Ist legales Cannabis eine gute Idee?
Die Ampelkoalition könnte schon bald Cannabis legalisieren. Damit ist ein Meilenstein der bereits jahrelang andauernden Debatte nicht mehr weit entfernt. Der Backnanger Arzt Lutz-Dietrich Schweizer hält die Legalisierung für den besseren Schutz für Suchtkranke.
Von Anja La Roche
Backnang. Seit 2018 ist in Kanada der Anbau und Erwerb von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen legal. Man darf maximal 30 Gramm Cannabis besitzen und bis zu vier Pflanzen daheim großziehen. In Deutschland könnte es bald so ähnlich sein: Die Debatte um die Legalisierung von Cannabis stand nie so kurz vor einer möglichen Reform wie jetzt. Die Ampelkoalition steht auf grün, alle drei Parteien befürworten die Legalisierung. In der Bevölkerung haben nach wie vor beide Lager viele Anhänger — diejenigen, die das Verbot für richtig halten, und diejenigen, die eine Legalisierung wünschen.
Cannabis fand bereits viele Jahrhunderte als Heilpflanze Anwendung. Seit 1929 ist es in Deutschland verboten. 1971 wurde das Verbot im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) formuliert, welches seither im Kern unverändert geblieben ist: Jeglicher Anbau, Handel, Kauf und Besitz von Cannabis ist strafbar und wird mit Geld- und Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet. Die deutschen Gerichte sehen allerdings meistens von einer Strafverfolgung ab, wenn es sich nur um eine geringe Menge Cannabis handelt, die dem Eigenverbrauch dient. Zudem ist seit 2017 medizinisches Cannabis legal, unter Vorlage eines ärztlichen Attests.
Der Zweck des BtMG lässt sich aus dem fünften Paragraf herauslesen: Der Bürger soll vor missbräuchlichem Konsum und vor einer Abhängigkeit von Suchtmitteln geschützt werden. Der Backnanger Allgemeinmediziner Lutz-Dietrich Schweizer (63) sieht diesen Zweck allerdings durch das BtMG nicht erfüllt. Denn die gesundheitlichen Risiken von Cannabis verschwinden nicht, nur weil die Droge verboten sei, und daher versteckt konsumiert werde, sagt er.
Der Arzt kann Expertise zu der Thematik vorweisen. Seine in Backnang liegende Praxis, die er bis 2019 führte, wurde zu einem Ankerpunkt für Suchtkranke und psychosozial behandlungsbedürftige Menschen (wir berichteten). Schweizer hat die negativen Wirkungen von Cannabis an vielen Patienten beobachten können. Neben verstärkter Antriebslosigkeit sei das Risiko der Droge vor allem, dass sie eine Psychose auslösen könne. Betroffene verarbeiten die Realität dann anders. Zum Beispiel können Ängste, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen auftreten. Die Gefahr einer Psychose sei allerdings hauptsächlich bei jüngeren Patienten zu beobachten, so Schweizer. Konsumenten mittleren oder höheren Alters haben ihm zufolge hingegen kaum Probleme mit unerwünschten Nebenwirkungen.
Die Risiken von Cannabis verharmlost Lutz-Dietrich Schweizer keineswegs, insbesondere für die jungen Konsumenten. Dennoch hält er das aktuelle Verbot von Cannabis für falsch. „Die Risiken werden durch ein Verbot eher verschlimmert“, vermutet Schweizer. Die Betroffenen würden sich aufgrund der Illegalität nicht trauen, Hilfe zu suchen, sondern eher in ihrem Umfeld verweilen.
Die gesundheitlichen Risiken von Alkohol und Cannabis stehen laut Schweizer in keinem Verhältnis zueinander. Alkohol sei eine größere Gefahr als Cannabis. „Alkohol bedroht die Volksgesundheit“, sagt er. Das Verhältnis von stationär Behandelten in der Klinik Schloss Winnenden liege bei etwa 28 Alkoholpatienten gegenüber zwei Cannabispatienten. In der Klinik arbeitet Schweizer — unter anderem — seit der Schließung seiner Praxis weiterhin als Berater mit suchtkranken Menschen.
Auch der Jugendvertreter von Backnang, Silvan Vollmer, fände eine Legalisierung von Cannabis begrüßenswert. Durch die Kriminalisierung sei die Zukunft der Konsumenten gefährdet. Einträge im Vorstrafenregister würden die Jobsuche erschweren.
Zu der Legalisierungsdebatte gesellte sich in letzter Zeit ein wachsendes Problem: Konsumenten erwerben unwissentlich Cannabisprodukte, die mit synthetischen Cannabinoiden versetzt sind. Die synthetischen Wirkstoffe sind dabei viel gefährlicher, bis hin zu tödlichen Vergiftungen. Durch eine kontrollierte Vergabe von Cannabis könnte das Risiko von solch gefährlichem Straßencannabis eingedämmt werden. „Es könnte endlich kontrolliert werden, welche Inhaltsstoffe geraucht werden“, schreibt uns ein Nutzer auf Instagram, nachdem wir auf unserem Kanal um Statements gebeten haben. Schweizer hat von seinen Patienten jedoch bislang noch nichts von diesem Problem gehört.
Entgegen der Meinung, die Schweizer und Vollmer vertreten, zweifeln auch viele daran, dass eine Legalisierung die bessere Drogenpolitik zum Schutz der Konsumenten wäre. „Illegal soll illegal bleiben“, so etwa ein weiterer Nutzer auf Instagram. Zwei Nutzer äußern zudem Bedenken aufgrund des erhöhten Psychoserisikos. Laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Hanfverbandes aus dem vergangenen Jahr befürwortet etwa die Hälfte der Bevölkerung die Legalisierung, die andere Hälfte lehnt sie ab.
Viele befürchten, dass Cannabis der Einstieg zu härteren Drogen ist
Häufig argumentieren Gegner der Legalisierung, dass Cannabis als Einstiegsdroge dienen könne. „Es ist der Einstieg zur Sucht. Danach bleibt es oft nicht nur bei Cannabis“, schreibt ein weiterer Instagram-Nutzer. Dem widerspricht eine wissenschaftliche Analyse verschiedener Studien, die im Auftrag des Bundestags 2019 veröffentlicht wurde: Die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik hat demnach wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten. Weitere Forschung sei jedoch notwendig, so die Autoren.
Besonders die Konsumenten können nun gespannt auf die ausstehende Entscheidung des neuen Bundestags blicken. Die Abgeordnete Inge Gräßle (CDU) des Wahlkreises Backnang/Schwäbisch-Gmünd geht den gleichen Weg, auf den sich ihre Partei mit den Grünen auf Landesebene geeinigt hat: verstärkter Jugendschutz, Entkriminalisierung von Konsumenten und mehr Rechtssicherheit beim Besitz von Cannabis für den Eigenbedarf — auf ihre Stimme können die Legalisierungsanhänger somit nicht hoffen.
„Die Risiken werden durch ein Verbot eher verschlimmert.“
Lutz-Dietrich Schweizer, Allgemeinmediziner mit den Schwerpunkten Suchterkrankung und Psychotherapie.