem, das er auf andere projiziert. Letzteres kann ein Grund für ein Phänomen sein, das der mit der Verwaltung von Mietwohnungen befasste Bau-Geno-Backnang-Mitarbeiter Manfred Lang anspricht. „Es soll Menschen geben, die schauen sich an und können sich nicht riechen.“ Mit seiner Kollegin Julia Bade und auch mit Marcus Fessele von der Städtischen Wohnbau Backnang GmbH ist er sich einig, dass es bei Streitigkeiten meist um die Kehrwoche und um Lärmbelästigung geht. Da liegen die Backnanger im bundesweiten Trend. Wer sich über Lärm beschwert, spricht nach den Erfahrungen von Julia Bade etwa über Türen, die zugeschlagen werden, über Kinder, die herumtrampeln, über Husten oder auch Musik – und dies nicht nur zu nächtlicher Stunde. „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, wusste schon Wilhelm Busch. Doch selbst schlechte Hausmusikanten brauchen nicht fürchten, Ärger in einer Mietwohnung zu bekommen, wenn sie sich an bestimmte Regeln halten. „Schon der Bundesgerichtshof stellte fest, dass Hausmusik nicht mehr stört als Fernsehen und Radio (BGH Az. V ZB 11/98). Einschränkungen in der Musizierzeit sind möglich, ein generelles Spielverbot im Mietvertrag ist unzulässig“, heißt es auf der Homepage www.deutschesmietrecht.de.
Das Thema Lärm ist in vielerlei Hinsicht interessant. Der Verlag für Rechtsjournalismus lässt in einer Veröffentlichung wissen: „Ein weitverbreiteter Irrglaube ist es, dass es allgemeine Ruhezeiten gebe, die bundesweit gelten. Tatsächlich jedoch kann jedes Bundesland und jede Gemeinde ihre eigenen Ruhezeiten festlegen. Welche konkret für Ihr Wohngebiet gelten, können Sie bei Ihrer Gemeinde oder dem zuständigen Ordnungsamt erfragen.“ In den meisten Fällen seien jedoch folgende Zeiten üblich: „Die Nachtruhe beginnt um 22 Uhr und endet um 6 oder 7 Uhr morgens. Die Ruhezeiten am Sonntag und an Feiertagen sind ganztägig. Es gelten keine speziellen Ruhezeiten am Samstag, da dieser im Allgemeinen als Werktag gilt – außer natürlich es handelt sich hierbei um einen Feiertag.“ Auch die Ruhezeiten zur Mittagszeit seien nicht bundesweit geregelt, mehrere Bundesländer hätten diesbezüglich keine feste Verordnung mehr. Marcus Fessele nennt den Zeitraum zwischen 13 und 15 Uhr für die Mittagsruhe als normal. Im Zweifelsfall gilt die Hausordnung.
Glücklicherweise ist vieles nicht ganz so schlimm, wie es sich zunächst anhört. „Viele Reaktionen kommen aus dem Affekt heraus, die meisten Fälle sind oft schnell erledigt“, weiß Manfred Lang von der Bau-Geno Backnang. Schwieriger wird es zuweilen, wenn ältere Mieter den Neueingezogenen vorgeben, wie diese sich zu verhalten hätten.
