Jede dritte Betriebskontrolle fällt aus
Verbraucherinitiative Foodwatch stellt Lebensmittelkontrolleure im Rems-Murr-Kreis an den Pranger
Die Verbraucherinitiative „Foodwatch – die Essensretter“ hat die Lebensmittelkontrolle an den Pranger gestellt. In Deutschland werden Betriebe viel zu selten kontrolliert, stellte Foodwatch nach einer Befragung von rund 400 Kreisen fest. Der Rems-Murr-Kreis gehörte 2018 zu den Landkreisen, in denen jede dritte Kontrolle ausfiel.

© Pressefotografie Alexander Beche
Die Wartung von Schankanlagen ist aufwendiger als gedacht, ihre Überprüfung daher umso wichtiger. Archivfoto: A. Becher
Von Martin Winterling
WAIBLINGEN. Dass jede dritte Betriebskontrolle ausfalle, stimme, sagt Stephan Betz, der Chef der 14 Lebensmittelkontrolleure zwischen Rems und Murr. Mit einer Quote von 62 Prozent im Jahr 2018 hat die Lebensmittelkontrolle ihre selbst gesteckte Sollmarke nicht erreicht.
Die pure Zahl an Kontrollen ist für Betz jedoch nicht das entscheidende Kriterium, so wie es früher gehandhabt wurde. Die Betriebe werden heute aufgrund einer Risikoeinschätzung überprüft: Je riskanter der Betrieb ist, desto häufiger seien die Kontrolleure vor Ort.
Dieser Tage nahmen sich die Lebensmittelkontrolleure eines Caterers aus dem Rems-Murr-Kreis an, der das Rathaus in Erdmannhausen bei der Weihnachtsfeier beliefert hatte. Am anderen Tag litten 83 von rund 90 Teilnehmern an Durchfall. Nur die Vegetarier unter den Rathausbeschäftigten kamen ungeschoren davon. Der erste Verdacht, dass das Essen mit Viren oder Bakterien verseucht war, erhärtete sich nicht. Die Spur führt derzeit eher zu Toxinen, die in einem Lebensmittel gesteckt haben könnten.
Spektakuläre Fälle wie Erdmannhausen gehören ebenfalls zum Aufgabenspektrum des Fachbereichs Veterinäramt und Lebensmittelüberwachung in Backnang mit seinen 37 Mitarbeitern, darunter 14 Lebensmittelkontrolleure und ein halbes Dutzend Veterinärmediziner. Sie fallen aber nicht unter die mehr als 4000 Routinekontrollen, die das Landratsamt in diesem Jahr durchführen wird.
Wichtig sind Überprüfungen aufgrund von Beschwerden
Überprüfungen aufgrund eines Verdachts oder einer Beschwerde spielen für Betz jedoch eine besondere Rolle für den Schutz der Verbraucher. Er ist überzeugt: „Lebensmittel sind heute so sicher wie noch nie.“ Das hieße nicht, dass es keine Verstöße gebe. Ein Blick in den im Internet veröffentlichten Hygienepranger zeigt, dass es in den Küchen und unter den Theken nicht immer appetitlich zugeht (siehe Info-Kasten).
Mit der Zahl von 14 Kontrolleuren und zwei Auszubildenden, die dem Rems-Murr-Kreis zur Verfügung stehen, ist Stephan Betz durchaus zufrieden. Gestartet ist sein Amt, dem er seit dem Jahr 2004 vorsteht, einst mit acht Leuten, die vom Wirtschaftskontrolldienst der Polizei übernommen wurden. Jahrelang kämpfte die Lebensmittelkontrolle mit dem Fachkräftemangel und musste den Nachwuchs selbst heranziehen. Das ist nach einigen Mühen gelungen. Voraussetzung für den Job ist der Meisterbrief oder der Techniker in einem Lebensmittelberuf wie Metzger oder Konditor, an die sich eine zweijährige Ausbildung anschließt.
Betz hofft, dass durch die Ausrüstung der Kontrolleure mit Tablets die Datenerfassung verbessert und die Zahl der Kontrollen erhöht werden können. „Wir legen aber primär Wert auf die Qualität und die Nachvollziehbarkeit der Kontrollen“, betont Betz. Sorgfalt geht vor. Ihm ist es lieber, wenn ein Kontrolleur sich zwei Stunden lang in einem einzigen, für seine Hygienemängel bekannten Betrieb umschaut, als auf die Schnelle und der Zahlen wegen zehn Stände auf dem Weihnachtsmarkt abzuklappern.
Wenn sich der langjährige Amtsleiter mehr Personal wünschen dürfte, dann keinen weiteren Lebensmittelkontrolleur, sondern eher einen tierärztlichen Sachverständigen. Stephan Betz und sein Stellvertreter Philipp Benz wissen, dass die Arbeit der Lebensmittelkontrolleure oft kritisch beäugt wird und sie als kleinlich erscheinen, wenn sie selbst beim Kuchenverkauf der Jugendabteilung eines Fußballvereins auf einen Spuckschutz pochen. Benz kennt das Spannungsfeld zwischen den gewachsenen Anforderungen an Hygiene und den Realitäten vor Ort. Beim Spuckschutz gehe es nicht nur um die Infektionsgefahr, sondern auch um Ekel, dass eben nicht jeder am Kuchen herumtatschen kann. Und auch darum, dass das gleiche Recht für alle gelten muss.
Gerechtigkeit spielt eine Rolle, wenn die Kennzeichnungspflicht überprüft werde. Redliche Wirte, die wirklich teuren Parmesan auf die Spaghetti reiben, müssten vor dem Kollegen geschützt werden, der bloß billigen Grana Padano serviert. Derartiges passiert gar nicht so selten, wie der Hygienepranger zeigt: So fand sich bei einem Mexikaner (siehe Info-Kasten) auf der Speisekarte großprotzig Serrano-Schinken und Vanilleeis, verkauft wurden nur italienischer Landschinken und Eis mit Vanillegeschmack.
Aus ihrer Untersuchung zieht Foodwatch eine zentrale Forderung. Die Lebensmittelkontrollen dürfen nicht mehr 44 Landratsämtern in Baden-Württemberg überlassen bleiben. Jedes Bundesland benötige eine einzelne, unabhängige Landesanstalt für die Kontrollen, die nur dem Verbraucherschutz verpflichtet sei.
Stephan Betz sieht durchaus einen Bedarf, dass die Kontrollen nach einheitlichen Kriterien erfolgen. Auf der anderen Seite könnten die Landratsämter besser eine „Vom Acker zum Tisch“-Kontrolle garantieren. Für überörtliche Fragestellungen werde auf das Landeskontrollteam Lebensmittelsicherheit zurückgegriffen.
Inhaber und Mitarbeiter haben für Sauberkeit und Hygiene zu sorgen
Stephan Betz und Philipp Benz betonen, dass sich die Zielrichtung der Lebensmittelkontrollen in den vergangenen Jahren grundlegend verändert habe. Die Verantwortung für Sauberkeit und Hygiene liegt in erster Linie bei den Inhabern und den Mitarbeitern. Stichworte sind Eigenkontrolle, Qualitätsmanagement und Dokumentation. Die Kontrolleure stellen sicher, dass sich die Betriebe an die Vorgaben halten – und Verstöße zeitnah behoben werden. Das fällt Großbetrieben leichter. Sie sorgen sich um ihr Image, ihren Ruf und vor allem um ihren Umsatz, wenn ein Skandal mit ihrem Namen verknüpft wird.
Verstöße finden sich oft in Kleinbetrieben, sagt Stephan Betz. Deshalb setze das Amt auf Prävention. Nach mehreren Verstößen wurden in Kooperation mit dem Gaststättenverband rund 40 Wirte aus dem Raum Schorndorf informiert, wie sie ihre Schankanlagen besser in Ordnung halten können. Es schälte sich ein Grundproblem heraus: Die Wartung ist aufwendiger als gedacht; der Preis für die Dienstleister war jedoch nicht auskömmlich. Kein Wunder, dass diese oft schluderten und die Kontrolleure dreckige Zapfhähne beanstanden mussten.
Erst kürzlich wurden bei einem „Mexikaner“ in Waiblingen stark abgetrocknete und dunkel verfärbte Gurken gefunden, verdorbenes Geflügelfleisch, überlagerter Frischkäse und verschimmelte Joghurtsoße. In der Küche sowie in der Kühltheke wurden mehrere überlagerte bzw. verdorbene Lebensmittel festgestellt. Am 22. August 2019 waren dies Himbeeren für das Dessert, Feta, Quark sowie am 28. August 2019 erneut Feta, Ziegenkäsetaler, Ziegenfrischkäse, Vulcano-Rohschinken, Koriander und geschlagene Wurst.
In der Kühltheke, im Thekenbereich und im Kühlschrank im Lager einer anderen Gaststätte wurden mehrere Lebensmittel wie Prosciutto Cotto, Pecorino Truvanittu, Caciotta und so weiter vorgefunden, die mit einem weißlichen, grünlichen, bläulichen und gelblichen Schimmelbewuchs überzogen waren.
Die Eiswürfelmaschine einer Gaststätte war an den Auswurflamellen sowie im Innenbereich stark schwarzsporig verunreinigt.
Mängel in der Schädlingsbekämpfung/ Schadnagerbefall: Mäusekot lag unter dem Verdampfer der Kühltheke und in der Bröselschublade der Brotschneidemaschine und im Lagerbereich.