Ist die Wurst vom glücklichen Schwein?

Kennzeichnungen und Werbung zur Tierhaltung verwirren die Verbraucher, statt sie zu informieren

Den Deutschen wird die artgerechte Haltung der Tiere immer wichtiger. Doch beim Kauf von Wurst und Fleisch ist es schwer, zuverlässige Aussagen über die Tierhaltung zu finden, zeigt ein Test der Verbraucherzentralen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Stuttgart

Frage: Ist schon beim Kauf von Fleisch erkennbar, wie die Tiere gehalten wurden?

Antwort: Wer das wissen möchte, muss zumindest aufwendig suchen. Labels und Slogans wie „Weidehaltung“ oder „mehr Platz“ versprechen zwar Fleisch aus guter Tierhaltung. Doch die Botschaften sind nicht verlässlich: Das ist das Ergebnis einer bundesweiten Stichprobe der Verbraucherzentralen. Im Durcheinander aus unverbindlichen Siegeln und Werbebotschaften lasse sich kaum erkennen, unter welchen Bedingungen Tiere tatsächlich gehalten würden. Die Verbraucherschützer sprechen von einem Verwirrspiel. Für den Test hat die Verbraucherzentrale bei 17 Handelsketten die Aussagen von Herstellern und Händlern überprüft.

Frage: Wie zuverlässig sind die Werbeversprechen?

Antwort: Auf die Auslobungen auf den Produkten sollte man sich grundsätzlich nicht verlassen. Christiane Manthey, Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, nennt ein Beispiel: Ein Bild auf einer Fleischverpackung zeigt Schweine in Freilandidylle. Dabei zeigt sich beim genaueren Blick auf die Kennzeichnung: Die Haltung entsprich lediglich dem gesetzlichen Mindeststandard. Die Stalltiere haben keinen Zugang nach draußen. „Mit solchen Marketingtricks werden Kunden schnell hinters Licht geführt“, sagt Christiane Manthey. Auch Begriffe wie artgerecht, tiergerecht oder Tierwohl seien nicht zuverlässig: „Diese Begriffe sind rechtlich nicht geschützt und werden daher willkürlich genutzt“, sagt Christiane Manthey. Tatsächlich entspricht der Großteil des im Handel angebotenen Fleisches lediglich den gesetzlichen Mindeststandards.

Frage: Welche Regelungen und Verordnungen gibt es in Deutschland in Sachen Tierwohl?

Antwort: Gesetzlich geregelt und staatlich kontrolliert werden in Deutschland derzeit nur Mindeststandards für die Tierhaltung im Stall. Doch selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums hält diese für zu niedrig. Auf EU-Ebene gibt es die Verordnung für den ökologischen Landbau, gekennzeichnet mit dem Biosiegel. Die Tierhaltungsstandards sind dafür strenger als die gesetzlichen – beispielsweise sind mehr Platz und Stroh im Stall sowie Auslauf im Freien Bedingung. Bei Geflügelfleisch müssen für besondere Haltungsformen nach einer EU-Norm einheitlich geregelte Begriffe verwendet werden: „extensive Bodenhaltung“ (unter anderem etwas mehr Platz im Vergleich zur üblichen Intensivhaltung), „Freilandhaltung“, „bäuerliche Freilandhaltung“ (unter anderem mehr Auslauffläche) sowie „bäuerliche Freilandhaltung – unbegrenzter Auslauf“. Anders als freiwillige Siegel würden diese geschützten Begriffe zwar eine gute Orientierung geben, befand die Verbraucherzentrale. Doch im Test fanden sich kaum Geflügelprodukte mit solchen Hinweisen.

Frage: Verschiedene Handelsketten haben eigene Kennzeichnungen. Welche sind das?

Antwort: Handelsketten wie Lidl, Netto, Kaufland, Penny und Aldi haben 2018 Kennzeichnungen eingeführt, die dem Verbraucher beim Kauf von Fleisch der jeweiligen Eigenmarke Auskunft über die Tierhaltung geben sollen. Ab April 2019 wollen diese Handelsunternehmen nun zusammen mit Edeka und Rewe die Kennzeichnung für verpacktes Frischfleisch von Schweinen, Rindern, Hühnern und Puten vereinheitlichen. Schon jetzt aber sind auf allen Kennzeichnungen die Zahlen 1 bis 4 zu finden. Bei Fleisch mit der Kennzeichnung 1 erfüllen die Tierhalter die gesetzlichen Mindeststandards mit enger Stallhaltung. Bei Stufe 2 gibt es etwas mehr Platz im Stall und Beschäftigungsmaterial für die Tiere. Eine nach außen offene Stallseite oder einen überdachten Außenbereich gibt es ab Stufe 3. Die vierte Stufe entspricht der EU-Biorichtlinie und bringt noch mehr Platz im Stall sowie Auslauf im Freigelände.