Wenn zwei grundrechtlich geschützte Besitzrechte kollidieren
Auch Rauchen auf Balkonen kann zum Thema werden. Eine Mieterin habe von einer Raucherin verlangt, bestimmte Rauchzeiten einzuhalten, erzählt Julia Bade. Was aber sagt die Rechtsprechung dazu? Rauchen auf dem eigenen Balkon gehört zum vertragsgemäßen Gebrauch der gemieteten Wohnung. Gleichzeitig ist der Mieter aber dazu verpflichtet, auf seine Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Beim einem Rechtsstreit um das Rauchen auf dem Balkon „kollidieren zwei grundrechtlich geschützte Besitzrechte, die in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden müssen“, wertet der Bundesgerichtshof. Und so kommt es wie so oft auf den speziellen Fall an. Die Gerichte haben in der Vergangenheit schon für und gegen die Raucher entschieden. Keine Freunde machen sich ganz sicher Raucher, die ihre Kippen übers Balkongeländer werfen. „Das stört die Leute und auch uns“, sagt Bade. Lang ergänzt: „Das Thema Vermüllung nimmt zu.“
Immer wieder kommen die Hausverwalter auf den Brandschutz zu sprechen. Wer beispielsweise eine Brand- oder Rauchschutztür mit einem Keil offen hält, macht sich sogar strafbar. Auch Blumen, Kleinmöbel, Kinderwagen oder Rollatoren dürfen keinesfalls einen Fluchtweg versperren. Gehhilfen, die normalerweise im Hausflur abgestellt werden dürfen, müssen bei beengten Verhältnissen zum Beispiel zusammengeklappt werden. Stets kommt es auf die individuellen Verhältnisse und die Hausordnung an. Und was ist mit Schuhen vor der Wohnungstür? Stünden ein paar Schuhe auf einer Fußmatte, könne man das nicht verbieten, weiß Bade. Aber: „Manche lagern ihren halben Flur ins Treppenhaus aus, das geht natürlich nicht.“ Problematisch seien selbst Vorhänge und Bilder im Treppenhaus. Viel Stoff für Streitigkeiten bietet außerdem die Mülltrennung, so Fessele. Wenn einer sich weigert, seinen Abfall zu sortieren, kann das andere auch so stinksauer machen wie den durch Pferdemistgeruch geplagten Bürger aus Winnenden.
Laut einer repräsentativen Forsa-Umfrage zum Thema Nachbarschaftsstreit im Auftrag der Gothaer Versicherung vom November 2017 (befragt wurden 1003 Bundesbürger ab 18 Jahren) streitet fast jeder zweite Deutsche (46 Prozent) mit seinen Nachbarn. Doch in Sachen Streitlust gibt es nach den Ergebnissen der Studie regionale Unterschiede: Die Nordlichter (Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein) legen sich mit 54 Prozent demnach am meisten ins Zeug, wenn es darum geht, sich mit dem Nachbarn zu kabbeln. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen sind mit 47 Prozent dabei, in der Mitte Deutschlands wird ein Wert von 46 Prozent erreicht, die Baden-Württemberger sind mit 45 Prozent und die Bayern mit 43 Prozent dabei. In den neuen Bundesländern haben hingegen „nur“ 41 Prozent der Befragten Erfahrungen mit Nachbarschaftsstreit.
Der mit Abstand am häufigsten angegebene Grund für Nachbarschaftsstreit ist nach den Forsa-Erhebungen mit 74 Prozent Lärmbelästigung. Mit 53 Prozent folgen falsch geparkte Autos sowie mit 52 Prozent missachtete nachbarschaftliche Pflichten (Gehweg vom Schnee befreien, Treppenhaus reinigen), mit 48 Prozent störende Haustiere, mit 40 Prozent zugestellte Treppenhäuser, mit 39 Prozent Belästigung durch Rauch, mit 38 Prozent zugestellte Gemeinschaftsräume, mit 27 Prozent unfreundliche Nachbarn und mit 22 Prozent störende Besucher. Auf Platz 10 der typischen Ursachen für Nachbarschaftsstreit landet mit 7 Prozent störende oder auffällige Dekoration.
Auch was die Gründe für Differenzen zwischen Nachbarn anbetrifft, gibt es regionale Unterschiede: Die Menschen in Nordrhein-Westfalen bringt vor allem Unfreundlichkeit, etwa Nachbarn, die nicht grüßen, auf die Palme (38 Prozent). Die Bayern sind da lockerer drauf, Unfreundlichkeit ist nur für jeden Fünften der Befragten ein Problem.
Wenig erfreulich ist: Offensichtlich nimmt die Streitlust der Deutschen zu.„Bei der gleichen Frage gab 2014 nur jeder Dritte an, sich schon einmal mit seinem Nachbarn gestritten zu haben“, heißt es in der Studie. 2017 war es, wie gesagt, fast jeder Zweite.