Südwest-AOK

Immer höhere Arzneimittelpreise belasten das Gesundheitssystem

Johannes Bauernfeind, der Vorstandschef der Südwest-AOK, dringt auf effektivere Preisbremsen und unterbreitet einen Vorschlag.

AOK-Chef Johannes Bauernfeind will „Interimspreise“ für neu eingeführte Arzneimittel.

© AOK/StZN/Thomas Kienzle

AOK-Chef Johannes Bauernfeind will „Interimspreise“ für neu eingeführte Arzneimittel.

Von Norbert Wallet

Von der Krankenhausreform bis zur elektronischen Patientenakte hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das deutsche Gesundheitswesen unter erheblichen Veränderungsdruck gesetzt. Eines aber ist auch nach Abschluss seiner Amtsperiode gleich geblieben: von einer stabilen Finanzierung kann weiterhin keine Rede sein. Es ist abzusehen, dass Kostendruck und Verteilungskämpfe zwischen den großen Mitspielern auf dem Gesundheitsmarkt auch die kommenden Jahre prägen werden.

Auf einen erheblichen Kostentreiber, der für die Krankenkassen zunehmend zum Problem wird, macht nun Johannes Bauernfeind, Vorstandschef der Südwest-AOK, aufmerksam: die stetig weiter steigenden Arzneimittelpreise besonders bei den patentgeschützten Medikamenten. Bauernfeind weist im Gespräch mit unserer Zeitung darauf hin, „dass die Ausgaben der Kranken- und Pflegeversicherung zuletzt massiv gestiegen sind“. Allein die Arzneimittelkosten lägen „um etwa 74 Prozent höher als noch vor zehn Jahren“.

Kassen zahlten 54 Milliarden Euro für Medikamente

Tatsächlich sind die Nettokosten, also die Kosten, die der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) arzneimittelbezogen tatsächlich entstanden sind, von 2014 bis 2023 von 31 Milliarden Euro auf 54 Milliarden Euro gestiegen. Bei den patentgeschützten Arzneimitteln beträgt der Anstieg sogar 78 Prozent (auf nunmehr 28,4 Milliarden Euro in 2023). Die drastische Steigerung erfolgte, obwohl die Zahl der Verordnungen patentgeschützter Arzneimittel im gleichen Zeitraum erheblich zurückging, nämlich von 83,6 Millionen im Jahre 2014 auf nur noch 48,3 Millionen im Jahre 2023. Es gibt noch eine Zahl, die das Problem plastisch verdeutlicht: Während die durchschnittlichen Nettokosten einer Arzneimittelpackung im Gesamtmarkt in dem gleichen Zeitraum von 47,60 Euro auf 73,18 Euro klettern, explodieren die Kosten bei patentgeschützten Medikamenten geradezu: von 190,06 Euro 2014 auf 587,72 Euro im Jahre 2023.

Es gibt viele Gründe für diese Entwicklung. Die Pharmaindustrie weist darauf hin, dass die Forschung immer kostspieliger wird und die Zielgruppen immer kleiner werden, da die Medikamente immer passgenauer eingesetzt werden können.

Die Kassen haben dagegen einen anderen Faktor im Blick. In Deutschland können Pharmaunternehmen in den ersten sechs Monaten nach Markteinführung eines neuen Medikaments den Preis frei festlegen. Die sechs Monate sind bereits das Ergebnis einer Verkürzung durch Minister Lauterbach, vorher betrug die Frist ein Jahr. Erst nach den sechs Monaten erfolgt eine Preisverhandlung mit den Kassen.

Viele Neuheiten haben geringen Zusatznutzen

Die werfen den Unternehmen vor, in der Zeit der freien Preisfestsetzung stark überhöhte Beträge anzusetzen, um möglichst hohe Umsätze zu erzielen. „Die nachvollziehbaren Gewinnerzielungsabsichten der Hersteller müssen im Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen der Präparate stehen und sich dementsprechend in angemessenen Preisen niederschlagen“, sagt Johannes Bauernfeind. Diese Relation habe sich „in den letzten Jahren massiv verschoben“.

Die Kassen wollen den Mechanismus der Preisbildung deshalb so verändern, dass effektive Preisbremsen eingezogen werden. „Anstelle der bislang von den pharmazeutischen Unternehmen in den ersten sechs Monaten nach Marktzugang frei festgesetzten Preise sollten Interimspreise erstattet werden“, schlägt Bauernfeind vor. Diese Interimspreise funktionierten dann als vorläufige Verrechnungspreise, der später ausgehandelte Erstattungsbetrag würde – nach festzulegenden Regeln – auch rückwirkend gelten.

Bauernfeind kritisiert zudem, dass viele neu eingeführten Arzneimittel keine Verbesserung der Versorgungsqualität erzielten. „Von 875 geprüften Arzneimittel seit 2011 haben rund 66 Prozent keinen Zusatznutzen oder lediglich einen nicht quantifizierbaren Nutzen“ erzielt, sagt der AOK-Vorstand.

Die Debatte um Interimspreise und neue Formen der Preisbildung dürfte die Gesundheitspolitik in den kommenden Jahren stark beschäftigen. In der Pharmaindustrie, aber auch in der Politik, gibt es auch Überlegungen, ob im Gegenzug zu moderateren Preise der Patentschutz länger laufen könnte. Die Kassen halten davon nichts. In der GKV-Welt wird darauf hingewiesen, dass die Generika, also Medikamente mit identischem Wirkstoff wie die ehemals patentgeschützten Produkte, die größte kostendämpfende Wirkung hätten. Genau dieser Effekt würde aber durch den längeren Patentschutz unterlaufen.

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Erstellt:
21. Februar 2025, 15:16 Uhr

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