Frage: Welche markenunabhängigen Labels gibt es?

Antwort: Angeboten wird ein solches Label zum einen vom Deutschen Tierschutzbund. Es nennt sich „Für mehr Tierschutz“ und ist auf abgepacktem Fleisch in den Stufen Einstiegsstufe und Premiumstufe zu finden. Die Einstiegstufe bedeutet beispielsweise bis zu 50 Prozent mehr Platz für die Tiere im Vergleich zu den gesetzlichen Mindestanforderungen, kürzere Transporte und eine schonendere Schlachtung. In der Premiumstufe findet sich dem aktuellen Einkaufstest der Verbraucherzentralen zufolge bislang nur Schweinefleisch im Supermarkt. Hier haben die Tiere noch mehr Platz und Zugang zu einem Außenbereich.

Frage: Was steckt hinter der Initiative Tierwohl?

Antwort: Die Initiative Tierwohl ist ein Bündnis großer Lebensmittelhändler wie zum Beispiel Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl und der Landwirtschaft. Der Handel zahlt pro Jahr mehr als 80 Millionen Euro in einen Fonds ein, das Geld wird an teilnehmende Schweine- und Geflügelmäster ausgeschüttet, die ihren Tieren dafür ein minimal besseres Leben bieten. Der Einzelhandel wiederum darf auf seine Fleischprodukte dann den Aufkleber „Initiative Tierwohl“ setzen. Die Anforderungen hier liegen nur geringfügig über den gesetzlichen Mindestanforderungen.

Frage: Verbraucherschützer kritisieren die Initiative Tierwohl. Warum?

Antwort: Der Aufkleber „Initiative Tierwohl“ ist eher ein Informationsaufkleber, sagen Verbraucherschützer. Und dieser weckt beim Verbraucher falsche Erwartungen. Denn er suggeriert mit Aussagen wie „Mit dem Kauf von Fleisch und Wurst von Schwein, Pute und Hähnchen aus unserem Sortiment unterstützen Sie den Wandel zu einer tiergerechteren Haltung“, dass die gekennzeichneten Schweine- und Geflügelprodukte auch aus Betrieben mit tiergerechter Haltung stammen. Doch das ist keineswegs garantiert. Daher fordern die Verbraucherzentralen die Kennzeichnung auf Fleischprodukte zu beschränken, die nachweislich von Tieren der Initiative stammen. Seit Anfang April 2018 hat die Initiative Tierwohl diese Forderung lediglich für frisches, unverarbeitetes Geflügelfleisch umgesetzt.

Frage: Wenn die Fleischsiegel so verwirrend sind: Lohnt es sich beim Einkauf, darauf zu achten?

Antwort: Zumindest sollten Verbraucher wissen: „Wirklich verlässlich ist nur, was gesetzlich geregelt und staatlich kontrolliert ist – und bei ­Verstößen geahndet wird“, sagt Sabine Holzäpfel von der Verbraucherzentrale ­Baden-Württemberg. Deshalb fordern die Verbraucherzentralen eine verpflichtende mehrstufige staatliche Tierwohlkennzeichnung oder eine Haltungskennzeichnung – ähnlich, wie es sie bei Hühnereiern gibt. Derzeit plant die Bundesregierung jedoch nur ein Label auf freiwilliger Basis. Erste gekennzeichnete Produkte sollen frühestens im Jahr 2020 auf den Markt kommen. Um dem Label-Dschungel zu entkommen, gibt es für Verbraucher noch eine weitere Möglichkeit: Sich einen Direktvermarkter für Fleisch zu suchen. Beim Bauern vor Ort kann man sich dann davon überzeugen, wie die Tiere leben.

Zum Artikel

Erstellt:
17. Januar 2019, 03:14 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen