Heiligsprechung des „Influencer Gottes“

Italienischer „Cyber-Apostel“ wird 2025 zum Heiligen

Mit 15 Jahren starb Carlo Acutis an Leukämie. Nach seinem Tod soll der als „Cyber-Apostel“ bekannte Italiener zwei Wunder vollbracht haben. Jetzt soll er in den Kreis der Heiligen aufgenommen werden.

Carlo Acutis liegt öffentlich aufgebahrt in einem Glassarg in Assisi.

© AP/dpa/Gregorio Borgia

Carlo Acutis liegt öffentlich aufgebahrt in einem Glassarg in Assisi.

Von Markus Brauer

Papst Franziskus wird den als „Cyber-Apostel“ bekanntgewordenen italienischen Jugendlichen Carlo Acutis im April heiligsprechen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche kündigte dies bei der Generalaudienz in Rom an.

Der im Jahr 2006 an Leukämie gestorbene Teenager und Internet-Fan wird damit der erste Heilige aus der Millennial-Generation – Menschen, die zwischen Anfang der 1980er und Mitte der 1990er geboren wurden.

@Pontifex_de kündigt Heiligsprechungen von Carlo Acutis und Frassati an - Vatican Newshttps://t.co/XbnZ15Q7Qz — Vatican News (@vaticannews_de) November 20, 2024

Carlo Acutis half zu Lebzeiten Priestern dabei, Websites für ihre Pfarreien einzurichten. Er baute eine Internet-Datenbank über religiöse Wunder auf und warb im Netz für seinen Glauben. Seine Sammlung von „Wundern“ ist bis heute im Internet zugänglich.

In italienischen Medien wird er deshalb auch „Cyber-Apostel“ oder „Influencer Gottes“ genannt. Acutis (1991-2006), der in London geboren wurde und mit 15 Jahren starb, war zudem sehr religiös.

Grab von Carlo Acutis in Assisi ist ein Pilgerziel

Bereits Ende 2020 wurde Acutis in der italienischen Stadt Assisi seliggesprochen. Grund dafür war die Wunderheilung eines brasilianischen Jungen, der seine Gebete auch an Acutis richtete.

Im Mai dieses Jahres erkannte dann der Papst das für eine Heiligsprechung notwendige zweite Wunder an, das Acutis vollbracht haben soll. Eine junge Frau wurde auf unerklärliche Weise nach dem an Acutis gerichteten Gebet von einer Krankheit geheilt.

«Voglio offrire tutte le mie sofferenze al Signore per il Papa e per la Chiesa. Non voglio fare il Purgatorio; voglio andare dritto in Paradiso.»Oggi celebriamo il #BeatoCarloAcutispic.twitter.com/Ulf3EuK4Yb — EWTN Italia (@EwtnItalia) October 12, 2024

Der Seligsprechung im Jahr 2020 und der nun im kommenden April anstehenden Heiligsprechung ging ein jahrelanges Engagement seiner Eltern und hochrangiger Kirchenmänner voraus.

Die katholische Kirche will vor allem für junge Leute attraktiver werden und sucht daher neue Glaubensvorbilder. Carlo Acutis hat weltweit viele Anhänger. Seine Grabstelle im umbrischen Assisi ist mittlerweile ein beliebtes Ziel für katholische Pilger.

Wunder als Zeichen Gottes in der Geschichte

„Wunder gibt es immer wieder“, sang Katja Ebstein im Jahr 1970 beim Eurovision Song Contest. Die Schlagersängerin dachte dabei wohl eher an die wundersame Rettung von verschütteten Bergleuten, an eine große Liebe, die über alle Widerstände obsiegt, oder an unheilbar Kranke, die plötzlich genesen. Für gläubige Christen dagegen sind Wunder weit mehr als unerklärliche profane Geschehnisse: Es sind Zeichen Gottes, der unerwartet in die Geschichte eingreift.

Wunder sind nicht alltäglich. Das Außergewöhnliche, Mirakulöse, Heilige ist ihr Kennzeichen. Sie durchbrechen das Normale und Gewohnte, das Erstarrte und Erwartete. Die biblischen Wundererzählungen berichten von außergewöhnlichen Erfahrungen, die Menschen machen und denen eines gemeinsam ist: Man muss an sie glauben und in ihnen Zeichen für Gottes Wirken sehen. Erst dann enthüllen sie ihren tieferen Sinn.

Das Neue Testament ist voll von Wundertaten, die Jesus vollbringt: Tote werden auferweckt, Aussätzige geheilt, Besessene vom Satan befreit. Blinde können wieder sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme wieder sprechen. Jesus geht über das Wasser und stillt einen Seesturm, wandelt Wasser zu Wein und vermehrt Brote und Fische.

Entmythologisierung? Kirche hält am Wunderglaube fest

Was sind die biblischen Wunder – historische Fakten oder religiöse Symbole, Tatsachenberichte oder mythische Erzählungen? Bis weit ins 20. Jahrhundert hielten die Kirchen daran fest, dass die Wunder Jesu und der Heiligen in realiter geschehen sind. Heute ist man davon nicht mehr so felsenfest überzeugt.

Der Name Rudolf Bultmann (1884–1976) steht für die Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung. Dieser bedeutende protestantische Theologe wollte den wahren Kern des christlichen Wunderglaubens herausschälen und die biblischen Wunderberichte als Legenden entlarven. Bultmann zufolge wurde das Neue Testament aus einem mythologischen Weltbild heraus geschrieben, das inzwischen von einer wissenschaftlichen Herangehensweise abgelöst worden sei.

Um eine überholte Gedankenwelt nicht zur Voraussetzung des Glaubens werden zu lassen, sei es Aufgabe der Theologie, den vom Weltbild unabhängigen Kern der Verkündigung herauszuarbeiten, so Bultmann. „Man kann nicht elektrisches Licht benutzen, moderne medizinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“, schrieb er 1941 im Aufsatz „Neues Testament und Mythologie“.

Kirche hat Wunder-Kanon entschlackt

Selbst die so wundergläubige Katholische Kirche hat ihren Wunder-Kanon mächtig entschlackt. So werden sie im „Katechismus der Katholischen Kirche“ (2005) nur noch im Zusammenhang mit den Wundern Jesu erwähnt. „Wäre Jesus nicht auferstanden, wäre unser Glaube null und nichtig!“, heißt es im Ersten Brief an die Korinther (15,14).

Doch ungeachtet der Religionskritik und Säkularisierung des Glaubens hält die Kirche am Wunderglauben fest. Wunder sind Voraussetzung für jede Selig- und Heiligsprechung, der ein strenges und langwieriges Prüfungsverfahren vorausgeht. Es handelt sich dabei um feste Regeln für das Unerklärliche und Transzendente, das die sinnliche Erfahrung übersteigt.

Selige und Heilige

Ein rund 70-köpfiges Gremium der vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse – Theologen, Juristen und Mediziner – durchstöbert Krankenakten und klinische Berichte, begutachtet Röntgenbilder, liest Zeugenaussagen und wälzt ganze Bibliotheken an Büchern und Unterlagen. Mit einer wissenschaftlichen Exaktheit und Akribie, dass man meinen könnte, es gehe um die Lösung eines Kriminalfalls.

Regulär dauern Seligsprechungen – die die Vorstufe zur Heiligsprechung sind – Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Die vatikanischen Expertisen gehören zu einem komplizierten Verfahren, das wissenschaftlich hieb- und stichfest nachweisen soll, was an einem Wunder so unerklärlich sein soll. 2004 wurde das „Martyrologium Romanum“ aktualisiert, das alle 6650 Heilige und Selige sowie 7400 Märtyrer auflistet.

Advocatus Dei vs Advocatus Diaboli

Das Heiligenwesen in seiner heutigen Form wurde 1588 von Sixtus V. geregelt. Im frühen Mittelalter hatte noch das Kirchenvolk für sich entschieden, wen es für heilig hielt. Ab dem hohen Mittelalter trat anstelle dessen ein kirchenrechtlich genau festgelegter Prozess. Darin werden vom sogenannten Verteidiger Gottes (Advocatus Dei) Argumente für die Heiligsprechung vorgebracht, während seine Konterpart, der Anwalt des Teufels (Advocatus Diaboli), dagegen argumentiert.

Papst Johannes Paul II. (1920–2005) hält den Rekord: Während seines Pontifikats (1978–2005) sprach er 1316 Personen selig und 483 heilig. Bis 1983 waren für Seligsprechungen bis zu vier und für Heiligsprechungen drei weitere Wunder erforderlich. Johannes Paul II. ließ die Zahl auf je eine wundersame Tat reduzieren.

Wie wird man in der Kirche zum Seligen oder Heiligen?

Voraussetzung ist, dass man im Kirchenvolk verehrt wird und die Person überdurchschnittlich tugendhaft gelebt hat. Sollte der Betreffende als Märtyrer gestorben sein, reicht das „Blutopfer“ aus.

Die Medizin kennt Spontanheilungen, für die aber mehr die Arzneidosis und Selbstheilungskräfte des Menschen verantwortlich gemacht werden als Übernatürliches. Doch was wäre die Katholische Kirche ohne Wunderglauben. Auch die Entzauberung der Welt durch die moderne Wissenschaft hat das Paranormale nicht aus den Köpfen und Herzen der Gläubigen vertrieben.

Wunder bewegen sich auf einer anderen Ebene als Chemie, Biologie und Physik. Sie durchbrechen die Naturgesetze und sind unerklärlich – trotz vermeintlich wissenschaftlicher Prüfungen durch den Vatikan.

Letztlich erschließen sich Wunder nur dem, der auch bereit ist, eine übernatürliche Ursache zu akzeptieren. „Für Gott ist nichts unmöglich“, heißt es im Lukas-Evangelium (1, 37). Erst der Glaube macht das Unerklärliche zum Wunder, das nicht wissenschaftlicher Beweis ist, sondern göttliche Poesie (mit dpa-Agenturmaterial).

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Erstellt:
20. November 2024, 17:34 Uhr
Aktualisiert:
20. November 2024, 17:37 Uhr

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