Erschreckende Zahlen
Jeder Zehnte in Deutschland hat ein Suchtproblem
Alkohol, Tabak, Kokain, synthetische Opioide: Viele Menschen haben ein Suchtproblem. Für Drogenpolitik und Gesundheitswesen sind die Herausforderungen groß, sagt die Suchthilfe vor der Bundestagswahl.
Von Markus Brauer/dpa
Jeder zehnte Mensch in Deutschland hat nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ein Suchtproblem. „Sorge bereiten uns die Ausbreitung von Crack – einer rauchbaren Form von Kokain – sowie von synthetischen Opioiden wie Fentanyl, ein Wirkstoff, der lebensbedrohlicher ist als Heroin“, warnt die DHS. Die Sucht- und Drogenpolitik stehe vor großen Herausforderungen.
- Zur Info:Fentanyl gehört zu einer Gruppe recht neuer Drogen: synthetische Opioide wie auch Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die als zugelassene Medikamente zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber komplett synthetisch hergestellt. In der Medizin wird es etwa bei Tumorerkrankungen verwendet.
- In Deutschland spielt die Droge bislang bei weitem nicht so eine Rolle wie in den USA, wo die Opioidkrise unter anderem durch eine sehr großzügige und sorglose Verschreibung starker Schmerzmittel entstand.
Forderungen der Suchthilfe an eine neue Bundesregierung
Die Drogenproblematik in Deutschland wachse, zugleich würden aber Hilfen gekürzt, betonte die Dachorganisation der deutschen Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe in Hamm. „Um die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zu sichern, brauchen wir eine Sucht- und Drogenpolitik, die den Stand der Forschung anerkennt und konstruktiv nach vorn blickt“, mahnt die Hauptstelle für Suchtfragen.
- Zur Info: Unter synthetischen Drogen versteht man alle künstlich hergestellten Rauschmittel. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) kommt jedes Jahr eine Vielzahl an neuen synthetischen Substanzen auf den Drogenmarkt.
- Die Zusammensetzung und Wirkweise variiert dabei stark und kann von Konsumenten nicht abgeschätzt werden. Häufig werden in den Drogen gesundheitsschädliche Substanzen verarbeitet.
- Synthetische Drogen gibt es als Pulver, in Pillen-, Kapsel- oder Tablettenform oder als Flüssigkeiten. Sie werden geschluckt, gespritzt oder durch die Nase eingezogen.
- Unter synthetische Drogen fallen alle Substanzen, die ohne einen natürlichen Ausgangsstoff rein chemisch im Labor hergestellt werden.So zum Beispiel: Ecstasy (MDMA/Methylendioxymetamphetamin), Speed (Amphetamin) oder Metamphetamin (Crystal Meth), Methaqualon.
- Neben den synthetischen gibt es halbsynthetische Drogen. Sie heißen deshalb so, weil sie als Ausgangsstoff einen Naturstoff verwenden und erst dann im Labor weiterentwickelt werden.
- Beispiele hierfür sind: Heroin (Diacetylmorphin), LSD (Lysergsäurediethylamid), Crack, Kokain, Opiate.
- Viele halbsynthetische Drogen wie beispielsweise LSD werden heute aus Kosten- und Qualitätsgründen vollsynthetisch hergestellt.
„Die Lage ist ernst“
Vor der Bundestagswahl und der Bildung einer neuen Regierung veröffentlichte die DHS zentrale Forderungen in einem Positionspapier, das auch die Bundespsychotherapeutenkammer mitgezeichnet habe.
Darin heißt es: „Die Lage ist ernst.“ Jeder Zehnte habe ein Suchtproblem und „noch weitaus mehr Menschen konsumieren Alkohol, Tabak und andere Suchtmittel in gesundheitsschädlicher Weise, auch wenn keine Abhängigkeit vorliegt.“
- Zur Info:Opioide sind verschreibungspflichtige Schmerzmittel. Sie wirken vor allem im zentralen Nervensystem (ZNS) – genauer an bestimmten Zellen im Gehirn und im Rückenmark, die Opioid-Rezeptoren besitzen. Dort unterdrücken die Medikamente Schmerzsignale. Opioide können stärkere Schmerzen lindern und wirken beruhigend. Opioid-Analgetika werden in stark wirksame Mittel und schwach wirksame Opioide unterschieden.
- Opiate sind Substanzen, die direkt aus Opium, dem getrockneten Milchsaft vom Schlafmohn, gewonnen werden. Zur Opiate-Gruppe gehören zum Beispiel Morphin und Codein.
- Der Begriff Opioide bezeichnet demgegenüber alle Substanzen, die an Opioid-Rezeptoren – also Zellen oder Zellbestandteile, die auf bestimmte Reize reagieren und Signale weiterleiten – binden und wie Morphin wirken. Dazu gehören sowohl natürliche als auch künstlich hergestellte (synthetische) Substanzen. Die Endorphine – körpereigene Substanzen, die von der Hirnanhangsdrüse im Gehirn ausschüttet werden – zählen als körpereigene Opioide ebenfalls zu dieser Gruppe.
Sucht betrifft auch Angehörige, Kollegen und Volkswirtschaft
Ein großer Teil der Bevölkerung sei – als Eltern, Kinder, Freunde oder auch Kollegen – zudem mitbetroffen. Sucht und der Konsum von Rauschmitteln belaste die Volkswirtschaft mit einer dreistelligen Milliardensumme. Die Zahl der Drogentoten lag zuletzt auf einem Höchststand, Fälle von Handelsdelikten mit Kokain nehmen zu, wie DHS-Geschäftsführer Peter Raiser schildert.
Und die Suchthilfe kämpfe mit teils existenzbedrohenden Mittelkürzungen. Es brauche aber dringend mehr Hilfen und Suchtberatung für Suchtkranke. Viele Beratungsstellen müssten Leistungen zurückfahren oder ganz schließen. Die künftige Bundesregierung solle die bislang nicht gesetzlich verankerte Leistung der Suchtberatung verlässlich absichern, fordert die DHS.