Münchner Sicherheitskonferenz
In der Ukraine-Frage läuft die Zeit gegen Europa
Noch nie war die Entfremdung zwischen den USA unter Trump und Europa so greifbar wie auf dieser Münchener Sicherheitskonferenz. So gut wie alle Europäer sind der Meinung, dass man nun mehr für die eigene Sicherheit tun müsse. Doch dieses Versprechen hört man nicht zum ersten Mal. Und die Zeit läuft gegen Europa.
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© dpa/Sven Hoppe
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Zweiter von rechts), J.D. Vance, US-Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika (Dritter von links), und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, Dritte von rechts) kommen bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gesprächen zusammen.
Von Tobias Heimbach
Die Öffentlichkeit kennt Olaf Scholz als trockenen und biederen Politiker. Der Spitzname „Scholzomat“ begleitet ihn seit Jahren. Doch auf der Münchener Sicherheitskonferenz zeigte der Bundeskanzler, dass er schwarzen Humor beherrscht, sogar beißenden Spott. Nach seiner Rede am Samstagmorgen sprach die Moderatorin Scholz auf die Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance an. „Gab es etwas in der Rede, über das man nochmal nachdenken sollte?“, fragte sie. Scholz seufzte genervt. Und sagte: „Sie meinen all diese sehr relevanten Bemerkungen über die Ukraine und Sicherheit in Europa?“
Szenenapplaus für Scholz
Das Publikum hielt kurz gespannt den Atem an. Einige lachten laut, dann gab es Szenenapplaus für den SPD-Politiker. Denn einen Tag zuvor hatte Vance in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz kaum ein Wort über die Ukraine oder Sicherheitspolitik verloren. Stattdessen hatte er den Ländern Europas erstaunlich faktenfrei vorgeworfen, sie würden die freie Rede unterdrücken. Außerdem hatte er ziemlich direkt dazu aufgerufen, dass nach der Bundestagswahl die AfD an der Regierung beteiligt werden sollte.
Vances Rede hatte entrüstete Reaktionen hervorgerufen, nicht nur von Scholz. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war von seinem Redemanuskript abgewichen und hatte gegen Vance ausgeteilt. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte die Äußerungen als „fast schon übergriffig“ bezeichnet. Er berichtete später, im Gespräch mit Vance habe er auch die Brandmauer zu AfD bekräftigt.
Aus Vances Rede, aus Scholz’ Spott, aus vielen Reden und zahlreichen Hintergrundgesprächen bei der Münchener Sicherheitskonferenz sprach vor allem eines: eine tiefe Entfremdung zwischen Europa und den USA. Man hatte sich darauf vorbereitet, dass es mit der Regierung von US-Präsident Donald Trump schwierig werden würde. Doch was in den Tagen zuvor begonnen hatte, mit Trumps unabgesprochenem Telefonat mit Putin und ersten US-Forderungen nach ukrainischen Zugeständnissen für ein Ende des Krieges, erreichte in München seinen Höhepunkt. Auf den Gängen der Konferenz fielen die Worte „Zäsur“ und „Wendepunkt“.
Die Augen ruhen auf Friedrich Merz
Die Reaktion der Europäer war eindeutig: Wer auf der Bühne des Bayrischen Hofs sich dafür aussprach, dass Europa mehr für die Verteidigung tun solle, der wurde laut beklatscht. Am weitesten ging in seinem Plädoyer der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Wir müssen die gemeinsamen Streitkräfte Europas aufbauen“, sagte er. Und forderte, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. „Keine Entscheidung über Europa ohne Europa“, sagte Selenskyj.
Viele Teilnehmer der Konferenz wünschten sich, dass Deutschland als größtes Land in Europa eine Führungsrolle übernimmt. Dabei richteten sich viele Augen auf einen: Friedrich Merz. Er nahm am Samstag auf der Bühne des Hauptsaals des Bayrischen Hofs Platz auf einem der weißen Stühle. „Herr Kanzler, äh, Herr Parteivorsitzender“, so sprach die Moderatorin Merz an. Der bedankte sich lachend für den Versprecher. Schließlich hat er die besten Aussichten, bald deutscher Regierungschef zu sein. Dann warnte er: „Wenn wir den Weckruf jetzt nicht hören, dann könnte es zu spät sein für die gesamte Europäische Union.“
Doch es gab schon viele Weckrufe. Die Annexion der Krim 2014 durch Russland. Die Forderungen Trumps in dessen erster Amtszeit nach höheren europäischen Verteidigungsausgaben. Jedes Mal entschied sich Europa, die „Snooze-Taste“ zu drücken.
