Internetkriminalität: LKA-Präsident warnt vor Rückstand

dpa/lsw Stuttgart. Zeit für Robocop? Polizisten ringen bei ihren Ermittlungen mit immer größeren Datenbergen. Allein werde man das nicht mehr lange schaffen, warnt LKA-Chef Michelfelder. Es brauche künstliche Intelligenz.

Ralf Michelfelder, der Präsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Foto: Bernd Weissbrod

Ralf Michelfelder, der Präsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Foto: Bernd Weissbrod

Die Polizei läuft aus Sicht des Präsidenten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg Gefahr, bei der Verbrechensbekämpfung im Internet den Anschluss zu verlieren. „Immer mehr Kriminalität verlagert sich in den virtuellen Raum“, sagte Ralf Michelfelder der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Deliktfelder wie Cyberkriminalität werden riesig expandieren.“ Das werde die große Herausforderung für die Zukunft. „Die Tatbegehung driftet weg ins Internet“, sagte Michelfelder. „Wobei das nicht heißt, dass es in der analogen Welt nichts mehr für uns zu tun gäbe.“ Allein im vergangenen Jahr sei die Tatbegehung im Internet um 25 Prozent gestiegen.

Die Innovationszyklen der Wirtschaft seien so schnell, dass der Staat teils nicht mehr hinterherkomme, warnt Michelfelder. „Da kommen Produkte auf den Markt, die etwa im Bereich Smart-Home keine abschließende Sicherheitsprüfung erfahren haben.“ Die Digitalisierung biete ganz neue Angriffsziele für Straftäter. Früher habe man bei Wohnungseinbrüchen Türgriffe nach DNA abgepinselt, heute müsse man nachsehen, ob der Router gehackt worden sei und jemand über ein schlüsselloses System die Türen geöffnet habe. Er nannte auch massive Diebstahlserien von Fahrzeugen mit sogenanntem Keyless-System - dabei öffnet sich die Tür, wenn sich der Fahrer dem Wagen nähert. Auto und Schlüssel erkennen sich per Funk. Polizei und ADAC hatten schon davor gewarnt, dass Kriminelle das Signal abfangen könnten.

Problematisch seien immer größere Datenberge, mit denen die Ermittler konfrontiert seien, sagte Michelfelder weiter. „Meine größte Sorge ist, dass wir die entscheidenden Informationen haben, aber sie nicht rechtzeitig finden“, sagte er etwa mit Blick auf die islamistische Terrorgefahr. Man müsse die Nadel im Heuhaufen suchen. Man habe etwa bei Ermittlungen zu Dieselabgasen bei einer Firma Daten sichergestellt im Umfang von 1,2 Petabyte. Das entspreche einem Stapel von Din-A4-Blättern in Höhe von Zehntausenden Kilometern. Jedes Handy habe heute schon mindestens 64 Gigabyte.

Michelfelder spricht von einer Riesenherausforderung - und fordert einen stärkeren und konsequenteren Einsatz künstlicher Intelligenz bei den Ermittlungen. „Wir werden ohne künstliche Intelligenz nicht mehr bei der Auswertung von Daten weiterkommen. Da muss mehr passieren.“ Er nennt als Beispiel etwa IT-Systeme, die bei der Analyse von Filmen im Bereich des sexuellen Missbrauchs helfen.

Das Landeskriminalamt brauche auch mehr Spezialisten für diesen Bereich der Verbrechensbekämpfung. „Wir haben etliche Experten, aber wir haben sicherlich nicht genügend“, sagte er. Aktuell sei man zwar gut aufgestellt mit einem jungen Personalkörper. Aber: „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig die Leute wegnehmen und unter den Sicherheitsbehörden eine Konkurrenzsituation entsteht.“

Für den Kampf gegen Verbrecher im Netz hält der LKA-Präsident zudem die Vorratsdatenspeicherung für zwingend notwendig. „Wir haben in Deutschland keine Rechtslage, was die Speicherung von Verbindungsdaten anbelangt“, kritisierte er. „Für mich ist das unverständlich. Als wenn man an jedem Auto das Kennzeichen abschraubt - so bewegt man sich im Internet.“ Er spricht von einem Missstand. Neben Ermittlungserfolgen verspricht er sich auch eine präventive Wirkung von der Speicherung - wenn der potenzielle Täter glaubt, dass die Spur zu ihm verfolgt werden kann.

Justizminister Guido Wolf (CDU) sagte, es sei ein Unding, dass die Vorratsdatenspeicherung bis heute in der Praxis nicht erfolgen kann. Auch der Gesetzgeber stehe in der Pflicht, die Rechtsgrundlagen ständig den gewachsenen technischen Möglichkeiten anzupassen.

In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung - also die anlasslose Speicherung von Daten, die bei der Nutzung von Kommunikationsnetzen erzeugt werden - aufgrund mehrerer Gerichtsentscheide in der Praxis ausgesetzt. Die Datensammlung soll Ermittlern helfen, Terroranschläge zu verhindern und schwere Verbrechen aufzuklären. Das Thema ist aber seit Jahren umstritten. Bürgerrechtler und Datenschützer sehen unter anderem Privatsphäre und vertrauliche Kommunikation bedroht. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in diesem Jahr erwartet.

Auch die in der grün-schwarzen Koalition umstrittene Verschärfung des Polizeigesetzes sei wichtig für die Ermittler. Die Verschlüsselung von Kommunikation werde immer besser, für die Ermittler werde es zunehmend dunkel. Deshalb seien Mittel wie die Online-Durchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung wichtig.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) will der Polizei zur Terrorabwehr weitere Befugnisse geben. Darunter sind umstrittene Dinge wie die heimliche Online-Durchsuchung, also das Durchsuchen ganzer Festplatten von Computern, um Terrorpläne zu vereiteln. Den Grünen geht das zu weit. Ob es im Herbst zu einer Einigung kommen könnte, ist nicht bekannt.

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Erstellt:
2. August 2019, 16:38 Uhr

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