Begnadigung von Hunter Biden
Joe Bidens verwundbarste Stelle
Joe Biden hat seinen Sohn Hunter begnadigt. Obwohl er immer versprochen hatte, es nicht zu tun. Doch am Ende übernahm der Vater im Präsidenten das Kommando.
Von Theresa Schäfer
Joe Biden sagt gerne, er habe sich in den Jahrzehnten im Washingtoner Politikbetrieb seine Menschlichkeit erhalten, weil er sich jeden Abend in den Zug gesetzt und nach Hause zu seinen Söhnen gefahren sei. Dass er für Beau und Hunter verantwortlich gewesen sei, habe ihn gerettet. Im vielleicht dunkelsten Moment eines Lebens, das mit Tragödien nicht sparsam war. Es war der 18. Dezember 1972, als den damals 30-jährigen Joe Biden ein Anruf erreichte: Seine Frau Neilia habe zusammen mit den drei Kindern einen schweren Autounfall gehabt. Bidens Frau und seine 13 Monate alte Tochter Naomi waren sofort tot. Beau und Hunter lagen mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. In die jüngere amerikanische Geschichte ging das Bild ein, das den frischgewählten Senator Biden bei seinem Amtseid zeigt – am Krankenbett seiner Söhne.
Nun hat Biden seinen Sohn Hunter begnadigt. Obwohl er immer versprochen hatte, es nicht zu tun. Seine Begründung: Hunter könne nicht darauf hoffen, von der Justiz wie jeder andere Amerikaner behandelt zu werden. Hunter ist so etwas wie Joe Bidens Achillessehne. Seine verwundbarste Stelle. Dass er seinen Sohn innig liebt, ist offensichtlich. Zwei seiner vier Kinder hat der US-Präsident schon begraben müssen: Naomi und im Jahr 2015 Beau, der mit nur 46 Jahren an einem aggressiven Hirntumor starb.
Hunter strapazierte die Familienbande bis zum Äußersten
Familie geht dem 46. US-Präsidenten über alles. „My word as a Biden“, sagt der Präsident gerne, wenn er etwas besonders ernst meint. Für ihn ist das mehr als eine Floskel. Der Zusammenhalt der Präsidentenfamilie, Nachfahren irischer Auswanderer, ist stark. Hunter hat diesen Zusammenhalt bis zum Äußersten strapaziert. Jahrelang kämpfte der heute 54-Jährige mit Alkohol- und Drogenproblemen. 2021 hat Hunter darüber ein Buch geschrieben, „Beautiful Things“ heißt es, und er geht darin schonungslos mit sich selbst und seiner Abhängigkeit ins Gericht. Seine Eltern, sein Vater Joe und seine Stiefmutter Jill, und seine Schwester Ashley, schreibt Hunter, hätten sich nie von ihm abgewandt. „Mein Vater hat mich nie verlassen, mich nie verstoßen, mich nie verurteilt, egal wie schlimm die Dinge wurden.“
Im Sommer wurde der 54-Jährige von einer Jury in Delaware wegen unerlaubten Waffenbesitzes schuldig gesprochen, in einem zweiten Verfahren bekannte er sich wegen verschiedener Steuervergehen schuldig. In beiden Fällen wäre das Strafmaß im Dezember verkündet worden. Durch die Begnadigung ist das nun hinfällig geworden.
„Indem sie versucht haben, Hunter zu brechen, wollten sie mich brechen“
Biden schrieb in seiner Erklärung, die Anklagen gegen Hunter seien politisch motiviert: „Kein vernünftiger Mensch, der sich die Fakten von Hunters Fällen ansieht, kann zu einem anderen Schluss kommen, als dass Hunter nur deshalb herausgegriffen wurde, weil er mein Sohn ist - und das ist falsch.“ Man habe versucht, „Hunter zu brechen“ und damit auch ihn. Er habe mit sich gerungen und am Wochenende die Entscheidung getroffen, seinen Sohn nun doch zu begnadigen.
Die Verfahren hatten unangenehme Details aus dem Leben des Präsidentensohnes offenbart: Das Geld, das Hunter einnahm (teils aus fragwürdigen Quellen), soll er unter anderem für Sexclubs und Stripperinnen ausgegeben haben. Im September bekannte er sich in dem Steuerverfahren schuldig und ersparte seiner Familie so die Peinlichkeit einer weiteren Hauptverhandlung. In dem Prozess wegen illegalen Waffenbesitzes hatte neben seiner ältesten Tochter auch Hallie aussagen müssen – mit der Witwe seines Bruders hatte Hunter eine kurze Beziehung.
Joe Biden ist nicht der erste US-Präsident, der ein Familienmitglied begnadigt. Bill Clinton bewahrte seinen Halbbruder Roger vor dem Gefängnis. Donald Trump begnadigte den Vater seines Schwiegersohns, Charles Kushner. Auf seiner Plattform „Truth Social“ empörte sich der „President Elect“ indes am Montag über Bidens Schritt: Hunters Begnadigung sei ein „Missbrauch der Justiz“.
Am Ende siegte bei Joe Biden wohl das Gefühl über die Prinzipien. In seiner Erklärung schrieb der scheidende Präsident zum Schluss noch diesen Satz: „Ich hoffe, dass die Amerikaner verstehen werden, warum ein Vater und Präsident so entschieden hat.“