Erst nach Russlands Angriff auf die gesamte Ukraine 2022 und der in Deutschland ausgerufenen „Zeitenwende“ erhöhte Deutschland drastisch seine Verteidigungsausgaben. Erstmals erfüllte die Bundesregierung 2024 die Nato-Vorgabe, zwei Prozent der Wirtschaftskraft für die Verteidigung auszugeben. Das sind immerhin 90 Milliarden Euro. Konsens in München war nun, dass das nicht reicht. Drei Prozent und mehr seien notwendig, um für die eigene Sicherheit zu sorgen. Für Deutschland hieße das 40 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben, Jahr für Jahr.
Wie viel Zeit bleibt Europa?
Wenn man ihm genau zuhörte, dann vertraute selbst Selenskyj offenbar nicht darauf, dass die Europäer für Frieden auf ihrem eigenen Kontinent sorgen können. Der ukrainische Präsident sagte explizit, dass er sich Sicherheitsgarantien für sein Land nach einem Waffenstillstand nicht ohne die USA vorstellen könne.
Denn unklar ist auch die Frage: Wie viel Zeit bleibt Europa? Verteidigungsminister Pistorius hat immer wieder gesagt, er rechne damit, dass Russland am Ende des Jahrzehnts ein Nato-Land angreifen kann. Ähnliche Prognosen gibt es von europäischen Geheimdiensten. Damit würden immerhin vier Jahre Zeit bleiben, um neue Panzer, Flugzeuge und Schiffe zu kaufen. Ein hochgerüstetes Europa, so die Hoffnung, könnte Putin von einem solchen Angriff abschrecken.
Putin könnte sich neuen Zielen zuwenden, ist die Sorge
Doch aktuell scheint die Maßeinheit nicht Jahre, sondern Wochen zu sein. In wenigen Tagen will US-Außenminister Marco Rubio nach Saudi-Arabien reisen und dort mit Russland verhandeln. Die Europäer sollen offenbar nicht mitreden.
Die US-Regierung drängt auf ein schnelles Ende des Krieges. Viele in München befürchteten, dass dieses Tempo vor allem durch Zugeständnisse auf Kosten der Ukrainer erkauft wird. Und es gibt weitere Sorgen: Wenn Russlands Armee nicht mehr in der Ukraine gebunden ist, könnte sich Putin neuen Zielen zuwenden. Am größten ist diese Angst in Osteuropa und im Baltikum.
Es gab einige in München, die sich bemühten, die transatlantische Flamme nicht ausgehen zu lassen. Lindsey Graham, einflussreicher US-Senator der Republikaner, sprach gerade auf der Bühne wohlwollend über die Nato, als sein Handy klingelte. „Lassen Sie uns mal sehen, ob es Trump ist.“ Auch dafür gab es einige Lacher. Mit ihm auf dem Podium saß der langjährige Chef der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Auch er versuchte sich an einem Weckruf. „Wir sollten nicht mehr Geld ausgeben, um Trump glücklich zu machen – sondern für uns selbst.“
Die meisten sind alarmiert
Andere versuchten, auch das Positive zu sehen: Immerhin habe US-Vizepräsident Vance keinen Truppenabzug verkündet oder weitere Zugeständnisse von der Ukraine gefordert. Mancher Politiker war fast euphorisch darüber, dass die Europäer so geschlossen geblieben seien. Doch diese Meinungen waren die Minderheit.
Die meisten sind alarmiert. Schon für Montag ist ein Treffen der Europäer in Paris geplant. Dort will man beraten, wie man zu einer gemeinsamen Position zu Verhandlungen über ein Ende des Krieges kommt. Denn nach gegenwärtiger Lage sitzen die Europäer überhaupt nicht mit am Tisch. Die Sorge ist aber, dass man die Folgen ausbaden muss. Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Vielleicht auch schon die kommenden Wochen. Die Uhr tickt.
Heusgen: „Das war eine historische Konferenz“
Am Sonntagmittag trat Christoph Heusgen noch einmal auf die Bühne des großen Saals im Bayrischen Hof. Der scheidende Vorsitzende der Sicherheitskonferenz sagte: „Das war eine historische Konferenz.“ Diesen Eindruck teilten viele in München, noch bevor sie überhaupt geendet hatte. Sie zeigte, dass die Beziehungen zwischen Europa und die USA wohl in eine neue Epoche eintreten.
Es war auch eine Sicherheitskonferenz, bei der die Europäer zeigten, dass sie ihren Humor noch nicht verloren haben. Die Frage ist nur, ob ihnen das Lachen bald vergeht.